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Energiewende

Die zehn Ukrainekrise-Gewinner

Ob real, vorgetäuscht oder aus einer Mischung von Naivität und heimlicher Interessen herbeigeredet: Anlässlich des ukrainischen Bürgerkriegs herrscht in Europa Angst vor einer Abhängigkeit von Wladimir Putin. Politiker und große Medien warnen vor einer Erpressbarkeit durch Abhängigkeit von russischem Gas in der Energieversorgung. Diese Angst ist offenbar ein unerschöpflicher Quell´. Immer mehr Energieanbieter setzen ihre Güter in Marketingaktionen als „Alternative zum russischen Gas“. Oft sind es Angebote für die Energiewende – zuletzt waren es häufig auch solche, die stark gegen die Energiewende gerichtet sind. Lesen Sie hier, wer in Wahrheit die zehn Ukrainekrise-Gewinner sind:

  • Die erneuerbaren Energien an sich: Die EU-Kommissarin für Klimaschutz, Connie Hedegaard, verlangte Anfang Juni die Krise in der Ukraine als einen „Weckruf“ für die europäischen Staaten wahrzunehmen, um von russischem Gas auf erneuerbare Energiequellen umzusteigen.
  • Die Solarenergie und insbesondere das Desertec-Projekt: Schon Ende März sprach sich Grünen-Chefin Simone Peter in einem Interview mit der Zeitung Welt am Sonntag für eine Energiepartnerschaft etwa mit Algerien aus. Die Nordafrikaner könnten Deutschland Gas liefern, spekulierte sie, im Gegenzug könnte das nordafrikanische Land vom deutschen Know-how bei Sonnenenergie-Technologien profitieren. Die in Hamburg ansässige Desertec-Stiftung will seit ihrer Gründung 2009 dasselbe: Einen afrikanisch-arabischen Gürtel der intensiven Wüsten-Stromerzeugung mit mittelgroßen und sehr großen Wind- und Solarparks schaffen. Der vor allem mit der Technik der konzentrierten Solarenergie erzeugte Strom sollte nach dem Willen der inzwischen leiser gewordenen Desertec-Stiftung hauptsächlich durch neu zu installierende Leitungen nach Europa geleitet werden. Die Anlagen sollten nach der Absicht von Desertec vor allem europäische Unternehmen liefern.
  • Die Windenergie: Der Präsident des europäischen Windenergieverbands EWEA, Andrew Garrad, witterte die vermeintliche historische Gelegenheit für eine nicht mehr angezweifelte Akzeptanz der Windkraft schon im März bei der europäischen Windenergiekonferenz in Barcelona: „Mr Putin cannot turn off the tap that supplies our wind, our free indigenous fuel”, rief er in seiner Eröffnungsrede den Konferenzbesuchern zu. „Herr Putin kann beim Wind keinen Hahn zudrehen, unserem freien natürlichen Treibstoff“, sagte er also.
  • Die Geothermie: Erwin Knapek, Vorsitzender des Wirtschaftsforum Geothermie (WFG) und Präsident des Bundesverband Geothermie e.V. (GtV) sieht die Zeit der Geothermie gerade in der Ukraine-Krise gekommen: „In Deutschland muss unbedingt öfter über Erdwärme nachgedacht werden“, sagte Knapek bereits Ende Mai. Die Gründe dafür liegen für ihn auf der Hand: „Tiefengeothermie ist eine absolut klimaneutrale Energieform mit extrem hoher Verfügbarkeit ... “ – also praktisch wie Gas? – „… und hervorragender ökologischer Bilanz“.
  • Auch die Bioenergie: Unfreiwillig klang diese Forderung sogar nach einer Drohung: „Wenn Russland der Ukraine den Erdgashahn zudreht, sollte Gabriel das heimische Biogas fördern und nicht behindern“, sagte Hermann Falk, Geschäftsführer des Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE), im Juni in Bezug auf die EEG-Reform-Pläne der Bundesregierung. Die Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) in Deutschland wird demnächst der Bioenergie und insbesondere der Biogasverstromung eine bewusst nur noch stark begrenzte Rolle zuschreiben.
  • Die US-amerikanische Flüssiggasindustrie: Anfang Juni beschloss die G7 als Gremium der wichtigsten und mit den USA befreundeten Industriestaaten: Als Reaktion auf die Ukrainekrise und den damit einhergegangenen Lieferstopp russischen Gases in die Ukraine sollen die G7 größere Gasspeicher und mehr Gaspipelines einrichten. Am meisten Aufmerksamkeit aber erregte der Beschluss, künftig auch auf Flüssiggas-Importe zu setzen. Diese dürften dann vor allem aus den USA kommen, wo das Gas dafür aus Fracking-Projekten stammt. Allerdings existieren die Kapazitäten in den Vereinigten Staaten für die Verflüssigung für den Exportmarkt bisher noch nicht.
  • Fracking auch in Deutschland: „Schiefergas ist der einzige Weg aus der Abhängigkeit von Russland“, schreibt die Zeitung Die Welt in einem redaktionellen Meinungsartikel am 9.6. kategorisch. Auch die Wochenzeitung Die Zeit hat Mitte Juni gegen den bisher starken öffentlichen Anti-Fracking-Widerstand angeschrieben. Es gehe ohnehin „allein darum, ob unter strengen Umweltauflagen außerhalb von Wasserschutzgebieten erste Probebohrungen gestattet werden“. Den Bezug zu Putin und zur Abhängigkeit von russischem Gas stellt der Autor lediglich indirekt – aber mit einem Kniff im Satzbau her: „Selbst wenn es das Problem der Abhängigkeit vom russischen Gas“ nicht gäbe, schreibt er in der Mitte seines Essays, sei Fracking eine viel bessere Quelle für einen zur Stromerzeugung benötigten Rohstoff als Erdgas selbst. Nur Fracking senke die Gaspreise und damit die Nebenkosten der Stromenergiewende in Deutschland. Als Nebenkosten der Energiewende gelten die Ausgaben für die Gasbeschaffung deshalb, weil der Rohstoff in Kraftwerken verfeuert werden muss, um ergänzend Strom bei Windflauten oder Dunkelheit zu produzieren.
  • Das Einfrieren der Energiewende und vielleicht sogar zurück zur Atomkraft? So klar drückt Hans-Werner Sinn seine Forderung nicht aus, der als strenger Verfechter freier Marktwirtschaft bekannte Wirtschaftsberater und Chef des Münchner Ifo-Instituts. Unter der Überschrift „Putin und der Zappelstrom“ warnt er am 17.6. davor, auf jegliche Alternative zu russischem Gas zu setzen, wie beispielsweise das Fracking – das Herauspressen von Gas aus Schieferschichten mittels einem Wasser-Chemikalien-Gemisch – oder den Ausbau von Pumpspeichern. All das seien keine empfehlenswerten Alternativen, da nur Russland ausreichend Gas liefern könne. Und der Ausbau von Methanspeichern für künstlich aus Strom und CO2 erzeugtes Gas sei unsinnig. Denn diese Methode vernichte bei der Umwandlung des einen in den anderen Energieträgers zu viel Energie – und verteure daher die Energiewende noch mehr. Sinn sieht ein Problem im von ihm so genannten „Zappelstrom“ aus Wind- und Solarenergieanlagen. Deren unregelmäßig erzeugter Strom „zappele“ durch das Netz und verlange gigantische Mengen an ausgleichender elektrischer Energie, um die Stromversorgung im Einklang mit dem Verbrauch wieder zu verstetigen. „Wenn wir wie geplant unsere noch laufenden Atomkraftwerke abschalten und voll auf den Wind- und Sonnenstrom setzen, wird sich die Abhängigkeit von Russland weiter erhöhen – und die Versorgungssicherheit verringern“, stellt er zum Abschluss seines Beitrags suggestiv fest. Wer da schließt, die Energiewende besser erstmal anzuhalten, dürfte die Lehre bei Sinn mutmaßlich verstanden haben.
  • Ja, die Atomkraft! „Die deutsche Atomangst ist Putins Lebenselixier, die Energiewende eine sprudelnde Einnahmequelle des russischen Staatshaushalts“, schrieb die Berliner Zeitung Tagesspiegel schon im März. Und suggerierte so, dass Atomkraft die Lehre aus der Ukrainekrise sein müsse.
  • Das Öl. Ausgerechnet die Grünen-nahe Tageszeitung „taz“ in Berlin plädiert für Öl, wenn auch nur ein ganz klein wenig und eher versteckt hinter den Worten eines anderen: Georg Zachmann, Energieexperte der Brüsseler Denkfabrik Bruegel. In einer Studie hat er dargelegt, wie Europa sich binnen nur eines Jahres vom russischen Erdgas gänzlich unabhängig machen könne. Kurzfristig, schließt er, ließe sich in der „Stromerzeugung und beim Heizen Gas durch Öl ersetzen“. Er räumt noch ein, dass das auch häufig aus Russland stamme.
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    Tilman Weber

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