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Vorbehaltslose Marktreform

"Weit weg von Ideologie"

ERNEUERBARE ENERGIEN: Die Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), Hildegard Müller, erwartet, dass eine nachhaltige Reform des Strommarktes und des Einspeisegesetzes EEG noch die Zeit bis 2015 braucht. Kann das Stromsystem so lange warten?

Lex Hartman: Wir haben im Strommarkt Probleme, die schnell gelöst werden müssen. Daher ist es sehr wichtig, dass die Diskussion um ein Strommarktdesign gleich nach der Bundestagswahl beginnt. Nur so kann sichergestellt werden, dass das neue Stommarktdesign mit allen seinen Elementen bis zum Jahr 2015 steht. Die vom Gesetzgeber verabschiedete Reservekraftwerksverordnung hilft uns über die nächten Winter hinweg. Noch länger können wir aber nicht warten, weil der erhoffte Neubau von Kraftwerken auch nach einer gesetzlichen Neuregelung noch einige Zeit für sich in Anspuch nehmen wird.

Sie gehen derweil Ihrer Hauptaufgabe als Tennet-Chef nach und treten unter anderem für neue Regulierungen zur Finanzierung des Netzausbaus ein. Gewinnen wir durch ein umfangreiches Ausbauen der Netze unter neuen Netzregeln noch Zeit für Zwischenlösungen?

Lex Hartman: Na ja, die Finanzierung des Netzausbaus ist kein Problem. Es geht uns viel mehr darum, wieviel neue Leitungen tatsächlich notwendig sind. Aber das und ein anderes Marktdesign sind zwei verschiedene Dinge. Dennoch interessiert uns, ob das Investitionsklima für Kraftwerke da ist. Wir sehen, dass es da hakt. Für die Energiewende brauchen wir neue Netze. Wir brauchen aber auch Kraftwerke. Und jetzt ist die Frage, was an Kraftwerksleistung wie schnell gebaut werden muss und wird. Was den Bedarf an neuen Netzen betrifft, gibt der Bundesbedarfsplan eine robuste Basis vor. Aber für uns ist auch wichtig, was wirklich auf der Kraftwerksseite investiert wird.

Mindern Feuerwehrlösungen den Handlungsdruck?

Tennet hat im April die modernen Eon-Gaskraftwerksblöcke Irsching 4 und 5 in Bayern mit Erlaubnis der Bundesnetzagentur als Reservekraftwerke bestellt, bezahlt für das Vorhalten der Meiler einen Teil der Fixkosten, den Tennet dann wieder auf die Stromkunden umlegen darf. Mindern solche pragmatischen Teillösungen nicht den Handlungsdruck?

Lex Hartman: Das war eine Feuerwehrlösung. Richtig ist: Grundsätzlich gibt es viele Lösungen. Als Übertragungsnetzbetreiber sehen wir die Auseinandersetzung darum ziemlich leidenschaftslos. Aber wir sehen, dass immer weniger flexible und gesicherte Kraftwerke …

…Kraftwerke, die flexibel auf Einspeise-Schwankungen von Wind- und Solarstrom reagieren und nur ergänzend einspeisen …

Lex Hartman: … zu den Investitionsvorhaben der Kraftwerksbetreiber gehören – oder dass immer öfter über die Zukunft bestehender Gaskraftwerke diskutiert wird. Perspektivisch ist das für die Netzstabilität und Versorgungssicherheit ein großes und gefährliches Problem. Die Kraftwerkbetreiber sind ja alle private Unternehmen …

Die Kraftwerksbetreiber dürfen daher in unserem System über Investitionsvorhaben und den Betrieb von Meilern frei entscheiden. Wie müsste ein Marktdesign aussehen, das die Investitionswilligkeit der Kraftwerksbetreiber erhöht – damit sich der Netzausbau für Sie lohnt?

Lex Hartman: Dass die Netze sich lohnen, hat damit nichts zu tun. Wir brauchen nur ein sicheres System, das garantiert, dass in Zukunft genügend flexible, gesicherte Kraftwerkskapazität vorhanden ist, aber in Bezug auf den Weg dahin bin ich leidenschaftslos.

Kann auch alles verstaatlichen

Wenn Sie nicht für ein System plädieren wollen, können Sie sich aber doch umso freier an den vielen Elementen aller diskutierten Marktdesignmodelle bedienen. Welche würden Sie sich zusammensuchen?

Lex Hartman: Man kann alles verstaatlichen oder man kann auf mehr Subventionen setzen beziehungsweise alles kontraktieren. Oder man kann auf den freien Markt vertrauen. Irgendwo zwischen diesen drei Richtungen liegt die Lösung. Was aber gemacht wird, ist Sache der Politik.

Tatsächlich klingen viele Forderungen ideologisch, Forderungen wie: Weniger Regulierung, Reserven als doppelte und ineffiziente Infrastruktur vermeiden, der Ausbau des Energiesystems müsse technologieneutral sein und freie Preisentwicklung zulassen…

Lex Hartman: In der Tat kann man das so sehen. Man könnte sich sogar fragen, ob ein Land immer seine gesamte Energie selbst produzieren muss, oder nicht. Die Deutschen haben sonst auch kein Problem damit, bei Esso zu tanken, obwohl das kein deutsches Unternehmen ist. Als Übertragungsnetzbetreiber bin ich aber weit weg von Ideologie.

Trennung Netz und Kraftwerksbetrieb muss bleiben

Geht alles? Niedersachsens Umweltminister Stefan Wenzel schlug jüngst vor, dass die Übertragungsnetzbetreiber wieder Anteile an ausgewählten Kraftwerken besitzen dürfen, die sie als strategisch wichtig für die Stabilisierung des Netzbetriebs halten.

Lex Hartman: Der Weg, den Europa vor vielen Jahren beim Unbundling eingeschlagen hat, war ein guter Weg: Die Netzunternehmen sollen sich auf die Investition in die Netze konzentrieren. Die Trennung von Netz- und Kraftwerksbetrieb ist ein großes Gut. Es gibt für die Absicherung der Reserveleistungen ganz andere Wege: Man kann beispielsweise mit Ausschreibungen solche Kraftwerkskapazitäten sicherstellen.

Ist aber wenigstens das Ziel klar: Ein Marktdesign, das erneuerbare Energien so schnell und viel wie möglich effizient in die Stromversorgung integriert …?

Lex Hartman: Als Übertragungsnetzbetreiber ist mir jedes Elektron, egal ob grün oder nicht grün, gleich lieb. Übertragungsnetzbetreiber sind per se Monopolisten und folgen dem, was Gesellschaft und Regierung wollen. Wenn deren energiepolitischen Ziele in 10 bis 20 Jahren andere sind, werden wir diese genauso umsetzen. Man kann vielleicht sagen, dass im Moment manche Elektronen etwas gleicher sind als andere. Der Ausbau der Erneuerbaren ist ein Erfolg, aber damit wächst für diese Branche auch die Verantwortung für das gesamte System.

Das Gespräch führte Tilman Weber