Darauf hatten die Teilnehmer der in Tagung Zukünftige Stromnetze gewartet: Patrick Graichen, Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, sprach in seinem Grußwort über die Pläne und Vorstellungen der neuen Regierung zum Thema Klimaziele und Energieinfrastruktur. Die Tagung musste wegen der hohen Pandemiezahlen mehr oder weniger spontan komplett online stattfinden. Und Graichen, Ex-Chef des Think Tanks Agora Energiewende, hatte an der Zimmerwand hinter sich gleich ein Statement für die Branche: Ein Bild mit Solaranlage und eines mit Windenergie. Diese Regierung will den Ausbau der Erneuerbaren, sie will die Klimaziele erreichen. Das ist in den vergangenen Wochen deutlich geworden und wird durch die Bildsprache untermauert.
Seit fünf Wochen sei man nun dabei, die neuen Ziele in konkrete Politik umzusetzen, so Graichen. 80 Prozent Erneuerbare seien das Ziel 2030, „damit ist die Frage zum Kohleausstieg beantwortet.“ Ein klimaneutrales Stromsystem müsse bis ca. 2035 erreicht werden. 2030 gehe man zudem von einem zehn Prozent höheren Strombedarf aus, langfristig rund 1.000 Terawattstunden, u. a. wegen der großteils elektrifizierten Wärme- und Verkehrswende. „Zusätzliche Netze werden also gebraucht“, stellte er klar. Derzeit würden im Netzentwicklungsplan immerhin HGÜ-Leitungen mit zusätzlichen Leerrohren geplant – gleich mit Blick auf das Ziel von 80 Prozent Erneuerbaren.
Trassenfestlegungen seien Teil des Klimaschutzsofortprogramms im angekündigten „ Osterpaket“. Es stelle sich die Frage, wie sich Planung und Genehmigungen beschleunigen lassen, so Graichen. „Es geht nicht mehr so, wie es bisher war, das muss deutlich schneller werden.“ Im Netzentwicklungsplan müssten jetzt Strom- und Gasnetze zusammengedacht werden. Und das müsse in den nächsten zwei bis drei Jahren passieren. Dafür will die Regierung von der künftigen Klimaneutralität aus rückwärts rechnen, was gebraucht wird. Das bisherige Netzplanungsgesetz schaue nur auf 2037. Jetzt müsse aber auf 2045 geschaut werden.
Auch der Wasserstoff als wichtiges Element der Energiewende wird von der neuer Regierung ins Auge gefasst. Graichen sieht dabei die Standorte für Elektrolyseure eher im Norden als im Süden. Was auch mit der Offshore-Windkraft zu tun hat. Und dann geht es darum zu ermittelt, wie viel Wasserstoff transportiert werden muss. „Wasserstoff ist vor allem ein Industriethema“, so Graichen, „aber auch ein wichtiges Thema für die Luft- und Schifffahrt. – nicht aber im großen Stil ein Technologie für Einfamilienhäuser.“ Neben der Planung der Wasserstoffnetze gehe es auch um die Frage der Wärmeversorgung – etwas Fernwärme für die Innenstädte und Wärmepumpen für Haushalte. Er betonte, dass Kommunen diese Themen anpacken müssten. Derweil würden auf die Verteilnetzebene immer größere Energiewendeaufgaben zukommen. Der Ausbau der Windkraft auf 100 Gigawatt 2030 sei auch ein Thema der Verteilnetzebene. Dem gegenüber stünden neue Verbrauche wie E-Mobilität und Wärmepumpen.
„Wo wollen wir insgesamt hin?“, fragte Graichen. 65 Prozent weniger CO2 bis 2030 – dafür bräuchten all diejenigen, die in der Branche aktiv sind, entsprechende Leitplanken. „Das müssen wir jetzt abarbeiten. Was schnell geht, müssen wir jetzt vorantreiben.“ Auch die Unternehmen sollten nicht abwarten, sondern schon jetzt mit der Umsetzung anfangen.
„Bis 2045 bleibt wenig Zeit, wenn man in Netzkategorien denkt“, so Graichen. Es stellten sich Fragen etwa nach der Netzsicherheit und einer besseren Auslastung der Netze. „Wir nehmen uns dem Thema mit neuer Geschwindigkeit an“, betonte er. Das Energierecht sei bisher nicht so aufgestellt, wie es nötig ist. „Das ist eine zentrale Aufgabe in dieser Legislaturperiode.“ Es stamme aus den 80ern und sei nicht mehr fit für die Energiewelt von heute und morgen.
Wichtiges Thema: Wie lassen sich Genehmigungen beschleunigen. „Im Moment brauchen wir sehr viele Zeit für die gesamte Infrastruktur, auch für Bahntrassen.“ Man könne aber drastisch Zeit einkürzen. Etwa bei der Planfeststellung, viele Punkte ließen sich zusammenlegen. Es dürfe nichts mehr liegengelassen werden, sondern müsse schnell geschlossen werden. „Das ist auch eine Personalfrage.“
Graichen ging auch auf den Systementwicklungsplan ein, wie ihn die Dena zusammen mit zahlreichen Akteuren ausgearbeitet und kurz zuvor im Rahmen der Dena-Netzstudie III vorgestellt hat. „Wir haben uns da noch nicht sortiert“, räumte er ein. „Ich finde ihn interessant, aber er klingt auch lang und aufwändig.“ Man habe erstmal noch kein klares Bild. Entsprechend hatte er auch noch keine Antwort auf die Frage, ob es ein integriertes Politikdesign geben werden. „Das gehört zu den Fragen, die wir jetzt diskutieren müssen“, so Graichen. Im Koalitionsvertrag sei zunächst nur von einer Plattform die Rede.
Insgesamt wirkte die Rede des Staatssekretärs deutlich engagiert. Auch wenn viele Fragen noch offen sind. Fest steht aber auch, dass Graichen viel Wissen mitbringt und dass die Regierung offenbar weiß, was die Stunde geschlagen hat. Die vielen Jahre der Untätigkeit müssen jetzt einem extrem ambitionierten Zeitplan weichen. Und ja, der Systementwicklungsplan der Dena lässt zunächst vermuten, dass hier eine zusätzliche Zeitschleife eingefügt wird, bevor endlich mit der Netzentwicklung begonnen werden kann. Andererseits enthält der Plan Element, die mittelfristig viel zeit einsparen könnten. Etwa wenn durch einen Bürgerrat die Akzeptanzfrage verbessert werden könnte – dadurch ließe sich viel Zeit einsparen. Es bleibt spannend.
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