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Kommentar Windenergie Baden-Württemberg

Was Winfried Kretschmann jetzt tun muss

Die Halbjahresbilanz der neuen Windparkanschlüsse der Windenergieverbände VDMA Power Systems und BWE ist eindeutig: Drei Jahre nach Bildung der ersten grün-roten Landesregierung und der Ausrufung einer Energiewende mit jährlich 100 bis 150 neu installierten Windenergieanlagen ist Baden-Württemberg Windkraft noch weit entfernt davon aufzublühen. Dabei haben auch eher weniger Ungeduldige nach Bekanntwerden der grün-roten Gesetzesagenda 2012 eigentlich den merklichen Start des Windkraftausbaus ab 2014 Jahr erwartet. Zur Erinnerung: Baden-Württemberg muss einen kraftraubenden Kaltstart wagen. Im Ländle hatten CDU-geführte Vorgängerregierungen mit Windflächenausweisungen in windstillen Arealen und regelrechten Negativ-Kampagnen alle Projektplanungen zum Erliegen gebracht. Die Diskussion der da ansetzenden grün-roten Reformen, das Ausarbeiten alleine neuer Windparkflächenausweisungen in den damit beauftragten Kommunen brauchte Zeit.

Auffällig ist aber das anhaltende Stillschweigen in Stuttgart. Keine Pressemitteilungen, nichts. Fast nichts: Ministerpräsident Winfried Kretschmann soll von Übergangsproblemen gesprochen haben, hieß es am Dienstag und gestrigen Mittwoch nach Bekanntgabe der BWE/VDMA-Statistik aus südwestdeutschen Medien. Womöglich haben sich Kretschmann und seine Minister die Botschaften für das SWR-Interview heute Abend aufgespart. Dem Gespräch in der Sendung („Zur Sache Baden-Württemberg“, 20.15 Uhr) folgt laut Ankündigung auch das Feature „Scheitert die Landesregierung bei der Windkraft?“.

Kurshalten und dennoch weg vom Bürgerschreck-Image

Doch dahinter steckt ein grundsätzliches Problem einer Regierung, die ihre Windenergiewende-Politik wie keine andere in Deutschland darauf ausgerichtet, niemandem weh zu tun. Mag sein, dass die Vertreter der früheren Bürgerschreckpartei im vorher immer CDU-regierten Ländle besonders vorsichtig sein müssen – zumal die wirtschaftliche und politische Führungselite von Mannheim bis Friedrichshafen dieses Feindbild noch bis vor der Regierungsübernahme mit Leidenschaft pflegte.

Doch es geht nicht auf. Die Windkraftoffensive ist mit komplexen Gesetzesinitiativen und Verordnungen gepflastert. So komplex wie die Zielsetzungen, die ebenfalls allen nutzen soll: Die Kommunen sollen anders als bisher selbst bestimmen, wo sie Windkraft zulassen. Die Wertschöpfung soll durch hohe Bürgerbeteiligung oder Einbindung der Kommunen großteils im Ländle bleiben. Der Artenschutz soll besonders beachtet sein. Auch die Mitsprache der Bürger soll generell gestärkt sein. Und dann hütet sich Stuttgart davor, die bisher windenergiefeindlichen Beamten in den Regierungspräsidien zu vergrätzen

„Wir wollen einen sauberen Ausbau der Windkraft, keinen mit der Brechstange und Verletzungen bei allen Beteiligten“, schreibt auch jetzt noch Pressesprecher Ralf Heineken im Umweltministerium an ERNEUERBARE ENERGIEN. Und erklärt: „Das ist nicht einfach, .. Ausbau und Natur- und Artenschutz unter einen Hut zu bringen, gehört dazu. Und es kostet Zeit. Beschleunigung auf Kosten einzelner Beteiligter wollen wir nicht.“

Zugegeben: Stuttgart hat vieles angeschoben. Vor wenigen Tagen erst verabschiedete der Landtag des Integrierte Energie- und Klimaschutzkonzept, davor lagen die Ausarbeitung von naturschutzrechtlichen Tierartenkatastern, ein Klimaschutzgesetz sowie eben Regelungen über die Zuständigkeit der Kommunen für die Windkraft. Anfang 2014 hatte der grüne Umweltminister auch erste 69 eingereichte konkrete Windparkbauanträge für 227 Anlagen bilanziert. 24 Turbinen seien im ersten Halbjahr 2014 auch genehmigt worden, heißt es jetzt.

Niemandem weht tun geht nicht

Doch wenn Wirtschaftspolitik zu 50 Prozent Psychologie ist, wie es in Deutschland gerne heißt, muss die Landesregierung ihre Zaghaftigkeit korrigieren. Fatal ist in diesem Zusammenhang, dass der Ministerpräsident im heute veröffentlichten Interview mit der Zeitung Stuttgarter Nachrichten mit Bezug auf die Windkraft, aber ohne auf die neue Ausbau-Statistik einzugehen, sagt: Es brauche „eine zweite Legislaturperiode … um die Dinge, die man angefangen hat, zu festigen.“ Fatal, wenn CDU und FDP jetzt genüsslich auf eine Pressekonferenz im vergangenen Jahr verweisen können, wo Kretschmann sich schweigend fast schon schmähhafte Ausführungen seines sozialdemokratischen Amtskollegen Torsten Albig anhörte. Der, auch ein Windkraftfreund, hatte unwidersprochen vom daneben sitzenden Kretschmann gesagt: „Der schlechteste Windkraft-Standort in Schleswig-Holstein ist deutlich besser als der beste Windkraft-Standort in Baden-Württemberg.“ Es war live im Fernsehen zu sehen. Fatal auch, wenn jetzt der auf Energiewendelinie gebrachte halbstaatliche Energiekonzern EnBW eine Kooperation mit mehreren Kommunen bekannt gibt, sich gemeinsam an zahlreichen Windenergieprojekten anderswo in Deutschland zu beteiligen. Noch 2012 hatte EnBW für diese Kooperationen neue Wind-Projekte in Baden-Württemberg ins Spiel gebracht.

Selbst im Nachbarland Bayern ist Windenergie von heute auf morgen schneller vorangegangen. Auch in Bayern gibt es nun Streit, München steuert wieder in die Gegenrichtung. Der Unterschied zu Stuttgart: Der Streit wird hörbar ausgetragen. So müsste auch Grün-Rot sagen, was die Regierung ihren Bürgern künftig zumutet und was nicht. Diese Schmerzen sind nicht zu vermeiden. Denn alles außer schlafen oder sich mit Überzeugung liebkosen tut wohl weh.

(Tilman Weber)