Tilman Weber
Der nächste Referent habe eine gute Nachricht mitgebracht, sagte am Donnerstag der Vorsitzende des Landesverbands Erneuerbare Energien NRW (LEE NRW), Reiner Priggen, zur Anmoderation des Themas Flugsicherung. Der auf diese Weise Angekündigte versprach dann auch Neues zum Dauerzwist zwischen Windparkprojektierern und der Flugsicherung in Deutschland. Neven Josipovic ist Geschäftsführer der Forschungsstelle Mobilitätsrecht an der Hochschule TU Braunschweig. Neue Ergebnisse aus den Forschungen der TU könnten den Anfang vom Ende der deutschen Standard-Tabuzone für Windparkprojekte rings um neuere Flugsicherungseinrichtungen einläuten, so verdeutlicht es sein Vortrag. Tatsächlich sagte Josipovic, Erkenntnisse aus den Forschungsarbeiten der TU bestätigen seiner Ansicht nach, dass der derzeitige pauschale Radius von 15 Kilometer für Schutzbereiche von Drehfunkfeuern wissenschaftlich nicht begründet ist. Das betreffe insbesondere die neuere technologische Ausführung der Flugsicherungseinrichtungen, genauer: für eine DVOR genannte Variante. Die Deutsche Flugsicherung (DFS) lässt Drehfunkfeuer bisher durch einen 15-Kilometer-Bann gegen Windenergieanlagen sichern. Die DFS warnt, näher an den DVOR stehende Windturbinen drohten auf den Flugbewegungs-Aufzeichnungsgeräten falsche Spuren zu zeichnen oder das Monitoring durch die DVOR im sprichwörtlichen Sinne zu vernebeln. Doch Forschungen im Projekt "min-VOR-win" der TU Braunschweig hätten ergeben, dass Schutzbereiche von zehn Kilometer ausreichten und Windturbinen jenseits dieses Limits grundsätzlich keine Probleme für die neuen DVOR bereiteten, betonte Josipovic.
Der Braunschweiger Jurist verwies auf die jüngere Rechtsprechung, nach der neue wissenschaftliche Erkenntnisse im Rahmen der Störungsbewertung zu berücksichtigen sind. Reduziere sich dieser Radius in Nordrhein-Westfalen demzufolge auf zehn Kilometer, könnten alleine 181 von 287 durch DVOR geblockte Windturbinen-Neuerrichtungen gebaut werden. Auch in Deutschland sollten nun die international üblichen Abmessungen der Schutzzone gelten. Üblich sind zumindest in Europa solche Radien bei zehn Kilometer rings um die Drehfunkfeuer.
Was die Projektblockaden in Deutschland und speziell in Nordrhein-Westfalen durch die Flugsicherung sowie durch unklare Naturschutzvorgaben und aufgrund neuer politischer Debatten über Pflichtabstände zu Wohnsiedlungen derzeit bewirken, rechnete auf der Tagung auch Jürgen Quentin vor. Der Statistiker der Fachagentur Windenergie an Land machte deutlich, dass im zu Ende gehenden Windkraftjahr deutschlandweit gerade noch 800 Megawatt (MW) neue Erzeugungskapazität ans Netz kommen werden. Durch eine eigene Studie anhand der bei der Bundesnetzagentur abschöpfbaren Anmeldedaten hat Quentin festgestellt, dass die letzte Ausschreibungsrunde zu Vergütungsrechten für neue Windparks im Dezember zwar erstmals in diesem Jahr zu einem Angebots-Überangebot führen werde. Doch davon sei noch keine Trendwende am Windenergiemarkt abzuleiten. Das aktuelle Phänomen der Zurückhaltung halte wohl noch 2020 an: Windparkprojektierer geben neue Vorhaben nicht in die Vergütungsausschreibung, weil diese durch Klagen oder sonstige rechtliche Verfahren blockiert sind.
Zudem machte Quentin deutlich, dass auch die bisher bezuschlagten Windturbinen zu einem gewichtigen Teil nicht sofort zum Bau neuer Windparks führen werden: 77 der 277 in Nordrhein-Westfalen schon mit einer Vergütung bezuschlagten, aber bisher nicht gebauten Windturbinen haben noch gar keine Baugenehmigung. Dies ist eine Folge der sogenannten Bürgerwindparkregel im Ausschreibungsverfahren, die seit 2018 allerdings vom Gesetzgeber zunächst ausgesetzt und danach auch gestrichen wurde.
Als Eröffnungsredner machte der Grünen-Bundestagsabgeordnete Oliver Krischer deutlich, dass seiner Meinung nach Windbranche und Energiewendepolitiker dies als Klimaschutzmotto klarstellen müssten: „Ich kenne kein einziges Konzept, bei dem nicht die Windenergie die zentrale Rolle spielt.“ Ebenfalls unumstritten müsse deutlich werden, dass Windenergie „nicht das Hauptproblem des Naturschutzes“ sei. Pauschale Tabuflächen für Windparks mit großen Abständen zu Vogelvorkommen dienten nicht dem vermeintlichen Schutz der Vögel davor, durch die Rotoren zahlreich erschlagen zu werden und dadurch auch im Bestand in Gefahr zu geraten. Seine Partei Bündnis 90/Die Grünen führten Gespräche mit dem Naturschutzverband Nabu, um im Konflikt zwischen Vogelschutz und Windkraftausbau einen Weg hin zu einem wieder schnelleren Ausbau der Windkraft zu finden. Energiewendepolitiker müssten außerdem denjenigen widersprechen, die in einer Gewinnung grünen Wasserstoffs aus Strom nun einen Ausweg in der Energiewende erhofften. Ohne wesentlich mehr Erneuerbaren-Strom in Deutschland funktioniere diese Energiewende- und Klimaschutzmaßnahme nicht. Auch seien Akteure wenig hilfreich, die nun eine gigantische Wasserstoffproduktion in Nordafrika aufziehen wollten, indem sie dort den Bau großer Photovoltaikanlagen und Windparks dafür ins Auge nähmen. Dies gefährde den Grundgedanken einer Demokratisierung und demzufolge Regionalisierung der Energieerzeugung in Deutschland, was ein wichtiges Ziel der Energie- und Klimawende bleiben müsse.
Die langjährige Abteilungsleiterin für Energiewirtschaft und Technik im Wirtschaftsministerium, Marlies Diephaus, warb um Verständnis für die nordrhein-westfälische Landesregierung. Auch wenn diese mit einer landesweiten Empfehlung den öffentlichen Flächenplanern einen Mindestabstandsbann um Siedlungen von 1.500 Meter nahelege, unterstütze das Landeswirtschaftsministerium die Branche mit einem neuen sogenannten Entfesselungspaket. Während der Abstandsbann der Akzeptanz der Windkraft dienen soll, mache das Ministerium den Weg für eine unbürokratische Anerkennung preisgünstiger Technologien zur Nachtbeleuchtung von Windparks frei. Windparkbetreiber müssen gemäß einem neuen Gesetz ihre Turbinen mit Positionsleuchten für den Flugverkehr ausrüsten, die aber nur bei einem sich nähernden Flugzeug aufblinken sollen. Außerdem versuche das Ministerium durchzusetzen, dass Klagen gegen Windparks nach deren Genehmigung zurückgingen. Die Landesregierung dränge über den Bundesrat darauf, dass ein verbessertes Ausschreibungsdesign die Gefahr von Klagen reduziere. Mit mehreren Stellschrauben versuche NRW so, die Windenergie voranzubringen.