Um die Klimaneutralistät zu erreichen, die Deutschland bis 2045 anstrebt, müssen alle Sektoren – von der Stromerzeugung über die Wärme und die Industrie bis hin zu Mobilität – schneller auf erneuerbare Energien umsteigen. Das ist das Ergebnis eines Vergleichs verschiedener Modelle, wie die Bundesrepublik ihr Ziel erreichen kann. Dieser Vergleich ist gerade in Form eines Szenarienberichts im Rahmen des Ariadneprojekts erschienen.
Für die Studie haben mehr als 50 Forscher aus mehr als zehn Instituten untersucht, welche Wege der Transformation aller Sektoren es gibt, um die Klimaneutralität zu erreichen. Sie haben dabei auch Spielräume ausgelotet und Engpässe gefunden. Zudem wurden das gesamte Energiesystem über die einzelnen Sektoren untersucht – von der direkten Elektrifizierung über die Nutzung von Wasserstoff und Brennstoffen, die mit Ökostrom produziert wurden, bis hin zu Energieimporten. Daraus haben sie sechs verschiedene Szenarien modelliert.
Wichtige Entscheidungen jetzt treffen
Das zentrale Ergebnis ist: Es bleibt keine Zeit zu warten. „Klimaneutralität erreicht man nicht von heute auf morgen, deshalb müssen schon zu Beginn der nächsten Legislaturperiode wichtige Entscheidungen getroffen werden“, betont Gunnar Luderer vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) und einer der Leiter des Ariadneprojekts. „Denn es gibt kaum kurzfristige Spielräume, um auf den Weg zu bringen, was in ein paar Jahren greifen soll – allem voran ein massiv beschleunigter Ausbau von Wind- und Sonnenergie.“
Doch der Ausbau der Ökostromversorgung wird nicht ausreichen. Denn auch wenn erneuerbarer Strom, grüner Wasserstoff, grüne E-Fuels und nachhaltig erzeugte Biomasse immer stärker die fossilen Brennstoffe aus dem Markt drängen. Die Veränderung der Wärmeversorgung und der Mobilität sind längerfristige Projekte. Der Aufbau der Infrastruktur muss braucht Zeit und muss jetzt beginnen. „In der Politik wird oft noch unterschätzt, wie tiefgreifend der notwendige Umbau zur Klimaneutralität 2045 ist“, warnt Luderer.
Industrie muss auf Erneuerbare umsteigen
Die Forscher sehen in den Sektoren Industrie, Gebäude und Verkehr die größten Herausforderungen. So könnten in diesen Bereichen die im Klimaschutzgesetz festgelegten Ziele trotz einer deutlichen Beschleunigung der Emissionsminderungen verfehlt werden. „Stehen heute noch fossile Brenn- und Rohstoffe im Mittelpunkt von zum Beispiel Stahl- oder Chemieproduktion, werden auf einem Kurs zur Klimaneutralität Strom und Wasserstoff künftig die wichtigsten Energieträger für die Industrie sein“, sagt Andrea Herbst vom Fraunhofer-Institut für System und Innovationsforschung (ISI) und Leiterin Arbeitspakets Industriewende im Rahmen des Ariadneprojekts.
Neue Verfahren bis 2030 einführen
Sie betont, dass beim Umstieg der Industrie auf erneuerbare Energien der Zeithorizont bis 2030 entscheidend ist. „Denn in diesem Zeitraum müssen CO2-neutrale Verfahren vom Pilot- und Demonstrationsmaßstab auf industrielles Niveau skaliert und wirtschaftlich betrieben werden.“ Zentrale Herausforderungen seien dabei die höheren laufenden Kosten CO2-neutraler Technologien, der Infrastrukturausbau, die effektive Umsetzung von CO2-Preis-Signalen und die Reduzierung von Unsicherheiten bezüglich großer strategischer Investitionen.
Gebäudesanierung beschleunigen
Ähnlich dringend muss auch der Umbau der Wärmeversorgung in Gebäuden angegangen werden. „Um den Gebäudesektor auf Kurs zur Klimaneutralität zu bringen, zeigt der Modellvergleich die Notwendigkeit eines konsequenten Energieträgerwechsels und einer Steigerung von Sanierungsrate und Sanierungstiefe auf“, sagt dazu Christoph Kost, vom Fraunhofer-Institut Institut für Solare Energiesysteme und Leiter des Arbeitspakets Wärmewende.
Bis 2030 müsste die jährliche Sanierungsrate auf 1,5 bis zwei Prozent steigen. Fünf Millionen Wärmepumpen müssten installiert sein und etwa 1,6 Millionen Gebäude neu an das Fernwärmenetz angeschlossen sein. „Auch wenn bei einer Sanierungsrate von über 1,5 Prozent bis 2045 noch ein Viertel des Gebäudebestands unsaniert bleibt, muss trotzdem die Wärmebereitstellung CO2-neutral stattfinden, um die Klimaziele zu erreichen“, betont Kost.
Verkehrssektor ist das Problemkind
Die größte Diskrepanz zwischen Zielerreichung und dem Weg dahin zeigt sich im Verkehrssektor. Das größte Potenzial zur Emissionsminderung liege im Individual- und im straßengebundenen Güterverkehr. „In dieser Dekade müssen wir bedeutende Schritte in der Antriebswende gehen“, erklärt Florian Koller vom Institut für Verkehrsforschung am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und Leiter des Ariadne-Arbeitspakets Verkehrswende. Nach seiner Erkenntnis müssen mindestens 14 Millionen Elektro-PKW im Jahr 2030 auf deutschen Straßen unterwegs sein. Das sind etwa 40 Prozent mehr als bisher eingeplant wurden, um die Klimaneutralität sogar erst im Jahr 2050 zu erreichen. Der Ausbau der Ladeinfrastruktur muss entsprechend vorankommen.
Ökostrom bleibt die Grundlage
Die Grundlage der gesamten Transformation ist aber der Umstieg auf erneuerbaren Strom. Denn nur so kann sichergestellt werden, dass die Elektrifizierung die maximale Klimawirkung entfaltet, und eine Übererfüllung des Sektorziels der Energiewirtschaft könnte das Risiko einer Zielverfehlung anderer Sektoren abfedern. Die gesamten Studie finden Sie hier zum kostenlosen Download.
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