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Interview mit Siemens-CTO

„Produktentwicklung auch regional"

Wie ERNEUERBARE ENERGIEN in der Druckausgabe von Dezember berichtet, stecken hinter den zuletzt im September angekündigten Regionalisierungen unterschiedlich weitreichende Zielsetzungen. Siemens Wind Power wurde im September in drei regionale Teile unterschieden – eine Division für den Asien-Pazifik-Raum, eine für Europa mit Afrika und Mittlerem Osten (EMEA - Europe, Middle East, Africa) und die dritte für Gesamtamerika. Henrik Stiesdal, Chief Technical Officer (CTO) der Windkraftsparte des deutschen Technologiekonzerns, spricht über sehr weitreichende Ziele der neuen Unternehmensorganisation

ERNEUERBARE ENERGIEN: Es klingt paradox: Die Siemens-Windenergiesparte reformiert ihre Firmenstruktur in regionale Einheiten, während sie die Globalisierung des Windradgeschäfts insgesamt forciert. Was steckt dahinter?

Henrik Stiesdal: Da müssen möglicherweise zunächst die Begriffe geklärt werden. Schauen Sie auf den von Siemens 2004 übernommenen dänischen Windturbinenhersteller AN Bonus: Das war sehr stark eine regionale Firma, die mit ihrem Geschäft nur eine Region abdeckte. Wir …

ERNEUERBARE ENERGIEN: … als Sie damals schon Entwicklungschef bei Bonus waren ...

Stiesdal: … hatten ein Geschäft in den USA, aber konzentrierten uns auf Europa. In diesem Sinne waren wir ein regionales Unternehmen, deckten die Region Europa ab. Globalisierung andererseits heißt, dass Sie wirklich ein weltweites Unternehmen mit einer Präsenz in allen Regionen werden. Wenn Sie heute von Regionalisierung in der Windenergiebranche reden, dann wird das normalerweise so verstanden, dass Sie ihre Präsenz in allen Regionen der Welt stärken. Es geht hier sicherlich nicht um einen Widerspruch zur Globalisierung, nein, ganz im Gegenteil. Globalisierende Unternehmen müssen sich die Frage beantworten: Wollen Sie wirklich raus in die Regionen gehen, oder wollen Sie zentralisiert bleiben. Das sind die aktuellen Schlüsseloptionen. Wir bei Siemens Wind Power werden uns stärker regionalisieren – in unserer gesamten Organisation.

ERNEUERBARE ENERGIEN: Ist dies allein auf die Bedürfnisse der Verkaufssparte Ihres Unternehmens zugeschnitten, besser Zugang zu Kunden und regionalen Märkten zu gewinnen?

Stiesdal: Diese Regionalisierung dient auch den Zwecken der Ingenieure und der Zulieferkette. Beide Bereiche sind heute in einem Unternehmen wie Siemens Wind wesentlich zentralisiert. Wir haben bisher zwar schon unseren Verkauf regionalisiert und wir haben regionale Fabriken. Aber diese Fabriken gehörten zur zentralen Organisation. Hauptunterschied in näherer Zukunft wird es sein, dass diese Fabriken auch zu den Regionen gehören – und dass mehr Forschung und Entwicklung auch regional stattfinden wird.

ERNEUERBARE ENERGIEN: Geht es konkreter? Ist der Zweck der bessere Zugang zu regionalen Ingenieuren – oder, dass Sie den regionalen Fokus auf Technologie etablieren?

Stiesdal: Exakt. Schlussendlich geht es darum, den Bedürfnissen der Kunden besser gerecht zu werden, diesen auf Augenhöhe zu begegnen, mit den gleichen Begriffen und denselben Voraussetzungen. Dies schließt Produktanpassungen an Kundenwünsche der spezifischen Märkte ein. Wir können nicht exakt dasselbe Windrad in Indien verkaufen wie in Dänemark oder Deutschland. Es braucht eine Anpassung eines jeden Produkts für jeden Markt. Eine Herangehensweise könnte darin bestehen, dass wir handeln wir bisher: Lasst uns unsere guten dänischen Ingenieure mit solchen Anpassungen betrauen. Nun wird es anders. Diejenigen, die am besten dafür geeignet sind, Produkte und Produktion an regionale Bedürfnisse anzupassen, werden vor Ort platziert werden.

ERNEUERBARE ENERGIEN: Muss also Personal von einer regionalen Einheit zu einer anderen wechseln?

Stiesdal: Wir machen nichts nur als neuen Anstrich auf etwas Unverändertes – oder nur um in der Presse tougher rüberzukommen. Schauen Sie zuerst einmal auf unsere Zulieferkette. Die Fabriken in den USA, die dort existieren, sie existieren. Und die Mitarbeiter sind dort und sie werden dort bleiben. Aber in der Zukunft werden sie zu einer mehr regionalen Organisation gehören, der Wind Power Business Unit Americas. Oder schauen Sie sich die Ingenieursseite an, wo wir bereits Ingenieure in den Regionen haben. In Zukunft werden wir schneller in den nicht-zentralisierten als in den zentralisierten Funktionen wachsen. Wir werden unsere zentralisierte Forschungsabteilung und die großen, weltweit verstreuten Forschungszentralen dort belassen, wo sie jetzt sind. Aber es wird stärkere Forschungsanstrengungen draußen in den Regionen geben – und wir werden unsere Anpassungsentwicklungen und die Produktunterstützung durch die Ingenieure dort draußen merklich verstärken.

ERNEUERBARE ENERGIEN: Sie wollen betonen: Für die neue Struktur bei Siemens Wind Power werden Mitarbeiter nicht in bedeutender Zahl von einem Ort zum anderen versetzt?

Stiesdal: Wenn wir in unseren früheren Tagen die Forschungsanstrengungen verdoppeln hätten wollen, wäre dies fast zur Gänze im Firmenhauptquartier in Brande passiert. Nun geschieht der größte Teil davon außerhalb Brandes.

ERNEUERBARE ENERGIEN: Ihr Energie-Geschäftsführer, Michael Süß, kündigte jüngst an, Siemens werde Bester in technischen Belangen werden und zugleich Bester in Gesamtkosten pro erzeugter Kilowattstunde. Wie geht dies regional?

Stiesdal: Nehmen Sie die Abdeckung des Maschinenhauses, das so genannte Canopy. Grundsätzlich designen wir das Canopy in Dänemark. Es wird entweder aus Stahl in den älteren Anlagen oder aus feuerbeständigem Glasfasermaterial in unseren neueren Anlagen hergestellt. Jetzt haben wir eine neue Version, sie wurde in China mitentwickelt. Nicht ganz überraschend zeigen sich die chinesischen Ingenieure besser darin, Dinge zu vereinfachen, als wir in Dänemark. Sie haben eine andere Erziehung, eine andere Bildung hinter sich. Und während wir uns dem Wettbewerb in China stellen als einen Markt mit starkem Preiswettkämpfen, müssen wir es wie die chinesischen Ingenieure tun: Der Mehrwert dessen, eine globale Windradfirma zu sein, ist es, dass welche cleveren Dinge sie auch immer an einem Canopy anstellen, dass diese dann generell als Design in andere Länder exportiert werden können. Und natürlich werden wir das so handhaben.

Zudem gibt es noch eine andere Eigenschaft regionalen Engineerings. Beispiel Indien: Hier mögen Sie nicht immer dieselben Stahl- oder Gusseisenqualitäten bekommen wie in Europa. Also muss jemand den Canopy neu designen, um diesen für lokal erhältliches Material fit zu machen. Solche Redesigns können nicht so leicht exportiert werden, weil sie an sehr lokale Bedingungen geknüpft sind. Die indischen Ingenieure können solche Optimierungen viel besser leisten, denn ihre Fähigkeiten und ihr kultureller Blickwinkel beziehen sich präzise auf den spezifischen Markt. Dasselbe gilt für die Produktionstechnologie. Intellektuell kann ein Europäer natürlich die Notwendigkeit für ein unterschiedliches Denken verstehen – aber dieses ist nicht dasselbe, wie eine beständige intuitive Herangehensweise: Zum Beispiel sind in Indien Arbeitskräfte viel günstiger als in Europa. Während ein europäischer Ingenieur erst lernen muss zu vergessen, dass sein Hauptinteresse Produktions- und Arbeitszeiteinsparungen sind, kann der Inder sofort mit den eigentlichen Herausforderungen des indischen Marktes wie etwa Materialproblemen ansetzen.

ERNEUERBARE ENERGIEN: Lässt sich das Phänomen nicht auch mit einem Verweis auf die Strategien der Autoindustrie verweisen. Schließlich kommt Ihr neuer Chef der Winddivision bei Siemens, Felix Ferlemann, aus dieser Branche. So wie Automobilunternehmen Luxuswagen für Deutschland und zugleich Kleinwagen zum besseren Parken in kleinen Parklücken ebenfalls in Deutschland herstellen, und so wie diese sehr breit gebaute Autos für die Vereinigten Staaten montieren – so könnte es doch auch bei der Windkraft laufen?

Stiesdal: Nein, es wird so nicht getan. Aber die Struktur, wie ich sie gerade beschrieben habe, ist eine Beschreibung dessen, was von den großen deutschen Autobauern schon getan wird. Das wichtigste noch fehlende Verbindungsglied von der Windkraft zu dieser Autoindustrie ist hier, dass unsere neue Division gerade ein paar Wochen alt ist. Sie können nicht auf einen Schlag ein hohes Maß an Kompetenz und Forschung und Entwicklung in den Regionen einrichten. Das braucht Zeit. Was Herr Ferlemann darüber hinaus in unser Leben bringt, ist ein Verständnis dessen, was sich als beste Praktiken in den Verabredungen mit den Zulieferern erwiesen hat und was die besten Praktiken bei regionalen Anpassungen eines Produkts sind. Wir haben jetzt einen neuen CEO, der all dies schon erprobt hat.

ERNEUERBARE ENERGIEN: Wann hat diese Entwicklung eines mehr regionalen Denkens begonnen?

Stiesdal: Bei uns ist das natürlich überhaupt nicht neu. Wir hatten schon bei der Übernahme von Bonus auf der Agenda, dass wir diese Schritte unternehmen werden. Ende 2007 entschieden wir uns für die volle Regionalisierung unserer Verkaufsbereiche. Und wir sagten: Wenn dies wie erhofft funktioniert, muss ein zweiter Schritt folgen. Dieser ist nun an der Reihe und er schließt die Regionalisierung des Engineerings mit ein.

(Tilman Weber)

Auch der Geschäftsführer der Mitteleuropadivision von Vestas, Vestas-Central-Europe-CEO Hans Jørn Rieks, erklärt in einem ERNEUERBARE-ENERGIEN-Gespräch, wie Regionalisierung als Mittel der Globalisierung zum Erfolg der Windturbinenindustrie führen soll. Dabei kann Rieks auf hohe Verkaufszahlen einer zu großen Teilen in Deutschland gebauten und in Deutschland georderten Anlage verweisen …