Bereits vor über zwei Jahren forderte das Bundesverfassungsgericht im Beschluss vom 23. Oktober 2018 (1 BvR 2523/13): Der Gesetzgeber darf die Verwaltung beim Thema Artenschutz nicht im Stich lassen. Das vorhandene „Erkenntnisvakuum“ müsse aufgelöst werden. Gelöst ist das Problem bis heute nicht. Noch immer fehlen anerkannte standardisierte Maßstäbe und rechenhaft handhabbare Verfahren im Natur- und Artenschutz. Jetzt soll endlich Bewegung in diesen Standardisierungsvorgang kommen. Doch auch wenn die Akteure das Wohl aller im Sinn haben, verlieren sie schnell den Fokus für das Wesentliche. Gut gemeint ist nicht gleich gut gemacht. Die Entwicklung einer „TA Artenschutz/Wind“, also einer „Technischen Anleitung“, ist seit Jahren überfällig. Zu viele Regelungen der Länder ließen den Natur- und Artenschutz zu einem unüberschaubaren Dschungel werden. Bisher fehlte für eine Vereinheitlichung der politische Mut. Der Maßnahmenplan des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) wollte das schon im Oktober 2019 lösen: mit einer einheitlichen Anwendung des Artenschutzrechts. Leider ist der Prozess untergesetzlicher Regelungen so zäh wie die Genehmigung für Windräder selbst. Eine Umweltministerkonferenz (UMK) im November hat zum Beschluss über den „Signifikanzrahmen“ kurzfristig eine Sonderkonferenz im Dezember einberufen. Beschlussprotokoll und Signifikanzrahmen (unter www.umweltministerkonferenz.de zu finden) liegen nun vor. Eine Verschlechterung konnte abgewendet werden, eine wesentliche Verbesserung stellen diese Vollzugshinweise, die den Ländern viel Handlungsspielraum lassen, aber auch nicht dar.
Sind einheitliche Regeln möglich?
Die Dynamik des Artenschutzes ist schwer in klare Regeln zu fassen. Wo genau sich welche Vogelart befindet, kann nur schwer mit wissenschaftlicher Genauigkeit festgestellt werden. Der Abstand zwischen Brutplatz und Windpark ist nicht immer das sinnvollste Kriterium im Artenschutz, weil sich Vögel fast täglich an anderen Orten aufhalten. Diese Dynamik wirkt sich zunehmend zu Ungunsten der Anlagenbetreiber aus. Um einheitliche Maßstäbe zu schaffen, sind wirklich belastbare Vermutungen nötig. Mehr Zuverlässigkeit versprechen Tatsachen. Auf Grundlage des Flächenbestands lassen sich zum Beispiel Aussagen über das Vorkommen von Vogelarten treffen. Die tatsächlichen Flächennutzungen sind für ganz Deutschland bekannt, denn die geologischen Daten dafür liegen vor. Eine Einteilung in „artsensibel“ und „nicht-artsensibel“ schafft zusätzliche Klarheit. Ob eine Windkraftanlage genehmigungsfähig ist, lässt sich dann von aussagekräftigen Vermutungen ableiten.
Große Herausforderungen
Bei den kommenden Gesprächen sind Streitpunkte wie die Methodik der Erfassung von Vögeln besonders herausfordernd. Dass es eine solche Erfassung gefährdeter Arten geben muss, bezweifelt niemand. Die Frage ist: wie. Die Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten fordert in einem Papier vom 24. April 2020 einen Erfassungszeitraum von zwei Jahren für die Raumnutzungsanalyse (RNA). Dabei halten sämtliche Artenschutzleitfäden der Länder einen Zeitraum von einem Jahr für völlig ausreichend. Zudem fehlen bisher jegliche Aussagen darüber, wie lange die RNA-Ergebnisse gültig sind. Schon nächstes Jahr könnte die Verbindlichkeit der Ergebnisse wieder angegriffen werden. Der Dezember-Beschluss ist ein erster Schritt. Die UMK hat sich auf weitere Arbeitspakete verständigt. Das Große und Ganze im Blick zu behalten ist eine Herausforderung. Schnell zu Genehmigungen zu kommen ist für die Umsetzung der Klimaziele wichtig. Planungs- und Rechtssicherheit werden gebraucht. Mit mutigen Beschlüssen lassen sich Artenschutz und Klimaschutzziele vereinen.
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