„Die Transformation des europäischen Stromsektors muss von privaten Investitionen getrieben werden und durch gut funktionierende Märkte“, betonte Ruby außerdem. Die Energiewende im europäischen Elektrizitätsversorgungssystem dürfe hingegen nicht durch das Beibehalten von Kraftwerks-Überkapazitäten mittels „Lebensrettungsmaßnahmen“ konterkariert werden. Ruby fügte hinzu: „Konventionelle Kraftwerke (per Gesetz, Anm. der Red.) zu finanzieren, damit sie am Netz bleiben, darf nur die letzte Option sein und das nur, wenn die Mitgliedsstaaten (des europäischen Energiemarktes, Anm. d. Red.) Versorgungslücken haben."
Es sei Zeit, die nicht mehr benötigten „Kraftwerke der Vergangenheit“ loszuwerden, sagte der Chief Policy Officer der EWEA, der diese als ein Hindernis auf dem Weg zu einer Stromversorgung aus erneuerbaren Energien verstanden wissen will: „Wir müssen ein System schaffen, das Flexibilität belohnt“, ein System, das mit dem wechselhaften natürlichen Aufkommen von Wind und Sonne als Stromerzeugungsquellen einlassen kann.
Kohlekraftwerke und hier insbesondere die älteren deutschen Braunkohlekraftwerke können hingegen ihre Stromproduktion nur sehr langsam hoch- oder runterfahren und daher ihre Erzeugung weder auf das Aufkommen des Grünstroms noch auf kurzfristig schwankenden Verbrauch einstellen. Außerdem versuchen deren Betreiber, die Kraftwerke ohnehin auf Höchstlasten durchzufahren, um mit den bereits abgeschriebenen Anlagen frei von Preisrisiken größtmöglichen Profit einzuholen.
Deutschland: Vergütete Braunkohlestrom-Reserve statt Klimaabgabe
Der für Energie zuständige Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel hatte nach einem Energiegipfel der deutschen Regierungskoalition von CDU und SPD 1. Juli eine Reihe von Maßnahmen angekündigt, mit denen Deutschland wieder vollständig von einer kurz zuvor von Gabriel noch vertretenen Klimaabgabe für ältere Kohlemeiler abrückt. Die Klimaabgabe hätte die großen Energieversorger dazu bringen sollen ältere und ineffiziente Kohlekraftwerke vom Netz zu nehmen. Damit hätte Deutschland nach den Plänen des Energieministeriums bis 2020 den Ausstoß des für den Klimawandel verantwortlichen Schadstoffes Kohlendioxid (CO2) um 22 Millionen Tonnen reduziert. Nach aktuellen Prognosen wird Deutschland ohne weitere Maßnahmen das nationale verbindliche Klimaziel um diese Emissionsmenge verfehlen. Doch gegen die Klimaabgabe gab es massive Gegenwehr von Energieversorgern sowie von der Kohlelobby zugerechneten Politikern aus der eigenen Partei und aus der CDU. Das am 1. Juli beschlossene Maßnahmenpaket enthält allerdings keine Klimaabgabe mehr, dafür eine vom Staat subventionierte Kapazitätsreserve.
Diese Kapazitätsreserve sieht vor, 2,7 Gigawatt (GW) an Braunkohlekraftwerkskapazität vom Netz zu nehmen, sie aber nicht abzuschalten sondern als Reserve für eher unwahrscheinliche Stromlücken bereitzuhalten. Dafür sollen diese über eine Umlage entschädigt werden. Bezahlen werden sie letztlich wohl die privaten Stromverbraucher über ihre Haushaltsstromrechnungen. Erste inoffizielle Schätzungen gehen bereits von einem einstelligen Milliardenbeitrag aus, den dieses Konzept kosten wird. Die Bundesregierung will das Gesetz dafür nach der Sommerpause beschließen. Im Detail sollen die für die Maßnahme anvisierten alten Braunkohlekraftwerke ab 2017 schrittweise in den Reservebetrieb wechseln und erst nach vier Jahren Vergütung durch die Kapazitätsreserve dann doch ganz vom Netz gehen.
Stromverbraucher bezahlen die Rechnung
Weil die Kapazitätsreserve aber die CO2-Emissionen nur noch um maximal 12,5 Millionen Tonnen kappen würde, will die Bundesregierung zusätzlich mit Gas betriebene Kraftwärmekopplungsanlagen subventionieren sowie Energieeffizienzmaßnahmen fördern. Die hierbei anfallenden weiteren Milliardenkosten würden teilweise ebenfalls über eine Umlage auf den Stromverbraucher zurückfallen.
Pikant ist die von der Bundesregierung geplante Regelung auch, weil Gabriel seit seinem Amtsantritt einen sogenannten Kapazitätsmarkt immer abgelehnt hatte. Einen Kapazitätsmarkt fordern aber die großen Energieversorger und die Stadtwerke sowie in ihrer Vertretung deren Verbände BDEW und VKU. Das Konzept eines solchen Marktes sieht vor, dass das Bereithalten von Leistung regelmäßig unabhängig von der tatsächlichen Stromversorgung als Leistung verkauft werden kann. In der jüngeren Vergangenheit waren vor allem neue effiziente aber nur zu vergleichsweise hohen Kosten betriebene Gaskraftwerke unrentabel geworden, weil ihr Strom an den Strombörsen wegen fallender Handelspreise nicht mehr wettbewerbsfähig war. Energieversorger klagen über enorme Verluste hierdurch.
EWEA: "Politik für flexibles Strommarktdesign verantwortlich"
Die Windenergieorganisation EWEA beziffert die Überkapazitäten auf dem europäischen Strommarkt auf 100 GW. „Das Gewicht der Verantwortung für dieses Marktdesign lastet auf den Politikern in Brüssel und in den Mitgliedstaaten“, sagte EWEA-Politikchef Ruby im Hinblick auf das von der Windkraftlobbyorganisation geforderte, auf erneuerbare Energien ausgerichtete flexible Stromerzeugungssystem.
(Tilman Weber)
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