Nicole Weinhold
Nicht weniger als eine Revolution könnte das sogenannte Energy Sharing für die Energiewende werden, wenn, ja, wenn die Bundesregierung die Gesetze dafür entsprechend ausgestaltet. Wenn sie es schafft, Hemmnisse und Blockaden auszuräumen. Worum geht es? Energy Sharing ist der Ideen nach die regionale Nutzung von sauberem Strom, zum Beispiel den Solarstrom vom Dach des Nachbarn. Genau das will die EU. Und deshalb hat sie es 2019 im Clean Energy Package festgeschrieben: Bürgerinnen und Bürger sollen im Mittelpunkt der Energiewende stehen und Verantwortung übernehmen. Bis Mitte 2021 muss Deutschland diese Vorgabe in nationales Recht umwandeln.
Das Bündnis Bürgerenergie (BBEn) hat darum gemeinsam mit dem Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE) jetzt auf dem Fachdialog "Neue Konzepte der EU für die Bürgerenergiewende" das Impulspapier Energy Sharing vorgestellt. Das vom Analyseinstitut Energy Brainpool erstellte Papier zeigt auf, wie Energie-Gemeinschaften gemeinsam erzeugte erneuerbare Energie regional teilen können.
Malte Zieher vom Bündnis Bürgerenergie erklärt dazu, nur wenn alle Bürger beteiligt würden, werde das Tempo erreicht, das für die Energiewende gebraucht wird. Für kleine Akteure sei es schwer, das Risiko einer Regenerativanlage darzustellen. "Zweitens geht es um die Herausforderung, gemeinsam Strom zu nutzen." Derzeit ist es so, dass Regenerativbetreiber zentral an der Strombörse vermarkten müssen, sonst gibt es keine Vergütung. Oder Erzeuger und Verbrauchen müssen dieselbe Person sein, damit die Definition von Eigenverbrauch gegeben ist. Oder es handelt sich um Mieterstrom. Außerhalb dieser Ausnahmen gibt es keine Möglichkeiten der regionalen Stromnutzung zu angemessenen Konditionen. "Wir sind der Meinung, dass Strom lokal vermarktet werden muss", so Zieher.
Akzeptanz durch regionale Stromernte
Kein Wunder, das regionale Energy Sharing hat zwei so offensichtliche Vorteile gegenüber dem bisherigen Prinzip der Einspeisung ins Stromnetz, dass diese dringend genutzt werden müssen. Zu den Vorteilen: Mit Energy Sharing hätte Juli Zehs genialer Roman Unterleuten ganz anders ausgesehen. Dann hätte es nicht den Streit und Neid in der Brandenburger Dorfgemeinschaft um die Windkraft gegeben. Denn dann hätte die Gemeinschaft direkt profitiert durch den Bezug des vor Ort produzierten Windstroms - idealerweise zu extra guten Konditionen und am besten noch mit Genossenschaftsanteilen. Wie Marcel Keiffenheim, Sprecher von Greenpeace Energy, anschaulich erklärte, erntet man die Tomaten im Gemeinschaftsgarten schließlich am liebsten, um sie selbst zu genießen. Und nicht um sie irgendwohin zu verkaufen.BEE-Präsidentin Simone Peter erinnerte in dem Zusammenhang an die Anfänge: "Eine Pionierleistung war es vor 20 Jahren, dass Bürger ihre Energieversorgung selbst in die Hand genommen haben." Nun sollen die Bürger wieder eingebunden werden in die dezentrale Erzeugung und Vermarktung. Kurz gesagt: Energy Sharing könnte zum entscheidenden Faktor in der Akzeptanzdiskussion werden.
Entlastung für die Netze
Das andere Thema ist das Netz: Statt die Netze unnötig zu verstopfen mit Strom, der von Nord nach Süd durch die Republik geschickt wird, legt der Strom plötzlich vielerorts nur noch die kürzesten Wege zurück, eben nur bis zum Nachbarn. Das entlastet die Netze enorm. Zwei unschlagbare Vorteile des Energy Sharing.
Fabian Huneke von Energy Brainpool, die das Papier erarbeitet haben, betonte, ihn ärgere es, dass wegen rechtlicher Vorgaben nicht die optimalen Anlagen gebaut würden. Energy Sharing könne helfen, weil es davon befreit, zu überlegen, wer in dem Gebäude wohnt. Das sei ein neuer Freiheitsgrad im Vergleich zu Mieterstrom und Eigenverbrauch. Nach seiner Auffassung wirkt Dezentralität immer noch wie ein Fremdkörper in der Debatte. "Aber jetzt werden E-Autos dezentral geladen. Trotzdem ist Dezentralität nicht angekommen." Energy Sharing werde helfen. Denn: wenn Strom vor Ort verbraucht wird, hilft das Lastspitzen abzubauen. Auch wenn Altanlagen aus EEG-Förderung fallen, könne Energy Sharing durch bessere Vermarktungsmöglichkeiten helfen. Die Idee sei es, neues Recht zur Stromteilung zu etablieren, sodass man also eine benachbarte Regenerativgemeinschaft als neuen Lieferanten bei einem Anbieterwechsel angeben zu könne. Dafür sei es aber nötig, dass neben dem vor Ort genutzten Strom Zugang zu Strom ermöglicht wird, der zugekauft werden muss. "Das Recht dort hineinwechseln zu können, sollte gewährleistet werden." Wenn der Strom förderfrei im Markt angeboten wird, sollte er wenigstens reduzierte Stromnebenkosten genießen. "Insgesamt ist die Stromsteuer aus unserer Sicht so erstattungsfähig", so Huneke.
Chance für Stadtwerke
Marcel Keiffenheim verwies darauf, dass Energy Sharing auch eine Chance für Stadtwerke und Versorger sei. "Wir hatten vor zwei Jahrzehnten die Liberalisierung der Strommärkte." Jeder habe zwar den selbst gewählten Stromversorger, aber in der Nachbarschaft gebe es Solarstrom, den wir nicht nutzen können. "Die EU sagt, dass das nicht so blieben muss. Die Energiewirtschaft hat die Wahl. Entweder sei der Kunde der Abnehmer und Selbstversorger fallen weg. Oder: "Wir verkaufen nicht nur Kilowattstunden, sondern werden Dienstleister. Lästige Prozesse, die aufwändig sind, gibt man ab, Direktvermarktung, Wetterprognosen. Für Energy Sharing hat man ebenfalls Dienstleister. Der Vorteil für das EVU: Ich muss nicht mehr möglichst viel Strom verkaufen, dadurch dass man Dienstleister wird." Keiffenheim zeigte sich optimistisch, dass die Regierung ein entsprechendes Gesetz verabschiedet: "Man kann nicht regulatorisch die Tür zu halten, wenn etwas sinnvoll ist." Eine Chance böte das kommende, überarbeitete EEG. Hier könnte das Energy Sharing bereits integriert werden.
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