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Strommarkt

„Es geht auch ohne uns.“

Der Energieversorger Eon will mehrere Gaskraftwerke in Süddeutschland stilllegen. Nach einem Bericht der Financial Times Deutschland reicht die Marge nicht mehr aus, um die Kraftwerke wirtschaftlich zu betreiben. Derzeit liege die Differenz zwischen den Brennstoffkosten und dem Verkaufserlös aus einer Megawattstunde Gasstrom bei nur zwei Euro. Grund sind die niedrigen Großhandelspreise an den Strombörsen. Vor allem Windkraft und Photovoltaik drücken zunehmend Grünstrom in den Markt. Da sie keine Brennstoffe brauchen, sinken die Preise. In den ersten neun Monaten dieses Jahres erreichte der Anteil des Stroms aus erneuerbaren Energien bereits rund 25 Prozent.

Solarstrom drückt Gas aus dem Markt

Speziell Solarstrom sei für die niedrigen Strompreise verantwortlich, beklagte Eon-Vorstandschef Johannes Theyssen. Mehr als eine Million Photovoltaikgeneratoren liefern in Spitzenzeiten so viel Strom, dass die Gaskraftwerke kaum benötigt werden. Wenn, dann laufen sie nur wenige Stunden, was für einen wirtschaftlichen Betrieb nicht ausreicht. Der Eon-Chef bestätigte damit den preissenkenden Effekt der erneuerbaren Energien und den Druck, der auf den herkömmlichen Stromkonzernen lastet. Bisher gründete sich ihr Geschäftsmodell auf einem Kartell der Großkraftwerke, Konkurrenz war unbekannt. Die so genannte Liberalisierung des Strommarkts nach der Jahrtausendwende hatte viele hundert Stadtwerke in Deutschland ihrer Selbstständigkeit beraubt. Übrig geblieben waren vier Oligopole, die den deutschen Strommarkt unter sich aufteilten.

Kunden werden getäuscht

Eon will zuerst die älteren Gaskraftwerke Irsching 3 und Staudinger 4 in Süddeutschland stoppen. Sie bleiben jedoch als Notreserve für den Winter betriebsbereit. Andererseits hat Eon seinen Nettogewinn innerhalb der ersten neun Monate 2012 von zwei Milliarden Euro (Vorjahreszeitraum) auf rund vier Milliarden Euro verdoppelt. Denn die sinkenden Beschaffungskosten geben die Konzerne noch immer nicht an ihre Kunden weiter. Im Gegenteil: Für 2013 stellten sie neue Strompreiserhöhungen in Aussicht.

RWE bangt um Kreditwürdigkeit

Der größte deutsche Stromkonzern RWE hingegen kann sich über eine solche Bilanz nicht freuen. Das Unternehmen wurde von der Ratingagentur Standard amp; Poor’s von A minus auf BBB plus herabgestuft. „RWE wurde von der Energiewende auf dem falschen Fuß erwischt“, erläuterte Konzernchef Peter Terium in einem Interview in der aktuellen Ausgabe des Nachrichtenmagazins Stern. „Wir steckten gerade mittendrin im größten Modernisierungsprogramm unserer Geschichte, unsere gesamte Kraftwerksflotte wurde für knapp 20 Milliarden Euro erneuert. Wir haben die neuen Gaskraftwerke geplant und angefangen zu bauen, als der Preis für die Megawattstunde bei fast 80 Euro lag. Zurzeit bekommen wir im Durchschnitt aber nur 50 Euro.“ Was er verschweigt: Die Energiewende ist keine geheime Kommandosache. Sämtliche Fakten und Szenarien sind öffentlich zugänglich und werden intensiv debattiert. Eine andere Frage ist, ob die Chefetage im RWE-Turm diese Entwicklung zur Kenntnis nehmen wollte. Nun schlägt die Ignoranz der Manager voll auf ihre Stellung im Energiemarkt – und ihre Kunden durch.

„Sind wir dann komplett weg?“

Denn auch Terium spricht von der Notwendigkeit, die Strompreise weiter zu erhöhen. Vor allem die Kosten für die Anbindung der Offshore-Windparks gehören nach seiner Auffassung auf diese Rechnung. „Der Strom vom Meer muss über Hochspannungsleitungen, Mittel- und Niederspannungsleitungen beim Kunden ankommen.“ Im Klartext heißt das: Weil RWE bisher zu wenig in Onshore-Windräder und Photovoltaik investiert hat, sollen nun die teuren Offshore-Windparks das Geschäftsmodell retten. Während bundesweit ein Viertel des Strombedarfs aus erneuerbaren Energien gedeckt wird, beträgt ihr Anteil im Erzeugungsmix von RWE nur sechs Prozent. Zudem soll in zehn Jahren das letzte Atomkraftwerk des Konzerns vom Netz gehen, das AKW Emsland bei Lingen. RWE will den Stellenabbau der vergangenen Jahre fortsetzen, rund 10.000 Jobs stehen auf der Kippe. Dann bleiben noch 64.000 Arbeitsplätze beim größten deutschen Energieversorger übrig. Zum Vergleich: Innerhalb weniger Jahre hat allein die Photovoltaik mehr als 100.000 Arbeitsplätze aufgebaut. Immerhin stellte Terium in Aussicht, dass nun auch RWE verstärkt in Photovoltaik investieren will. „Die Energiewende hat zum ersten Mal deutlich gemacht, es geht auch ohne uns“, sagte er. „Vielen Mitarbeitern wird angst und bange. Die fragen mich: Haben wir in zehn Jahren noch ein Unternehmen? Oder sind wir dann komplett weg?“ (Heiko Schwarzburger)