Jürgen Peterseim, Marco Wisniewski
Jahrhundert-Sommer, Umweltkatastrophen, Klimaschutz, Braunkohle-Ausstieg – das Thema Energiewende rückt in der öffentlichen Debatte derzeit wieder in den Vordergrund. Allerdings wird dabei wie vor zehn Jahren primär über erneuerbaren Strom gesprochen. Die Energie-Sektoren Wärme und Verkehr werden hingegen kaum erwähnt, obwohl sie für unsere Volkswirtschaft den weitaus größeren Anteil beim Energieverbrauch ausmachen . Allein die Erzeugung von Wärme und Kälte verschlingt über die Hälfte unseres Energieverbrauchs (Vgl. BMWi). Und betrachtet man dann, wie weit wir in Deutschland mit der Energiewende gekommen sind, ergibt sich leider ein ernüchterndes Bild: Während wir im Jahr 2017 bereits 36,2 Prozent des Stroms erneuerbar erzeugten, sind Bereiche wie Wärme mit 12,9 Prozent und Transport mit 5,2 Prozent erneuerbarem Anteil weit abgeschlagen (Vgl. AEE, BMWi, AGEE-Stat) .
Bei der Energiewende stehen wir in Deutschland also erst am Anfang.
Industrielle Energieverbraucher sind ebenfalls noch lange nicht auf dem Niveau der erneuerbaren Stromerzeugung und daher ist hier ein Umdenken notwendig, denn 2016 lag der Anteil der Industrie am deutschen Endenergieverbrauch bei 28,2 Prozent und bei den CO2-Emissionen bei 20,7 Prozent. Damit ist der Industriesektor in Deutschland der zweitgrößte CO2-Emittent. An erster Stelle steht der Energiesektor. Und beide Sektoren sind stark miteinander verknüpft. Von der Industrie fremd bezogener Strom und Wärme wird emissionstechnisch oft dem Energiesektor zugeschrieben. Verbessert die Industrie ihre Energieeffizienz sinken demzufolge auch die Emissionen im Energiesektor (Vgl. UBA, BMU: S. 34 ).
Zwischen 1990 und 2017 hat die deutsche Industrie die CO2-Emissionen um über 30 Prozent reduziert allerdings wurde der Großteil der Reduktionen vor dem Jahr 2000 realisiert. Die Gründe dafür sind vielschichtig: verbesserte Energieeffizienz, rückläufige Produktionsmengen energieintensiver Produkte, Veränderungen im Konsumentenverhalten, Auslagerung von Produktionsstandorten und der anhaltende Wandel zu einem Hightech Wissensstandort – und natürlich der Zusammenbruch der unproduktiven und energieintensiven DDR-Industrie.
2016 entstanden 67,2 Prozent der industriellen CO2 Emissionen durch Industriefeuerungen, wobei Brenngase und Strom mit 66,8 Prozent den Großteil der eingesetzten Energie bereitstellten. Die eingesetzten Energieträger sind derzeit noch sehr stark fossiler Natur. Wenn Deutschland an dem Ziel festhält bis zum Jahr 2050 weitgehend treibhausgasneutral zu werden, muss die Industrie mit verbesserten Prozessen und erneuerbaren bzw. CO2-armen Energieträgern einen wesentlichen Beitrag dazu leisten.
Vor welcher Herausforderung steht die Industrie?
Der effiziente Umgang mit Energie wird in Deutschland seit langem im privaten, gewerblichen und industriellen Bereich gelebt. Nicht umsonst ist Deutschland 2016 erneut vom American Council for an Energy-Efficient Economy zur energieeffizientesten Volkswirtschaft der Welt gekürt worden. Diesen Vorsprung gilt es zu halten, um lokale Industrien gegenüber dem globalen Wettbewerb erfolgreich bestehen zu lassen und um Technologieexporte zu stärken (Vgl. ACEEE).
Die Herausforderungen zum Erreichen der deutschen und globalen Klimaziele sind trotzdem beträchtlich, da diverse Industriezweige sehr energie- und damit auch CO2-intensiv sind, z.B. die Metall-, Chemie-, Glas, Papier- und Baustoffindustrie. Manche Industriezweige wie Stahl und Papier haben die Emissionen gesenkt, in anderen wie Chemie und Nichteisenmetallurgie stiegen die Emissionen.
Die deutsche Industrie ist ein heterogenes Gebilde mit den unterschiedlichsten Branchen. Dementsprechend unterschiedlich ist die Energie- und CO2-intensität der dazu gehörenden Industrieprozesse. So sind viele Industrieanlagen äußerst komplex aufgebaut, benötigen hohe Verfügbarkeiten und sind kapitalintensive sowie langfristige Investitionen. Bei Kraftwerken, Hochöfen und Chemieanlagen sind Laufzeiten von bis zu 50 Jahren nicht ungewöhnlich. Dies bedeutet, dass Anlagen die gerade gebaut werden noch in der geplanten Betriebszeit nahezu CO2 frei produzieren müssen. Zukünftige Umbauten sind daher sicher, eine Herausforderung bei derzeitig erwarteten Amortisationszeiten von wenigen Jahren. In diesem Kontext ist die Implementierung von erforderlichen Innovationen ein technisches und kommerzielles Risiko. Andererseits ist das weitere Abwarten ebenfalls ein beträchtliches Risiko, denn die Entwicklung und Implementierung technischer Lösungen sind nicht über Nacht realisierbar. Den Vorsprung frühzeitig agierender Konkurrenten einzuholen ist daher kompliziert.
Das wesentliche Instrument zur Reduzierung von CO2-Emissionen, und damit der Treiber einer grünen Industrie, ist der europäische Handel mit CO2-Zertifikaten. Wirtschaftswissenschaftlich führt die Verknappung der verfügbaren Zertifikate über einen definierten Zeitraum zu Preissteigerungen. Diese haben sich in diesem Jahr, aufgrund der für 2019 angekündigten Reduktion der verfügbaren Zertifikate, bereits gezeigt. Lag der CO2-Preis in den letzten Jahren stetig unter 10€/Tonne stieg er in den letzten Monaten auf über 20€/Tonne. Der CO2-Preis wird wahrscheinlich weiter steigen, denn in der 4. Emissionshandelsperiode von 2021-2030 werden größere Energieverbraucher weniger Zertifikate gratis bekommen als bisher. Auch die bislang geschützten Unternehmen aus den energieintensiven Branchen, wie Stahl oder Chemie, werden dann bis zu einem Drittel ihres CO2-Ausstoßes bezahlen müssen. Wie in diesem Jahr erfahren, können CO2 Emissionen kurzfristig zu einem relevanten Kostenblock werden, der das Betriebsergebnis spürbar belastet. Demzufolge ist das Risiko über Energie- und Emissionskosten wettbewerbsunfähig zu werden real. Kurzfristig können Unternehmen zwar durch Vertragsneuverhandlungen einen Teil der Energiekosten vorübergehend senken, aber mittel und langfristig sind signifikante Emissionsreduktionen nur über technologische Neuerungen möglich.
Ende Teil 1 - Teil 2 folgt morgen
Zu den Autoren:
Prof. Dr. Jürgen Peterseim ist seit 15 Jahren national und international in der Energie- und Industrietechnik tätig, wobei seine Schwerpunkte in den Bereichen Energieeffizienz und erneuerbare Energien liegen. Neben seiner Industrietätigkeit ist er außerordentlicher Professor an der University of Technology Sydney, Australien, um Industrie und Wissenschaft besser zu verknüpfen.
Dr. Marco Wisniewski ist Wirtschaftsingenieur und promovierter Umweltphysiker. Für den TÜV Rheinland und Deloitte & Touche hatte er viele Jahre Verantwortung für den Bereich Energie und Klimaschutz. Zuletzt war er Leiter des Bereichs Technik bei KPMG.