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Windturbinenentwicklung

Anlagenparade für noch mehr Windernte, überall

Es ist die Anlagentechnik, die es im deutschen Ausschreibungssystem künftig braucht: „Die Regelungstaktik wird auch bei uns in Richtung Lastenoptimierung gehen“, sagt Stefan Bockholt, Chef-Technologe von Eno. Der Rostocker Windenergieanlagen-Hersteller produziert und errichtet rund 30 Eno-Anlagen pro Jahr, wovon etliche Maschinen in eigenen Projekten verbaut werden. Denn Eno ist zugleich ein Projektentwickler von Windparks sowie ein Servicedienstleister. Bockholts Technologie-Abteilung beschäftigt sich mit dem „Active Load Control, wie der Eno-Technikchef sagt. Diese elektronische Steuerung der Windturbine setzt mehr als bisher auf Sensorendaten aus vielen verschiedenen Turbinenteilen und auf mehr Sensoren. Sie stellt die Einzel-Rotorblätter sowie Generator- und Umrichterstromwerte reaktionsschnell so ein, dass  die Windturbinen immer unterhalb der größten Lasten hindurchnavigieren. Dadurch lassen sich größere Anlagen mit mehr Erzeugungskraft und längeren Flügeln entwickeln, ohne Komponentenstahlwände zu verstärken. Das würde zusätzlich Geld kosten. „Für uns macht die individuelle Blattkontrolle aber nur Sinn“, sagt Bockholt, „wollen wir bestehende Anlagenversionen weiter ausreizen. Wahrscheinlich wird es in der bestehenden Plattform tatsächlich noch weitere Anlagentypen geben können.“

Dieses Ausreizen ist ein Trend der gesamten Windturbinen-Industrie. Gut zu besichtigen war das bei der Windenergiemesse Wind Energy im September in Hamburg. Hier präsentierten alle der in Deutschland regelmäßig Anlagen errichtenden Windturbinenhersteller im Rahmen ihrer neuesten, aber schon bestehenden Anlagenplattformen eine neue Anlagenvielfalt. Vorhandene Reserven in den Lastberechnungen haben deren Entwicklungsabteilungen jetzt zumindest weitgehend ausgereizt. Nun ist plötzlich ein sehr weit reichendes Spektrum an Rotorblattlängen und Generatorkapazitäten innerhalb einer technischen Windturbinengeneration möglich.

Bockholt hat bei Eno das Ausreizen der vor zwei Jahren präsentierten Eno-Anlagen Eno-114 und Eno-126 mit 3,5 Megawatt (MW) vorgeführt: Auf der Wind Energy stellte Eno beide Turbinentypen als zusätzliche 4,0-MW-Versionen vor. Sie sind mit geringen baulichen Veränderungen aus der 3,5-MW-Maschinenplattform heraus entwickelt worden. „Technisch fast identische Maschinen. Wir haben nur die Reserven ausgereizt, die im elektrischen System noch steckten, und zwar im Generator und im Umrichter“, betont Bockholt.

So haben die Rostocker Windturbinenhersteller künftig noch zwei Turbinen mehr im Portfolio. Sie versprechen an windreicheren Bauplätzen in Deutschland höhere Erträge, sind aber nicht teurer als die bisher angebotenen Anlagen für die ein bisschen weniger windreichen Standorte.

Der Trend zur Ausdifferenzierung der Anlagenportfolios ohne Mehrkosten zu verursachen setzt sich derzeit in der deutschen Windbranche durch, weil das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) 2017 Ausschreibungen zur Vergabe der Vergütungsrechte für künftige Windparkprojekte einführt. Diese Ausschreibungen verschärfen den Wettbewerb unter Turbinenbauern und Betreibern künftiger Windparks. Sie müssen den Strom künftig billiger anbieten. Ein neues gesetzliches Referenzertragsmodell belohnt bei der Vergütung der Windparks zudem besonders viel erzeugende Maschinen. Die Referenzerträge sind ein Instrument des EEG. Sie dienen als Maßstab für die im EEG fixierten Vergütungssätze für Windstrom. Anlagen an windschwächeren Standorten erzielen durch sie etwas mehr pro Kilowattstunde, damit sich Windenergie auch außerhalb der Top-Regionen mit besten Windverhältnissen lohnt.

Selbst in einem so kleinen Portfolio wie dem von Eno lassen sich damit präzise für unterschiedliche Standortbedingungen passende Anlagen anbieten. Die 3,5-MW-Anlagen der Rostocker sind aufgrund ihrer Rotorblattprofile laut dem Hersteller für etwas dichteres Zusammenstellen im Windpark geeignet: Sie kommen mit höheren Turbulenzen besser zurecht als andere Anlagen. Sie enstehen, wenn die Rotoren die Luftströmungen durchpflügen. Die 4,0-MW-Varianten hingegen seien auf wirbelärmere Windverhältnisse durchschnittlicher Windparks ausgelegt, sagt Technikchef Bockholt.

Die vor zwei bis drei Jahren eingeführten neuen Plattformen für Riesenwindturbinen mit mindestens 3,2 bis rund 4 MW sowie mit mindestens 130 Meter Rotordurchmesser sind plötzlich Anlagenportfolien von zwei bis sieben Windturbinenmodellen geworden.

Eno-Windenergieanlagen im Windpark Brusow | Das Prognosetool ermittelt kostengünstig, unter welchen Bedingungen sich ein Projekt rechnet. - © Eno
Eno-Windenergieanlagen im Windpark Brusow | Das Prognosetool ermittelt kostengünstig, unter welchen Bedingungen sich ein Projekt rechnet.

43,5 Prozent Auslastung im Binnenland

Wie schnell diese Entwicklungen plötzlich möglich sind, zeigt auch das Beispiel Siemens. Der Hersteller war in vergangenen Jahren im deutschen Onshore-Markt kaum mehr erfolgreich. Nun hat Siemens zusätzlich zur bereits 2014 eingeführten ersten eigenen 3,3-MW-Anlage mit 130 Meter Rotordurchmesser zwei neue Typen vorgestellt: Eine ausgewiesene Schwachwindturbine mit 142 Meter Rotordurchmesser und 3,15 MW sowie die schon zweite Mittelwind-Anlage im 3,x-MW-Portfolio mit 3,6 MW und ebenfalls 130 Meter Rotordurchmesser. Die Schwachwind- beziehungsweise Binnenlandmaschine wird Rotorblätter in neuer branchenweiter Rekordgröße tragen. Sie sollen so viel Wind auch bei unregelmäßigen Windströmungen verlässlich einfangen, dass die Turbinenauslastung bei durchschnittlicher Windgeschwindigkeit von 6,5 Meter pro Sekunde 43,5 Prozent erreicht: Das bedeutet eine rechnerische Rekordauslastung für Binnenlandwindregionen bei 3.800 Volllaststunden. Reparaturen und Anlagenstillstände senken die Verfügbarkeit natürlich noch, wo sich beides trotz vorausschauender Betriebsführung nicht nur auf Flauten beschränken lässt.

Die Digitalisierung der Anlagensteuerung trage wesentlich zu einer so gespreizten Anlagenplattform bei, sagte der Chief Executive Officer (CEO) von Siemens, Markus Tacke, bei der Vorstellung der neuen Anlagenpläne. Auch eine echte Starkwindturbine mit deutlich über 110 Meter Rotordurchmesser werde die Anlagenplattform noch erhalten. Sie werde derzeitig entwickelt. Bei all diesen neuen Modellen hat Siemens ebenfalls keine baulichen Veränderungen an den allermeisten Anlagenbauteilen vorgenommen.

Die neuen Anlagen würden „smarter, intelligenter“, erklärte Tacke. Dabei setzt Siemens insbesondere auch auf eine schon vor zwei Jahren vorgenommene Reform am Generator, die letztlich zu einem höheren Drehmoment des Generators geführt hatte. „Durch umfangreiche Tests auf unserem Testgelände in Dänemark sowie am Prototypen der SWT-3.3-130 waren wir in der Lage, ein Plus in Form einer Leistungsreserve von rund fünf Prozent auf unser neues Produktportfolio anwenden zu können“, sagt Daniel Luecht, Leiter des sogenannten Produkt-Lebenszyklus-Managements bei Siemens Windenergie.

Nur bei den Rotorblättern der neuen Binnenlandturbine greift Siemens zu gänzlich Neuem: Erstmals lässt das Unternehmen diese mit Kohlefasergurten stabilisieren. Rein aus harzgetränkten Glasfaserkunststoffgelegen gefertigte Rotorblätter – bisher die übliche Bauweise – müssten bei dem 142-Meter-Rotor wesentlich dickwandiger designt werden, damit der Wind sie nicht gegen den Turm schlägt. Oder die übliche Blatt-Vorbiegung müsste größer ausfallen –, um die Rotorblätter auch bei starkem Wind vom Turm fernzuhalten. Doch Siemens wollte die Vorbiegung auf 3,3 Meter begrenzen, damit sich die Riesenkomponenten unter allen Brücken hindurch manövrieren lassen. Die jetzt vorgesehenen Kohlefasern sind zwar teurer als Glasfasergelege. Sie geben dem Blatt aber mehr Stabilität. Und dank technologischem Fortschritt erlauben diese Kohlefasern inzwischen, dass die Blattstrukturen so dünnwandig wie bisher bleiben können. So gleichen sich Materialmehrkosten für Kohlefasern und Material-Minderkosten dank ausbleibender Verstärkung der Blattstrukturen aus. Die Fertigung überträgt Siemens zu diesem Zweck sogar erstmals dem dänischen Blattzulieferer LM Wind Power – und verzichtet für das neue Großblatt auch auf den bisherigen Eigenbau aus einem Guss. LM baut die Rotorblätter branchenüblich aus zwei Halbschalen.

Der Kohlefaser-Trend geht indes auch anderswo mit der neuen branchenweiten Anlagenphilosophie einher: Weltmarktführer Vestas fertigt die Rotorblätter seiner aktuellen Binnenlandturbinen V126 und V136 mit jeweils 3,45 MW aus Kohlefasern. Dabei präsentiert der dänische Hersteller nun ein Portfolio in der 3+x-MW-Plattform von sogar sieben Anlagentypen mit abgesehen vom Rotor weitgehend identischen Bauteilen.

N131/3000 | Die Binnenlandwindenergieanlage N131/3000: Windpark Hollich-Sellen in Nordrhein-Westfalen: Inzwischen ist N131 auch als 3,6-MW-Variante erhältlich. - © Nordex
N131/3000 | Die Binnenlandwindenergieanlage N131/3000: Windpark Hollich-Sellen in Nordrhein-Westfalen: Inzwischen ist N131 auch als 3,6-MW-Variante erhältlich.

Zweimalige Leistungserhöhungen

Die Feinsteuerung des Anlagen-Controlling ist aber die Grundlage der schnell ausdifferenzierten Plattformen. So erklärte beispielsweise Nordex: „Durch die Beibehaltung unserer Rotordurchmesser und die optimierte Auslegung des elektro-mechanischen Systems konnten wir die Reduzierung der Stromgestehungskosten bei unseren Anlagen für mittlere und höhere Windgeschwindigkeiten schneller und effizienter umsetzen.“ Nordex hat nun schon zum zweiten Mal die Leistung der Nordex-eigenen „Generation Delta“ um 0,3 MW zu erhöht.

Bei Senvion glückte eine solche doppelte Leistungskorrektur nach oben ebenfalls, mit zwei Mal plus 0,2 MW. Von den vier Anlagen der sogenannten 3XM-Plattform sind somit zwei Turbinen mit je 0,4 MW mehr aus der zweifachen Kraftkur hervorgegangen: 3.6M114 und 3.4M122. Die neue Binnenlandanlage 3.6M140 hat ein Plus von 0,2 MW hinter sich, während Starkwindtyp 3.4M104 unverändert blieb. Alle behalten die Drehzahl der Rotoren und somit die bisherigen niedrigen Schallwerte bei – und das ohne Änderungen im Getriebe.

Dabei erweitern alle drei veränderten Senvion-Windturbinen zusätzlich ihr Einsatzgebiet in Richtung der nächsthöheren Windklasse: Auf den kleineren Türmen sind 3.4M122 und 3.6M140 beispielsweise ab sofort eher für mittlere Windstandorte vorgesehen. Für das windschwächere Süddeutschland hingegen müssen es künftig schon Nabenhöhen von knapp unter – und besser: deutlich über – 120 Meter sein. Ohnehin bieten nun fast alle Turbinenbauer Nabenhöhen von 160 Metern und mehr an. Das führt in Stark- und Mittelwindregionen zu geplanten Windernten fast wie in Offshore-Windparks.

Nicht jeder Marktbeobachter allerdings erwartet im neuen Plattform-Ausreizen den Fortschritt ausgerechnet bei den Erträgen – sondern eher an anderer Stelle. So heißt es bei einem Branchenanalysedienstleister, der auch Reports über technologische Entwicklungen herausgibt: Die wachsenden Erträge pro installierter Leistung fielen in ihrer Größenordnung eher weniger ins Gewicht. Wichtiger sei, durch weiter gespreizte Plattformen immer mehr Anlagengleichteile herstellen zu können. Demnach wäre die Kostensenkung beim Einkauf immer größerer Stückzahlen von Komponentenbauteilen ein wesentlicher Erfolg der neuen Windenergieanlagen-Generation.

(Tilman Weber)

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