Tilman Weber
„Wir sind im Krieg.“ Diesen Satz hat Angela Merkel bei ihrer in den deutschen Medien als „außergewöhnlich“ geadelten Rede nicht gesagt. Und das ist auch das Positive in der Ansprache der Bundeskanzlerin anlässlich der Ausbreitung der Corona-Grippe. Anders als beispielsweise der französische Staatschef Emanuel Macron. Anders als der mutmaßliche nächste Kandidat des eher Energiewende-freundlichen politischen Lagers in den USA um die nächste Präsidentschaft der Vereinigten Staaten, Joe Biden. Anders als der Energiewende-feindliche US-Präsident Donald Trump. Angela Merkel festigte ihren Ruf als gewiefte Krisen-Kanzlerin damit, dass sie unaufgeregt über womöglich bevorstehende Notstände spricht. Sie vermittelte die Botschaft, dass nach der Krise trotz ihrer vielleicht langfristigen Folgen für die Organisation von Wirtschaft und Gesellschaft noch viele Steine aufeinander stehen bleiben: genau dort, wo sie vorher sprichwörtlich ein Haus oder eine Straße bildeten. Deutschland bleibt demnach Deutschland mitsamt seiner langfristigen Ziele. Das darf auch die Energiebranche für ihre Belange so verstanden wissen.
Mehr Lob ist damit allerdings aus Sicht der Energiewende und des Klimaschutzes nicht möglich. Denn wie gewohnt ist genau das zu kritisieren, was die Kanzlerin in ihrer kurzen Fernsehansprache am Mittwoch nicht gesagt hat.
Die Politik des nicht Gesagten
Gerade in der Energiewende macht Angela Merkel oft Politik genau dadurch, dass sie Dinge nicht sagt. So erklärte sie 2019 der Öffentlichkeit immer wieder, dass sie den Klimaschutz forcieren und ernstnehmen will – und sprach nicht über Windkraft an Land und Photovoltaik auf dem Dach. Sie erklärte, dass Deutschland aus der Kohlekraft aussteigen werde – und sprach nicht über Speicher, die Beschleunigung des Netzausbaus oder Sektorenkopplung, um die Stromversorgung nach dem Komplettumstieg auf erneuerbare Energien auch im neuen System mit dezentraler und wetterabhängiger Erzeugung zu stabilisieren. Sie erklärte, dass sie die Akzeptanz außerhalb der großen Städte für die Energiewende erhöhen wolle. Aber sie sprach nicht davon, dass die Energiewende danach auch auf dem Land noch stattfinden soll.
Es wäre allerdings zu wenig, die Rede an die Lage der Nation nur zur rückblickenden kanzlerpsychologischen Analyse zu nutzen. Es soll hier auch keineswegs behauptet werden, dass die deutsche Regierungschefin außer über die Corona-Seuche über alle anderen wichtigen Themen und insbesondere die Energiewende hätte reden müssen. Nur muss die Ansprache vom Mittwochabend auch vor dem Hintergrund des jüngsten Scheiterns jeglicher Verständigung über die Auflösung der politischen Blockaden gegen die Energiewende gesehen werden. Sowohl die Koalitionspartner untereinander als auch die Bundesregierung mit den Bundesländern verweigerten den Deal. Und nur so wird die Dimension der aktuellen merkelschen Krisenpolitik deutlich, über die sie in ihrer TV-Ansprache wenig Konkretes verlauten ließ.
Merkel kann Krise
Der konsensfähige Satz „Merkel kann Krise“ stimmt. Ob internationale Banken- und staatliche Finanzkrise, ob Atomkrise nach der Kernkraftwerkskatastrophe im japanischen Fukushima, ob Klimakrise: Diese CDU-Politikerin kann in zugespitzter Situation ruhig entscheiden. Wie bei der Fukushima-Krise kann sie dabei sogar gegen das Interesse wichtiger energiewendefeindlicher Teile ihrer Partei handeln. Zur Erinnerung: Damals machte sie einen zuvor von ihr eingeleiteten Stopp des Ausstiegs aus der Atomenergie rückgängig und beschleunigte den vorher geplanten Ausstieg noch.
Leider stimmt auch der Umkehrschluss: Nicht-Krise, langfristiger Aufbau notwendiger zukünftiger Strukturen kann Merkel nicht. Und vielleicht will sie es auch nicht.
Dass weder Bund und Länder noch die Koalition zu den vielleicht vorerst letzten Sitzungen des Bundestags vor einer möglichen Corona-Pause einen weitgehend vorgezeichneten Kompromiss nachvollziehen konnten, spricht Bände. Es als Scheitern der Regierung zu kennzeichnen, wäre zu optimistisch. Eher darf davon ausgegangen werden, dass das Verschleppen oder Verweigern klarer Perspektiven für die Windenergie- und die Photovoltaik-Branche von einflussreichen Akteuren in Kabinett und Bundestag gewollt sind.
Zur Erinnerung – der Kompromiss war klar skizziert: Bundesländer und Kommunen dürfen den Windenergieausbau an Land stärker als bisher regulieren – und Tabuzonen rings um Siedlungen für den Bau neuer Windparks von 1.000 Metern und mehr einrichten. Dies widerspräche dem Paragrafen 35 im Baugesetzbuch, wonach Windenergieanlagen im Außenbereich von Siedlungen privilegierte Bauwerke sind. Demnach lassen sich Turbinen bekanntlich nur nach Emissionsschutzregeln zur Lärmbelastung von Wohngebieten oder nach Naturschutzgesetzen um bestimmte Ökosystemgebiete untersagen. Oder wenn anderslautende regionale Flächenplanungen die Windausbaugebiete nach schlüssigen Kriterien konzentrieren. Im Gegenzug für die Zulassung pauschaler Mindestabstände um Siedlungen hätten sich alle Bundesländer auf detaillierte jährliche Ausbauziele der erneuerbaren Energien mit dem Bund verständigen müssen. Sie hätten dabei in Summe so viel Ausbau zusagen müssen, wie für die 2030-Zielsetzung der Bundesregierung eines Grünstromanteils von 65 Prozent erforderlich. Und nur Bundesländer die sich an solche neuen bundeslandeseigenen Ausbaupfade halten, dürften die Tabuzonen einrichten und beibehalten.
Kompromiss zu Windkraftausbau bleibt blockiert
Unausgesprochen galt auch, dass die Unionspolitiker aus CDU und CSU die Blockade bei der Aufhebung des PV-Ausbaudeckels bei einer erreichten PV-Kapazität von 52 Gigawatt dann aufgeben. Und dass sie die Blockade der Anhebung des 15-GW-Deckels für den Offshore-Windkraftausbau bis 2030 auf das Niveau von 20 GW fallen lassen.
Dass die Merkelregierung nicht ehrlich spielt, war schon vor den Ministerpräsidententreffen zu erkennen. Erst hatte ein Papier aus dem CDU-geführten Bundeswirtschaftsministerium in Aussicht gestellt, diesen Kompromiss zu unterstützen. Doch schon eine Mediennachfrage bei einer Pressesprecherin des Ministeriums hatte zur Rücknahme dieser Klarheit geführt: Die Sprecherin hatte das Kompromisspapier bestätigt und dabei zugleich den Inhalt des Papiers so wiedergegeben, dass es einer Bestätigung der früheren Position des Ministeriums gleichkam: Der pauschale Abstand von mindestens 1.000 Metern kommt. Bundesländer dürften davon nur abweichen, wenn sie das offiziell beschließen – wobei wohl kaum eine Landesregierung den Mut zum abweichenden Verhalten aufbringen dürfte, angesichts zu erwartender gut organisierter Anti-Windkraftkampagnen.
Und ganz kurz vor den Ministerpräsidententreffen hatte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier den Kompromissvorschlag sogar für ungültig erklären lassen. Er sei nicht autorisiert gewesen. Und wohlgemerkt – die nun vollzogenen Nicht-Entscheidungen geschahen zu einem Zeitpunkt, an dem eine bevorstehende Einschränkung der parlamentarischen und koalitionären Entscheidungsprozesse durch die Corona-Krise schon absehbar waren.
Dieser Hintergrund ist daher ein wichtiger Maßstab für die Rede der Kanzlerin zu Corona: Zur Krise spricht die CDU-Politikerin lieber, als zu langfristigen Konzepten ihrer Energiepolitik.
Was sie besser gesagt hätte
Merkel hätte ja auch sagen können: Die Corona-Krise wird vorbei gehen und deshalb werde ihre Regierung einerseits dringend notwendige wirtschaftliche Sofortmaßnahmen wie finanzielle Hilfen auch sofort einleiten. Und sie werde andererseits vorher verschleppte dringliche Entscheidungen nicht mehr liegen lassen. Hat sie nicht. Nur dies hätte den Menschen wirklich Mut gemacht.
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