Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum ist der Zubau der Onshore-Windkraft um winzige 0,2 Prozent auf 238 neue Anlagen mit 977 Megawatt (MW) in Deutschland zurückgegangen. Nicht schlimm, könnte man sagen – wären die Ausbauzahlen nicht allgemein viel zu niedrig. Eine neue Analyse der Deutschen Windguard, durchgeführt im Auftrag der Branchenverbände BWE und VDMA Power Systems, beleuchtet die aktuelle Entwicklung.
Zunächst die Fakten: Die kumulierte Bestandsleistung steigt damit auf 56,85 Gigawatt (GW) und 28.287 Anlagen. Errichtet wurden die neuen Turbinen zu rund 80 Prozent in nur vier Bundesländern: Allen voran Schleswig-Holstein mit 280 MW Brutto-Zubau, was einem Anteil von 29 Prozent entspricht. Zurückgebaut wurden dort 47 MW. Nordrhein-Westfalen (187 MW), Brandenburg (172 MW) und Niedersachsen (142 MW) folgen. Die übrigen Bundesländer haben derweil wenig beigetragen: Baden-Württemberg kommt mit 21 MW auf zwei Prozent, Bayern mit 9 MW auf 1 Prozent – Flächenländer, deren Fläche in Sachen Windenergie bisher nicht zum Tragen gekommen ist.
Das Problem: Derzeit klafft zwischen den ambitionierten Ausbauzielen der Bundesregierung und dem Ausbautempo eine enorme Lücke. Anna-Kathrin Wallasch von der Deutschen Windguard stellte der Presse nicht nur die bisherigen Ausbauzahlen, sondern auch die Ziele vor: „Die letzte Ausschreibung von Mai blieb unterhalb des Ausschreibungsvolumens. Dort wird es also keinen Wettbewerb geben. Der Zuschlagswert lag mit 5,79 Cent pro Kilowattstunde knapp unter dem zulässigen Höchstwert von 5,88 Cent.“ Die Bundesnetzagentur BNetzA hat im ersten Halbjahr 2022 zwei Ausschreibungsrunden für Windenergie an Land durchgeführt. Insgesamt wurden 2.648 MW ausgeschrieben, für 2.263 MW konnten Zuschläge vergeben werden. 2023 gibt es dann ein einmaliges Rekord-Ausschreibungsvolumen von 12,84 GW für Onshore-Windenergie, danach sind jährlich 10 GW geplant.
Doch was nützt das schönste Ausschreibungsvolumen, wenn es nicht gefüllt werden kann? Hauptproblem sind nach wie vor die Genehmigungen. Hermann Albers, Präsident des Bundesverbands Windenergie, erklärte, Genehmigungsverfahren in der Windkraft längen in Deutschland derzeit bei einem Zeitraum von 60 Monaten im Durchschnitt. Und er erwarte nicht, dass sich das deutlich verändern werde, etwa durch das EEG 2023. Er rechne sogar eher mit einer zeitliche Zunahme. Er verwies auf die Hochgeschwindigkeitsgenehmigungen für LNG-Terminals – mit nur drei Monaten Genehmigungsfrist. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg, könnte man sagen. Und das auch im positiven Sinne, denn der politische Wille der Vorgängerregierung war nicht erkennbar. Nun ist er es schon – und das könnte auch auf die unteren Ebenen, auf Länder, Kommunen, Behörden, abfärben. Das bleibt zumindest zu hoffen, will man Ausbauziele und Autarkieträume der Deutschen nicht gleich wieder beerdigen.
Gleichwohl sehen nicht alle Landesväter die Notwendigkeit für den Ausbau der Erneuerbaren. Ausnahmsweise war es hier einmal nicht Marcus Söder, der als Beispiel diente, sondern Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg, den Albers in Sachen Windausbau zitierte mit: „Wir haben andere Pläne.“ Im SWR heißt es, beim Ziel von 1.000 neuen Windrädern bis zur nächsten Landtagswahl habe Kretschmann abgewunken. Die Hälfte will er nur laut FAZ.
Flächen sind dabei das große Streitthema. Der BWE-Präsident kritisierte, dass die Festschreibung von zwei Prozent der Fläche jedes Bundeslandes für die Windkraft erst ab dem Jahr 2032 gelten soll. Nach dem Beschluss des Bundestags sollen bis 2027 1,4 Prozent der Flächen für Windenergie bereitstehen. Derzeit sind es 0,8 Prozent. Gleichwohl, mit Blick auf das dünn besiedelte Küstenland Mecklenburg-Vorpommern, in dem in den ersten sechs Monaten dieses Jahre gerade mal acht Windturbinen installiert wurden, erklärte Albers: „Windenergie wäre eine Chance für das Land.“ Die Erwartungen von Landeschefin Schwesig für Nordstream 2 seien wohl so hoch gewesen, dass man darüber die Windkraft nicht so im Fokus gehabt habe. Er riet der Regierung von Mecklenburg-Vorpommern, die Chance der Windenergie zu nutzen: „Die Industrie folgt dann bald nach.“
Die Windbranche erwartet jedenfalls eine Lücke im Windausbau in den nächsten Jahren. Die Zubauziele von 4,5 GW 2023 (EEG 2021) und 5 GW 2024 drohen verfehlt zu werden. Auch wenn Dennis Rendschmidt, Geschäftsführer VDMA Power Systems, betonte, die Industrie könne die gewünschten Kapazitäten bereitstellen. Albers und Rendschmidt sehen derzeit im Repowering eine Chance, die Ziele doch zu erreichen. Dafür müsste die Gesetzgebung allerdings Klarheit schaffen, dass Repowering-Anlagen wie im Koalitionsvertrag angekündigt, deutlich vereinfachte Genehmigungswege gehen könnten und auf denselben Flächen entstehen könnten, wo bisher die alten Anlagen standen.