Brexit, Flüchtlinge, Populisten, Terrorismus, Angst vor Russland: Das sind die von Europas Regierungen ausgemachten Gefahren, gegen die sich eine aufgeklärte Zivilgesellschaft um ihre Führungseliten zusammenschließen könnte. Die Suche nach positiven Bindungskräften ist schwieriger: Hier muss vorerst die abstrakte Formel „Die Idee Europas“ herhalten.
Das Problem ist: Es gibt diesen Konsens für die Europäische Union (EU) nicht. Nüchtern betrachtet muss vielleicht sogar gelernt werden: Es hat ihn nie gegeben. Vielleicht gab und gibt es nur mehr oder weniger demokratisch entschiedene Vereinbarungen, an die sich die Länder gehalten haben. In Demokratien gilt ja nicht die Einmütigkeit sondern die Mehrheit einer Entscheidung als bindend. Und wo diese Entscheidungen als fair und transparent nachvollzogen werden könnten, entwickelte die EU eine große positive Bindungskraft.
Genau das ist, wofür gerade die Unterstützer der europaweiten Energiewende jetzt zu kämpfen haben: für die Einhaltung von Vereinbarungen – nicht für den aberwitzigen Traum vom tiefen Konsens.
Beispiel Großbritannien und Brexit – Britanniens Exit aus der EU, für den sich bei einem Referendum im Juni eine Mehrheit der Briten entschieden hatte: Gerne würden die überwiegend konservativen Regierungen uns Bürger und Wirtschaftsakteure hinter einer Angst vor der Schwächung der EU versammeln, einer Angst auch vor wirtschaftlichen Folgen. Doch diese Konsenssuche lenkt das Energiewende-Lager von entscheidenderen Vorgängen in Großbritannien ab. Dort löst die bisherige Innenministerin aus der konservativen Partei, Theresa May, den konservativen Regierungschef David Cameron ab. Der Prime-Minister hatte den Brexit als seine Niederlage gewertet und war zurückgetreten. May, Befürworterin eines Verbleibs in der EU, spricht nun mit ihren europäischen Partnern über neue Verträge, mit denen Großbritannien möglichst viel wirtschaftliche, sicherheitspolitische und militärische Zusammenarbeit beibehalten soll.
Vorsicht vor dem echten Brexit!
Vielleicht findet hier in Wirklichkeit also gar kein Brexit statt. An anderer Stelle wird er hingegen gerade vollzogen, auch wenn ihn dort niemand so nennt: So hat May das Ministerium für Energie und Klima aufgelöst – in London DECC genannt – und die Zuständigkeit für Energie dem Wirtschaftsministerium zugeschanzt. Das Klima kommt in keinem Ministeriumsnamen mehr vor. Vielleicht wird es nun im Umweltministerium betreut. Dumm nur, dass May hier die ehemalige Klimawandel-Leugnerin Andrea Leadsom als Chefin ernannt hat. Erneuerbaren-Verbände, Umweltschützer und Oppositionspolitiker der Insel haben jedenfalls teils heftig gegen die Unterschlagung des Klimas im Ministeriumsnamen protestiert und fürchten eine Kehrtwende.
Manche von ihnen beruhigen sich damit, dass May den früheren Staatssekretär des DECC zum Chef des Wirtschaftsministeriums berufen hat. Dieser, Creg Clark, gilt als konservativer Umweltschützer. Leider nur hat er bereits für den nächsten Angriff auf eine echte britische Energiewende direkt Partei ergriffen: Ende dieser Woche will Atomstromkonzern EDF entscheiden, ob er sein Investment in das geplante Drei-Gigawatt-Kraftwerk Hinkley Point C an der englischen Kanalküste tätigt. Dabei soll das teure Projekt mit einem 35-Jahres-Vertrag eine gesicherte, gleichmäßige, hohe Vergütung erhalten. Atomkraftgegner errechneten, dass es um 100 Pfund pro Megawattstunde (MWh) gehe, 118 Euro pro MWh beziehungsweise 11,8 Cent pro Kilowattstunde (kWh). Gemäß Vor-Brexit-Wechselkursniveau wären es sogar 14 Cent. Das entspräche einer garantierten Bezahlung weit über der aller erneuerbaren Energien in Deutschland. Selbst für die teuren Meereswindparks zahlen die Netzbetreiber hierzulande umgerechnet rund 12 Cent pro kWh, aber nur 20 Jahre lang.
All das hat die sonst vor unfairen Subventionen warnende EU genehmigt. Und was sagt der neue Wirtschaftsminister Clark? “Neue Atomenergie ist ein essenzieller Teil unseres Plans für ein sicheres, sauberes und erschwingliches Energiesystem …. Das ist eine Willkommens-Entscheidung für EDF und wir freuen uns auf das Ergebnis“, erklärte er jüngst.
Bau des AKW Hinkley Point ist Frontalangriff auf Energiewende
Kämpfen müssten die Energiewendeanhänger Europas nicht für einen abstrakten Konsens aller EU-Freunde – sondern für die Einhaltung der Energiewendebeschlüsse der EU. Dazu gehört ganz zentral der Ausbau der Erneuerbaren zu einem immer höheren Anteil an der Energieversorgung, der mit dem Zubau Hinkley Points ad absurdum geführt würde. Der Atommeiler soll alleine sieben Prozent des britischen Strombedarfs einspeisen.
Doch auch an anderer Stelle muss der Streit für die Einhaltung der Energiewendebeschlüsse geführt werden: So haben die von der Umweltschutzorganisation Greenpeace veröffentlichen geheimen Papiere aus den Verhandlungen über das Freihandelsabkommen TTIP einen Angriff auf die Erneuerbaren offenbart. Die zwischen USA und EU verhandelten TTIP-Regeln sehen demnach auch vor, dass konventionelle Energieversorger gegen den Vorrang der Erneuerbaren beim Einspeisen ins Stromnetz klagen können. Es wäre das Ende für jede Energiewende, bestenfalls bliebe sie auf dem erreichten Niveau der Grünstromversorgung stehen – so ist zu befürchten.
Klagerecht gegen Vorrang der Erneuerbaren droht
Konsens – welcher Konsens? Die EU-Kommission will das geplante Freihandelsabkommen mit Kanada, Ceta, als Vorbild für TTIP auf Probe in Kraft treten lassen. Erst danach dürfen die Parlamente entscheiden, meint die Kommission. Wenn Ceta startet, sagen mahnende Stimmen, ist TTIP schon mitbeschlossen. Denn viele in Kanada ansässige US-amerikanische Firmen können dann die Freihandelsregeln für sich mitnutzen – und dann gelten diese irgendwann für die gesamte US-Wirtschaft.
Hier kann es keinen Konsens geben. Die Befürworter einer glaubwürdigen EU und der Energiewende müssen auf die Einhaltung der EU-weiten Vereinbarungen zur Expansion und Förderung der erneuerbaren Energien bestehen. Dafür lohnt sich zu kämpfen.
(Tilman Weber)