Warum veröffentlichten die Windbranchenvertreter am Donnerstag, gleich nach Bekanntgabe der Ergebnisse der fünften Bieterrunde vom 1. Mai, eine kluge Analyse, sprachen aber nicht selbstbewusst vom wieder höheren Strompreis?
Zunächst ist der nun bestätigte Preistrend keineswegs eine Überraschung. Zur Erinnerung: Es war die zweite Auktionsrunde seit Jahresanfang. Seither pausiert auch eine Bürgerwindpark-Sonderregel – sie war im ersten Jahr des Ausschreibungssystems für einen rapiden Verfall der Einspeisevergütungen verantwortlich. Der Bundestag hatte die Bürgerwindregel auf Wunsch der Windbranche bekanntlich vorerst ausgesetzt. Die Förderregel hatte zu spekulativen Niedrigst-Geboten geführt, Investoren der Bürgerwindparks hatten ihre Projekte ohne Baugenehmigungen anbieten dürfen. Bei zudem extralangen Baufristen von vier bis fünf Jahren bis zum Netzanschluss hatten sie auf innerhalb dieses Zeitraum zu erwartende Entwicklungen neuer Windturbinen mit ganz niedrigen Stromgestehungskosten spekuliert, und darauf aufbauend Niedrigstgebote kalkuliert.
Nach Wegfall der Bürgerwindparkregelung stieg das Vergütungsniveau nun also zum zweiten Mal an: Im Durchschnitt werden die Netzbetreiber für die siegreichen Windparkvorhaben 5,73 Cent pro Kilowattstunde (kWh) bezahlen. Der Windstrompreis kehrte so auf das relativ hohe Anfangsniveau des allerersten Tenders von Mai 2017 zurück. Es betrug 5,71 Cent pro kWh.
Fünfte Onshore-Ausschreibung: Projektentwickler bieten weniger an als gefragt
Für den erneuten Preisanstieg im Vergleich zum mengengewichteten Mittelwert 4,73 Cent des ersten Tenders 2018 vom Februar gab es aber einen weiteren Grund: In der insgesamt fünften Ausschreibungsrunde seit Einführung des wettbewerblichen Preisfindungssystems waren bei der Bundesnetzagentur (BNetzA) nur Gebote für 604 Megawatt (MW) neuer Windkraft eingegangen. Ausgeschrieben hatte sie Vergütungszuschläge für eine Erzeugungskapazität von 670 MW. Das bedeutet eine krasse Umkehr des Trends aus 2017: Im Vorjahr hatte die Windbranche mit ihren Geboten das Ausschreibungsvolumen immer um mindestens das Zweieinhalbfache überzeichnet.
Auch die erstmalige Unterzeichnung des Ausschreibungsvolumens lässt sich laut Bundesverband Windenergie (BWE) erklären. Der BWE, die Interessensvertretung der gesamten Branche, lieferte dafür sofort eine kluge Analyse: Die „Ergebnisse aus dem fehlerhaften Ausschreibungsdesign in 2017“ hätten „viele Akteure daran zweifeln lassen, ob mit der genehmigten Anlagentechnik eine erfolgreiche Teilnahme an Ausschreibungen möglich ist“, erklärte der BWE. Aufgrund des Tiefflugs der Preise von 2017 habe „eine ganze Reihe von Akteuren sich entschieden, die Anlagentechnologie durch zeitaufwendige Umgenehmigungen anzupassen.“ Soll heißen: Die Projektentwickler richteten in großer Zahl ihre Projekte ebenfalls auf kommende größere und effizientere Windturbinen aus, die mit den spekulativen Tiefpreisen der Bürgerwindparks mithalten könnten. Dies habe zu Projektverzögerungen „von bis zu drei Jahren“ geführt, argumentiert der BWE. Also: Zumindest auf diejenigen neuen Turbinenmodelle der 3,x- bis 4-MW-Klasse, die zum Zeitpunkt der Ausschreibungen schon lieferbar sind, statt bei den 2,5- bis 3,5-MW-Anlagen des gelegentlich schon etwas zurückliegenden ursprünglichen Projektplanungsstandes zu verbleiben.
Es ist nur die halbe Wahrheit. Denn offenbar hätte die Windbranche trotzdem noch eine derzeit genehmigte Kapazität von 1.384 MW anbieten können. Der BWE nennt drei weitere Argumente, die das dieses Mal zurückhaltende Agieren der Bieter erklärt. So moniert der BWE erstens, dass eine wachsende Zahl der Projektierungen von immer mehr Klagen zu ihrer Verhinderung betroffen sei. Dies lasse die Projektierer mit der Teilnahme an Ausschreibungen zögern. Zumal teilweise noch erfolgreiche Klagen zu erneuten Umgenehmigungen der Projekte führen können, wenn beispielsweise Projektierer die Turbinen an geplanten Stellen wegnehmen müssen und sie dafür anderswo errichten wollen. Zweitens sind laut BWE die Banken nach dem starken Preisverfall im vergangenen Jahr zurückhaltender geworden: Sie verlangten zur Absicherung der Wirtschaftlichkeit bei immer geringeren Vergütungen einen höheren Eigenkapitalanteil an den Finanzierungen. Die Projektierer könnten diesen aber oft nicht sofort bereitstellen – und zögerten schlicht angesichts des für sie erhöhten Finanzierungsrisikos.
Bundestag lässt auf Reform des EEG warten
Drittens hemmt wohl die Verzögerung dringend im Bundestag anstehender Korrekturen an den Ausschreibungsregeln im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) die Projektentwickler. So fordert die Windbranche, dass die im Sommer 2017 ursprünglich nur für die ersten zwei Auktionsrunden im Jahr 2018 ausgesetzte EEG-Bürgerwindparkregel dauerhaft wegfällt. Die Bundesregierung hatte bereits Sympathie dafür erkennen lassen, nur legte sie bisher keinen Gesetzestext dafür zur parlamentarischen Entscheidung vor. Und nun hat sie nur noch bis 8. Juni zur letzten Bundestagssitzung vor der Sommerpause Zeit, damit die Bürgerwindparkregel nicht im nächsten Tender im August noch gilt. Manche Projektierer, so hat der BWE erkannt, zögern daher den Abschluss ihrer Genehmigungsverfahren hinaus. Für sie könnte es nach Wiederinkrafttreten der Sonderregelung von Vorteil sein, ihre ungenehmigten Projekte durch eine finanzielle Beteiligung von Anwohnern zu Bürgerwindparks zu machen. Denn: Im Rahmen der langen Realisierungsfrist (der Bürgerwindparks) ließen sich die Projekte noch für kommende größere und effizientere Windturbinen offenhalten.
Der BWE verlangt zudem, versprochene größere Ausschreibungsvolumen rasch zur Verfügung zu stellen: Im Koalitionsvertrag der vor wenigen Monaten angetretenen neuen Bundesregierung hatten die Regierungsfraktionen CDU/CSU und SPD zusätzliche Sonderausschreibungen von zusammen 4.000 MW für 2019 und 2020 zugesagt. Mit diesen Extra-Volumen müsse die Regierung rasch für Planungssicherheit der Windbranche sorgen, deren Projektepipeline von einem Fadenriss bedroht sei. Der speziell die Windturbinenbauer vertretende Anlagenherstellerverband VDMA forderte am Donnerstag dasselbe: Es sei davon auszugehen, „dass nicht ausreichend in neue Genehmigungen investiert wird, bis das politische Gezerre beendet ist.“
Bitte keine neue Gebotsobergrenze, liebe Bundesnetzagentur! Höchstgebote am Limit.
Allerdings wäre die Lehre aus dem überraschenden Ergebnis der neuesten Ausschreibungsrunde damit noch zu klein. Denn es gibt weitere, weniger augenfällige Besonderheiten. So erhielten mit 111 Windparks dieses Mal mehr Windparks einen Zuschlag denn je (bisheriger Höchstwert: 83 im Februar 2018). Es gab beispielsweise erstmals Genehmigungen für eine größere Anzahl von Turbinen – elf Anlagen – auch in Baden-Württemberg. Das südwestdeutsche Bundesland war in den bisherigen vier Tendern fast leer ausgegangen. Zwar verfolgt die Landesregierung in Stuttgart offiziell einen ehrgeizigen Windkraftausbauplan, doch ließen die windschwächeren Binnenlandstandorte im Ländle keine lukrative Erzeugung zu den bisherigen niedrigen Vergütungszuschlägen zu. Offenbar ließ der nachgelassene Wettbewerb in Runde fünf noch mehr Kleinstprojekte beziehungsweise Projekte an bisher nicht auktionsfähigen Standorten erstmals eine Chance.
Die Forderung, die sich nun ergäbe, stellen bislang weder BWE noch VDMA offiziell: Die im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) für die Ausschreibungen vorgesehene Gebotsobergrenze darf vorerst nicht weiter sinken. Nach 7,0 Cent pro kWh legte die BNetzA sie für 2018 auf 6,3 Cent fest. Das höchste erfolgreiche Gebot im Mai schöpfte den Rahmen mit 6,28 Cent aus. Aus Berlin sind aber bereits Forderungen hörbar, die Gebotsobergrenze weiter zu senken. Eine selbstbewusste Windkraft muss klarstellen: Das Regierungsziel immer niedrigerer Stromkosten ist nicht voraussetzungslos auch Ziel der Windkraftfirmen.
Sie müsste vielmehr klarstellen, dass ein schlechtes Ausschreibungssystem entweder zu hohen Preisen führt oder seine Ziele verfehlt. Gegensteuern kann hier ambitionierte Klima- und Energiepolitik nur, indem sie die Spielregeln technisch verbessert oder den Ausschreibungsrahmen erweitert.
Strompreis: Will die Windenergie den Wettbewerb oder politische Vorgaben?
Nur muss sich die Windkraft-Wirtschaft entscheiden: Will sie sich zur Ablösung der gesicherten vorigen EEG-Vergütungen ohne Ausbaulimit durch die Ausschreibungen mit Ausbaulimit bekennen – und auf das Ideal einer primär durch wirtschaftlichen Wettbewerb gesteuerten Stromversorgung einlassen? Oder will sie sich eher als Dienstleister politischer Vorgaben sehen?
Im zweiten Fall müsste sie auf einen steten Strom klimapolitischer Vorgaben pochen und eine mit dem Ziel niedrigerer Strompreise noch vereinbare angemessene Bezahlung. Wie bei Beschäftigten im öffentlichen Dienst die Gewerkschaften für ausreichend Vergütung sorgten, funktionierte das nun abgeschaffte System durch Einspeise-Tarifverhandlungen.
Im ersten Fall aber muss das Einhalten der Spielregeln den Vorrang haben: Niedrige Preise dürfen einzig Folge hohen Wettbewerbs und technischer Möglichkeiten sein. Verringert sich der Wettbewerb in politisch schlecht gepflegten Rahmenbedingungen, erhöhen sich die Preise wieder. Eine Obergrenze, die Preissignale unterdrücken soll, muss die Branche offensiv bekämpfen. Sie darf verlangen, dass für die Knappheit von Gütern, etwa ausschreibungsbereite Projekte, und ihren energiewirtschaftlichen Wert gute Preise gezahlt werden. Und je langsamer ihr Ausbau zwischenzeitlich vorankommt, umso mehr kostet auch das Aufholen der Verspätung.
(Tilman Weber)