Als Weltmarktführer mit über 20.000 Beschäftigten auf dem Windbranchenglobus hat Vestas sich schon seit Jahren in regionale Einheiten eingerichtet. Sie sollen im Gesamtkonzern in gewissen Grenzen zunächst ihre strategische und geschäftliche Entwicklung vorantreiben. Rieks ist leitender Geschäftsführer von Vestas Central Europe, der Mitteleuropaabteilung bei Vestas, zu der Deutschland und die Beneluxländer im Westen sowie im Osten die osteuropäischen Länder gehören – mit Ausnahme der Balkanstaaten sowie Griechenlands.
ERNEUERBARE ENERGIEN: Gratulation, dass Ihr überwiegend in Deutschland produziertes Flaggschiff V112 nur Monate nach Produktionsstart im Verkauf die Gigawattmarke gerissen hat. Wie sehr ist dieser Erfolg ein regionaler von Vestas Central Europe?
Hans Jørn Rieks: Das ist ein Ergebnis von Zusammenarbeit. Wir schauen im Gesamtunternehmen gemeinsam, wo geht die Entwicklung für die gesamte Marke Vestas hin. Die Drei-Megawatt-Anlage V112-3.0 MW ist ja konzipiert für mittlere bis niedrige Windgeschwindigkeiten. Und es ist kein Zweifel, dass sie somit für den deutschen Binnenlandmarkt konzipiert ist.
ERNEUERBARE ENERGIEN: Findet da tatsächlich eine Regionalisierung im globalen Windkraftgeschäft statt? Es ist wohl kaum Zufall, dass Anlage und Komponenten vor allem in Deutschland gebaut werden.
Rieks: Das ist natürlich richtig. Die drei großen Komponenten der V112-3.0 MWV112 kommen aus Deutschland: Erstens das Getriebe, das von Bosch-Rexroth mit uns in gemeinsamer Entwicklung entstanden ist. Zweitens die Rotorblätter, die in Lauchhammer gebaut werden, in dem ersten unserer Werke, das wir für dieeine neue Serie komplett umgebaut haben, um hier Marktnähe zu haben. Drittens die neuen Generatoren für die V112, erstmals bei Vestas mit Permanentmagneten. Sie werden in Lübeck gebaut. Das ist für den europäischen Markt und zuvorderst für Deutschland gut, hierhin wird ein großer Anteil dieser Anlagen gehen. Deswegen war es von Anfang an klar, dass die Teile in Europa gebaut werden sollen und primär in Deutschland. Dafür ist die Montage in Dänemark. Einige Gussteile werden in Schweden produziert. Der Grundträger für die Gondel kommt wiederum aus Magdeburg ...
ERNEUERBARE ENERGIEN: ... und die Elektronik wird in Dänemark entwickelt und hergestellt. Hatte vor allem die Verkaufssparte von Vestas Central Europe zur Entwicklung der Anlage getrieben – oder waren es primär hiesige Anforderungen der Windparkplaner?
Rieks: Das kann man nicht genau sagen. Wenn wir neue Anlagen konzipieren, gehen wir davon aus, dass wir eine nächste Generationen von Anlagen bauen, um dieum Kosten pro Kilowattstunde zu reduzieren. Das ist unser allererstes Ziel. In den Entwicklungsschritten geht es zuerst um dasen Business Case: Wo müssen wir weg von vorhandenen Produkten, was machen Wettbewerber, und wo müssen wir uns mit der nächsten Generation von Produkten platzieren. Aber richtig ist auch: Für die V112 haben wir ein Kundengremium gehabt mit Projektentwicklern und Energieversorgen, die uns Input gaben.
Eine neue Anlage wie die V112-3.0 MWV112 besteht aus einer Mischung von gut erprobten Teilen und Teilen, die wir neu entwickeln – wie unseren Permanentmagneten. Und wir haben einige neue Dinge drin, deren Entwicklung natürlich durch länderspezifische Anforderungen getrieben war wie die Netzanschlussvorschriften gemäß der Systemdienstleistungsverordnung in Deutschland. Das ist der regionale Anteil der Anlage, nach dem Sie fragen.
ERNEUERBARE ENERGIEN: Grundsätzlicher gefragt: Die Windkraft wird immer gedrängt, der hochindustrialisierten Automobilindustrie zu folgen. Die vertreibt regionale Marken: breite Autos in den USA, Luxus- oder Kleinwagen in Deutschland. Wie sehr kann ihr die Windindustrie da folgen?
Rieks: Dieser generelle Vergleich fällt uns schwer. Für die Autoindustrie geht es darum, regionalspezifischen Gegebenheiten gerecht zu werden: große Straßen oder kleine, ist Benzin teuer oder billig, Einkommen hoch oder niedrig, wohnt man eher in der Stadt oder auf dem Land. Wir (die Windenergiebranche) bauen Windenergieanlagen für Windkategorien, die verschiedene Windstärken repräsentieren. Dabei gibt es keinen deutschen oder chinesischen Wind. Die verschiedenen Windkategorien erfordern ein entsprechendes Anlagendesign, um den größtmöglichen Energiegewinn aus dem jeweiligen Standort herauszuholen. Die Anforderungen an die Anlage sind dabei von Land zu Land je nach Standort gleich.
Mit unserer Zwei-MW-Produktpalette haben wir jedoch auch ein Beispiel für eine (technologische) Plattform, mit der wir verschiedene Windenergieanlagen entsprechend der Bedürfnisse unserer Kunden zusammenstellen können, wie etwa die V90-2.0 MW oder die V100-1,8MW. Die größere Kostenersparnis erreichen wir bei Vestas jedoch, indem wir in der Region für die Region produzieren.
ERNEUERBARE ENERGIEN: Muss Vestas hierfür auch die eigenen Strukturen weiter anpassen? Oder hat Vestas schlicht schon, was konkurrierende Turbinenbauer wie GE oder Siemens jüngst mit neuen regionalen Gliederungen vollzogen haben?
Rieks: Ich kann nur sagen: Wir glauben an ein globales Unternehmen mit globalem Fußabdruck, aber lokaler Nähe und Kundenfokus. Aber wir haben keine neuen Strukturdiskussion bei Vestas. Wir haben eine dezentrale Struktur, einen ganz kleinen Vorstand mit zwei Personen. Und dann haben wir Geschäftsbereichseinheiten, die darunter liegen, deren Leitungen auch Verantwortung tragen, aber keine Konzernleitung betreiben.
ERNEUERBARE ENERGIEN: Aber für technologische Zwecke setzen Sie ja durchaus vereinzelt auf sehr dezentrale Strukturen: Vestas Central Europe hat ein Monitoring- und Anlagenüberwachungs-Center in Hamburg, das grundsätzliche Beobachtungen anhand aufgezeichneter Betriebsdaten macht, die Daten auswertet und für Verbesserungen der Technologie diese an die Forschungs- und Entwicklungszentrale in Dänemark liefert. Und Sie haben eine Entwicklungsabteilung in Dortmund, in der das Getriebe erforscht wird ...
Rieks: Wir haben auch eine kleinere Entwicklungseinheit im Generatorenwerk in Lübeck, die an Permanentgeneratoren forscht. Und zugleich haben wir international verteilt mehrere Forschungs- und Entwicklungszentren. Aber zu Deutschland: In Dortmund beispielsweise geht es um den gesamten Antriebsstrang – wozu das Designteam Lastkalkulationen macht.
Und auf der ganzen Welt verteilt hat Vestas Performance- und Surveillance-Center zur Leistungsüberwachung unserer Anlagenflotte etabliert, und eines davon steht in Hamburg. Die dort erhobenen Daten werden zentral in einem Riesencomputer in Technology R amp;D in Dänemark empfangen und weiterverarbeitet.
Der Performanceteil der Entwicklung muss von hier in Hamburg (?) erbracht werden – über Anlagenbeobachtungen an bereits installierten Anlangen. Dies gibt dann das Feedback für die Forschung und Entwicklung der Anlagen.
ERNEUERBARE ENERGIEN: Können Sie schon verraten, in welchen Ländern V112 zunächst am häufigsten stehen wird?
Rieks: Primär in Deutschland… Hier stehen bald mit Abstand die meisten Anlagen.
ERNEUERBARE ENERGIEN: Warum ist das so?
Rieks: Deutschland ist ein Land mit wachsenden Flächenbegrenzungen zur Windparkentwicklung. Die V112-3.0MW ist die perfekte Anlage für Kunden, die einen größtmöglichen Output aus Standorten mit schwachen und mittleren Windverhältnissen holen wollen. Dafür wurde die V112 konzipiert. Zudem zeichnet sich Das ist eine gute Frage… Deutschland zeichnet sich dadurch aus, dass man hier große Anlagen haben möchte.
(Tilman Weber)
Auch der Chefentwickler von Siemens Wind Power, Henrik Stiesdal, erklärt in einem ERNEUERBARE-ENERGIEN-Gespräch, wie Regionalisierung als Mittel der Globalisierung zum Erfolg der Windturbinenindustrie führen soll. Stiesdal verfolgt eine besonders konsequente Neudefinition der unternehmerischen Ausrichtung …