Tilman Weber
Die Halbjahresbilanz für die ersten sechs Monate des Jahres 2020 von Januar bis Juni der Arbeitsgruppe Erneuerbare Energien-Statistik (AGEE-Stat) belegt das Novum: Erstmals stieg der Grünstromanteil an der kompletten Stromversorgung in Deutschland – von Haushalten, Betrieben, Infrastruktur und Fahrzeugen – über die Schwelle von 50 Prozent. So erzeugten Windenergie-, Photovoltaik- (PV), Bioenergie-, Wasserkraft- und Erdwärmeanlagen in diesem Zeitraum 138 Milliarden Kilowattstunden (kWh) beziehungsweise 138 Terawattstunden (TWh). Dies waren rund 10 TWh mehr als im ersten Halbjahr des bisherigen Rekordjahres 2019. Weil zugleich der Stromverbrauch infolge der Coronapandemie und den gegen sie eingeleiteten, nicht zuletzt die Wirtschaft beschränkenden Schutzmaßnahmen stark zurückgegangen war, erhöhte sich der Grünstromanteil an der kompletten Stromversorgung Deutschlands sogar im Verhältnis beider Vergleichshalbjahre damit sehr kräftig. So deckte Strom aus erneuerbaren Energien im ersten Halbjahr 2019 noch 44 Prozent des Bruttostromverbrauchs und gewann nun nur ein Jahr später weitere sechs Prozentpunkte hinzu.
Windreiches erstes, dann sonnenreiches zweites Quartal
Die starke Zunahme der Grünstromerzeugung ist nicht zuletzt den windreichen ersten drei Monaten des Jahres mit einer Rekorderzeugung zuerst im Januar von 15,6 TWh, aber dann vor allem auch im Februar von 20,4 TWh durch die Windkraft zu verdanken, wie AGEE-Stat bilanziert. Der bisherige Windstromrekordmonat März 2015 hatte gemäß AGEE-Stat-Daten noch 15,5 TWh aus Windkraft eingebracht. Ganz ähnliche Windenergierekorddaten des ersten Quartals zeigten auch andere Statistiken. Den Erfolg für die erneuerbaren Energien im gerade vergangenen ersten Halbjahr 2020 garantierte aber auch die Solarenergie, dank eines sehr sonnenreichen Frühjahrs: Im April und im Mai erzeugten deutsche PV-Anlagen jeweils 7,0 TWh, nur knapp weniger als sie im Noch-Rekordmonat Juni 2019 produziert hatten – damals waren es 7,1 TWh. Und auch im Juni 2020 war die Stromerzeugung aus PV mit 6,4 TWh noch bisher ungewohnt hoch.
Der Bruttostromverbrauch, der auch als Maßstab für den Fahrplan der Bundesregierung zum Erneuerbare-Energien-Ausbau und zur Energiewende dient, bezeichnet den kompletten deutschen Stromverbrauch. Dazu zählen die Statistiker nicht nur jede einzelne dem Stromnetz entnommene kWh sondern auch die durch Erwärmung der Stromleitungen beim Stromtransport oder in Umspannstationen verloren gegangene Energie sowie den von Kraftwerken für ihren Betrieb zum Eigenverbrauch abgezweigten Strom. Außerdem zählt nur der auch tatsächlich in Deutschland verbrauchte Strom, weshalb der Bruttostromverbrauch aus dem Ausland importierte Elektrizität einschließt, aber ins Ausland exportierten Strom nicht.
Bundesregierung übertrifft eigenes Maximalziel - für 2025
Mit dem 50-Prozent-Anteil der Erneuerbaren am Bruttostromverbrauch hat die Bundesregierung eines ihrer wichtigsten Energiewendeziele für 2025 nicht nur erreicht sondern schon deutlich übertroffen. Offiziell sollte der Anteil erneuerbarer Energien dann 45 Prozent betragen. Der im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) 2017 erstmals mit der Einführung von Ausschreibungen anvisierte Ausbaupfad für die Grünstromversorgung hatte diesen Wert als maximal anzuvisierende Höchstmarke festgelegt, um erklärtermaßen das Stromnetz nicht zu überlasten.
Die Grünstromquote der Nettostromerzeugung hingegen war gemäß Statistik des Informationsportals energy-charts.de im Gesamtjahr 2019 bereits über die Marke von 50 Prozent geklettert. Im ersten Halbjahr 2020 hat sie sogar schon 55 Prozent betragen, wie das Fraunhofer-Institut Ise meldet. Im Unterschied zum Bruttostromverbrauch zählt zur Nettostromerzeugung jede ins Netz eingespeiste Kilowattstunde unabhängig vom Eigenverbrauch der Kraftwerke und unabhängig davon, ob der Strom auch in den Export geflossen ist. Zudem ignoriert die Statistik der Nettostromerzeugung auch den nicht ins Netz eingespeisten Strom aus Kraftwerken zur Eigenversorgung großer Industrieanlagen.
Allein sieben Terawattstunden mehr Windstrom
Die AGEE-Stat-Daten zeigen auch, dass der Bedeutungszuwachs der Erneuerbaren-Anlagen für die Stromversorgung entgegen dem negativen Trend beim Ausbau der Erneuerbare-Energien-Kapazitäten noch stattfindet. So hat sich der Ausbau der Erneuerbaren-Strom-Kapazitäten deutlich verlangsamt – insbesondere aufgrund mehrerer von der Bundesregierung blockierter Reformen der Energiemärkte und des Baurechts für neue Windparks. Mit nur etwas mehr als 3,1 Gigawatt (GW) Zuwachs der installierten Nennleistung war der Kapazitätszuwachs in den vergangenen zwölf Monaten im Vergleich zu den zwölf Monaten davor nicht nur um die Hälfte zurückgegangen – er war auch der geringste im Vergleich zum vergangenen Jahrzehnt seit 2010. Doch insbesondere der mit immer größeren Rotoren bestückte Windkraftbestand sorgt offenbar für eine immer bessere Verwertung: So erzeugte alleine die Windkraft, die mit 61,6 GW knapp die Hälfte der installierten Erneuerbare-Energien-Erzeugungskapazität von inzwischen 127,6 GW in Deutschland ausmacht, im ersten Halbjahr 2020 rund 7 TWh mehr als im ersten Halbjahr 2019. Für 2 TWh davon waren Windenergieanlagen im Meer verantwortlich.
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