Erneuerbare Energien: Die Photovoltaikindustrie hat in Deutschland schon bessere Zeiten erlebt. Bietet Eigenverbrauch neue Perspektiven?
Volker Quaschning: Wir hatten 2012 in Deutschland einen Zubau von 7,6 Gigawatt. Gut 200 Gigawatt PV brauchen wir für eine nachhaltige Entwicklung. Um das zu erreichen, müssten wir dauerhaft nicht mehr als sieben oder acht Gigawatt pro Jahr installieren. Eine große Marktsteigerung ist also in Deutschland nicht mehr zu erwarten. Mit einer Reduktion der Installationszahlen wird allerdings die Energiewende nicht funktionieren. Deutsche Modulhersteller sind derzeit stark unter Druck durch die chinesische Konkurrenz. Kurzfristig werden die Deutschen den Chinesen wohl keine Marktanteile mehr abnehmen können. Eigenverbrauchssysteme könnten aber deutschen Unternehmen neue Chancen eröffnen. Für sie gibt es weltweit funktionierende Geschäftsmodelle ganz ohne Subventionen und erhöhte Einspeisetarife. Beim Eigenverbrauch ändern sich aber auch die Systeme. Früher hatten wir nur die Komponenten Modul, Wechselrichter und Netz. Die Module kommen aus China, die Wechselrichter noch aus Deutschland. Beim Eigenverbrauch werden die Karten neu gemischt. Hier kommen intelligente Systeme und Speicher hinzu. Damit kann ein gigantischer Markt erschlossen werden. Und wenn er in Deutschland funktioniert, dann boomt er auch weltweit. Eine Verzehnfachung der weltweiten Photovoltaikinstallationen ist mittelfristig denkbar. Dadurch gibt es Riesenchancen für deutsche Unternehmen. Überläßt Deutschland auch dieses Zukunftsfeld fahrlässig anderen, ist das irgendwann nicht mehr aufzuholen. Statt diese Chancen zu erkennen, will das Umweltministerium nun den Eigenverbrauchsmarkt in Deutschland möglichst zügig zum Erliegen bringen, um die Energiekonzerne mit ihren Kohle- und Atomkraftwerken vor den schnell zunehmenden regenerativen Anlagen zu schützen. Das ist umwelt- und industriepolitisch hanebüchen.
Was müsste die Politik leisten?
Erst einmal geht es um Vertrauen in die nachhaltigen Märkte. Es ist absurd, dass unsere Regierung tagein und tagaus einen drastischen Rückgang oder gar einen zeitweiligen Stopp des Photovoltaikausbaus fordert und eine Neiddebatte vom Zaun bricht. Nach dem Motto: Die Solaranlagenbesitzer sind die neuen Ölscheichs, und bereichern sich zu Lasten der armen Hartz-Vier-Empfänger. Diese Haltung führt dazu, dass Investoren zunehmend davor zurückschrecken, sich in dem erneuerbaren Bereich zu engagieren. Wollen wir eine klimaverträgliche Energieversorgung, dann kommen wir mit einem reduzierten Photovoltaikzubau nicht hin. Wenn die Politik signalisiert, wir haben kein Interesse mehr an Solarenergie in Deutschland, geht das zulasten des Industriestandorts Deutschland. Auch der Klimaschutz und Kernenergieausstieg werden so als Ganzes infrage gestellt. Das scheint der Politik aber inzwischen völlig egal zu sein. Der schnelle Zubau bedroht zunehmend die Geschäftsmodelle der großen Energiekonzerne, die nun über das Kostenargument von der erneuerbaren Konkurrenz geschützt werden sollen. Man kann die Lasten der Energiewende sozial ausgeglichen verteilen, ohne die Energiewende zu stoppen.
Die Politik hat jetzt Angst vor zu viel Solarstrom im Netz. Das war vor zwei Jahren noch anders…
Solarstrom macht die konventionellen Kraftwerke der großen Energieversorger zunehmend unrentabel. Die Sorge geht wohl eher um die Konzerne als um die Netze. Ich finde es höchst interessant, dass der Netzausbau angeblich das vordringliche Ziel der Energiewende ist. Die Netze werden vor allem benötigt, um die geplanten Offshore-Windparks der großen Energiekonzerne anzubinden. Wenn Offshore-Strom von der Nordsee bis nach München transportiert werden soll, gibt es natürlich eine Netzproblematik. Solaranlagen werden in der Regel direkt beim Verbraucher errichtet. Hier muss man lediglich die lokalen Verteilnetze optimieren. Das ist billiger, geht schneller und hat bei der Bevölkerung eine viel höhere Akzeptanz. Auch Windkraft an Land ist weitgehend dezentral. Eine Studie des Reiner-Lemoine-Instituts hat für Berlin-Brandenburg eine 100-prozentige Versorgung mit dezentralen, regenerativen Energien durchgerechnet. Hierfür waren gar keine neuen Hochspannungstrassen erforderlich. Neue Trassen bräuchte man nur, wenn die Braunkohle in Brandenburg auch noch weiterlaufen soll. Diese müssen den dann durch Solar- und Windkraft verdrängten Braunkohlestrom quer durch die Republik transportieren.
Welche Rolle spielt der Eigenverbrauch fürs Netz?
Hier muss man zwischen Eigenverbrauch mit und ohne Speicher unterscheiden. Bei letzterer Variante, die derzeit überwiegend praktiziert wird, ändert sich nicht viel. Man nutzt den Strom, wenn man ihn gerade benötigt und speist den Rest ins Netz. Haben wir 52 Gigawatt installierte Leistung erreicht, was in zwei bis drei Jahren passieren könnte, gibt es laut aktuellem EEG für neue PV-Anlagen gar keine Vergütung mehr. Die Photovoltaik ist dann schlechter als die Kernenergie oder die Braunkohle gestellt, obwohl doch eigentlich erneuerbare Energien die Kernenergie ersetzen sollen. Zugunsten der großen Energiekonzerne wird man daran festhalten, denn ab 50 Gigawatt PV wird es für die bestehenden Grundlastkraftwerke richtig eng. Bevor die Kunden ihren überschüssigen Solarstrom umsonst einspeisen und den Energiekonzernen schenken, werden sie neue Wege finden, ihn zu Hause zu verbrauchen. Überschüsse werden dann in Batterien gespeichert oder gar verheizt. Wenn kein Solarstrom mehr eingespeist wird, entlastet das natürlich auch die Netze. Ob es volkswirtschaftlich und umweltpolitisch sinnvoll ist, Solarstrom zu verheizen, solange noch Kernkraft- und Braunkohlekraftwerke laufen, ist eine andere Frage.
Momentan werden Batteriesysteme nur sehr vereinzelt installiert. Wird sich der Markt verändern?
Hier haben wir wieder das Henne-und-Ei-Problem, das wir lange Zeit auch bei der Photovoltaik hatten. Die Preise sind hoch und deswegen die Stückzahlen niedrig. Und wenn die Stückzahlen niedrig sind, bleiben die Preise hoch. Es ist wenig sinnvoll 20.000 Euro für ein Batteriesystem zu zahlen, wenn die Photovoltaikanlage dazu nur 10.000 Euro kostet. Die Batteriepreise müssten um den Faktor drei bis vier runter, damit es ein Massenmarkt werden kann. Wenn die Stückzahlen von ein paar hundert Batteriesystemen auf ein paar 100.000 steigen, sind natürlich starke Kostensenkungspotenziale möglich. Das angekündigte Speicherprogramm kann vielleicht helfen, die Stückzahlen etwas zu erhöhen.
Wie sieht es mit Wärmespeichern aus?
Wärmespeicher sind erheblich billiger als Batterien. Daher liegt es durchaus nahe, einen Teil der Überschüsse in Nutzwärme umzuwandeln und preiswert als Wärme zu speichern. Optimal ist ein Pufferspeicher bei einer normalen Heizungsanlage, der ohnehin schon vorhanden ist. Dort kann man relativ günstig einen elektrischen Heizstab nachrüsten und dann überschüssigen Strom von der Photovoltaikanlage verheizen. Bei einer Ölheizung lassen sich gut zehn Cent pro Kilowattstunde an Brennstoffen einsparen, bei Gas- und Biomasseheizungen etwas weniger. Durch die zusätzlichen Brennstoffeinsparungen verbessert sich die Wirtschaftlichkeit der Photovoltaik. Die Photovoltaik wird mit vertretbarem Aufwand aber nie ein Heizungssystem komplett ersetzen können, weil das Sonnenangebot im Winter nicht ausreicht. Aber man kann wie mit der Solarthermie Trinkwasser erwärmen und in den Übergangszeiten auch die Heizung unterstützen. Wenn die Systempreise nochmal um ein Drittel fallen, könnte sich dafür eine Anlage komplett ohne EEG-Einspeisung rechnen.
Und was rechnet sich derzeit am ehesten für den Verbraucher?
Solange Batteriesysteme noch so teuer sind und es noch eine EEG-Vergütung gibt, die über den Brennstoffpreisen liegt, schneidet die herkömmliche netzgekoppelte Photovoltaikanlage mit einem Eigenverbrauchszähler wirtschaftlich immer noch am besten ab. Der finanzielle Mehraufwand für den Batteriespeicher oder den Anschluss an das Heizungssystem rechnet sich momentan meist noch nicht. Das kann sich aber mit der rasch sinkenden EEG-Vergütung sehr schnell ändern.
Wenn wir noch mal auf Forschung und Wirtschaft zurückkommen. Was müsste hier jetzt geleistet werden? Wir hatten eben schon über Batterien gesprochen.
Zuerst einmal muss man die neuen Eigenverbrauchssysteme entwickeln. Da passiert aktuell sehr viel. Viele Solarfirmen und Systemhäuser sind dabei, Batteriesysteme auf den Markt zu bringen. Viele sind aber technisch noch nicht ausgereift. Die meisten Geräte laufen nur einphasig. Ein Großverbraucher wie ein Elektroherd lässt sich dann nicht im Eigenverbrauch betreiben. Ein anderes Problem ist die Sicherheit. Wenn es brennt oder der Keller voll Wasser läuft, sind viele Batteriesysteme nicht ganz ungefährlich. Batterien haben auch das Potenzial, die Netze zu stützen und eine Integration von mehr Solar- und Windkraftanlagen zu ermöglichen. Hierfür müssen aber die entsprechenden Konzepte auch erst einmal zur Marktreife gebracht werden.
Wie schätzen Sie das Potenzial des Photovoltaik-Eigenverbrauchs in Deutschland ein?
Für den Eigenverbrauch sind Ein- und Zweifamilienhäuser am interessantesten. In Deutschland gibt es rund 13 Millionen Einfamilienhäuser. Es kommen noch mal 4,7 Millionen Zweifamilienhäuser hinzu. Allein in diesem Segment lassen sich bis zu 90 Gigawatt an Photovoltaikanlagen errichten, die auf den Eigenverbrauch optimiert sind. Wenn wir dann noch Mehrfamilienhäuser und Gewerbebetriebe hinzunehmen, kommen wir auf ein Potenzial von 100 bis 200 Gigawatt. Derzeit sind gerade einmal 33 Gigawatt installiert. Da ist also noch viel Luft nach oben. Häuser, deren Dächer in einem ungünstigen Winkel stehen, müsste man noch aus der Betrachtung ausklammern. Bislang sollte eine Anlage immer optimal nach Süden ausgerichtet sein, um den größtmöglichen Jahresertrag zu erzielen. Künftig werden zunehmend Ost- und Westdächer interessant. Hier sind die Erträge morgens und abends größer. Mit Fassaden lassen sich die Wintererträge optimieren. Bei der Kombination von einem Ost- und einem Westdach ist der Ertrag über den Tag gleichmäßiger. Das alles kann Vorteile im Eigenverbrauch bringen. Daher werden künftig verstärkt solche bislang weniger geeigneten Dächer genutzt. Bei so viel Eigenverbrauch würde der Strompreis weiter steigen. Ich finde es erst einmal gar nicht dramatisch, wenn der Strompreis steigt. Im Schnitt könnte ein Drittel des Stromverbrauchs eingespart werden. Damit ließen sich künftige Steigerungen gut kompensieren. Hand aufs Herz: Wer sucht sich heute schon einen neuen Fernseher nach dem geringsten Stromverbrauch aus? Viele haben immer noch nicht über einen Wechsel ihres Stromanbieters nachgedacht, obwohl sie seit Jahren einen überteuerten Tarif zahlen. Steigende Strompreise sind ärgerlich, aber für die meisten offenbar noch nicht wirklich relevant und schon gar nicht existenzbedrohlich. Es gibt natürlich auch einige, die jeden Cent umdrehen müssen. Für die muss man einen sozialen Ausgleich finden. Der steigende Strompreis ist aber eine enorme Unterstützung bei der Realisierung der Energiewende. Effizienzmaßnahmen werden immer wirtschaftlicher. Und Eigenverbrauchssysteme, die sich ohne EEG-Vergütung rechnen, werden zunehmend attraktiv. Steigende Strompreise könnten der Energiewende damit sogar einen neuen richtigen Schub geben. Genau davor haben aber Politik und Energiekonzerne derzeit enorme Angst. Sie versuchen, diesen neuen Markt im Keim zu ersticken.
Unsere Strompreise liegen im oberen Mittelfeld in Europa. Das ist ein Vorteil für den Eigenverbrauch hierzulande. Wie stehen die Chancen für den Eigenverbrauch im Ausland?
Es gibt eine Vielzahl an Ländern, die spannend sind. Hier muss die Relation vom Strompreis zur Sonneneinstrahlung betrachtet werden. Deutschland hat einen hohen Strompreis, aber eine niedrige solare Einstrahlung. In anderen Ländern, die deutlich niedrigere Strompreise haben, aber ein besseres Sonnenangebot, rechnet sich der Eigenverbrauch auch. In Italien ist die Kombination von Einstrahlung und Strompreis sogar noch besser für Eigenverbrauchssysteme als in Deutschland. Portugal kommt in die gleiche Größenordnung. Die Türkei wird interessant, Spanien und auch die USA. Die haben zwar extrem niedrige Strompreise, aber in Regionen wie Kalifornien mit extrem guten Einstrahlungsbedingungen lässt sich das Doppelte aus einer Photovoltaikanlage herausholen wie in Deutschland. In all diesen Ländern werden sich Eigenverbrauchssysteme relativ schnell rechnen. Deshalb ist es eigentlich auch extrem sinnvoll, den Eigenverbrauchsmarkt in Deutschland zügig voranzutreiben. Wenn wir in Deutschland die Komponenten entwickelt haben, dann werden diese sicher ein Exportschlager.
Bekommt die Branche die dafür erforderliche politische Unterstützung?
Ich sehe schon die Chance, dass Eigenverbrauchssysteme gebaut werden, wenn die Politik das nicht durch Verbote oder Sonderabgaben unterbindet, wie es gerade diskutiert wird. Aber nicht alles, was diskutiert wird, ist auch politisch durchsetzbar. Wenn erst einmal 30, 40 oder 50 Gigawatt an Eigenverbrauchssystemen entstehen, dann ist die Braunkohle in Deutschland tot und die Kernenergie erledigt sich noch vor 2022. Das verstehen inzwischen auch die Energiekonzerne und die Politiker. RWE hat gerade erst ein riesiges Braunkohlekraftwerk ans Netz gebracht, das sie noch 40 Jahre betreiben wollen. Das funktioniert aber nicht, wenn die Lawine der Eigenverbrauchssysteme losrollt. Bis vor vier oder fünf Jahren hat man die Solarindustrie komplett unterschätzt. Aber jetzt? Im Winter geht es meist noch, aber im Frühjahr brechen die Preise an der Strombörse durch den vielen Solarstrom ein und zerstören die Geschäftsmodelle der großen Energiekonzerne. Im Hintergrund geht es längst nur noch um Verteilungskämpfe. Es gibt durchaus auch soziale Probleme bei der Energiewende. Hier gibt es aber Möglichkeiten, diese aufzufangen. Auf die steigende EEG-Umlage wird stets gleich noch die Mehrwertsteuer obendrauf gehauen. Da hätte der Staat durchaus Spielräume, für einen Ausgleich zu sorgen. Genau das wird aber bewusst vermieden, um die Argumente der Kosten und der sozialen Ungerechtigkeit gegen die erneuerbaren Energien auszuspielen.
Welche Möglichkeit haben die Bürger, dieser negativen Entwicklung zu begegnen?
Bei der Kernenergie haben Energiekonzerne schmerzlich erfahren müssen, dass da in Deutschland nicht mehr viel zu holen ist. Aber das nächste, was sie verteidigen, sind ihre Kohlekraftwerke. Die wollen sie bis 2050 laufen lassen. Hier bieten die Eigenverbrauchssysteme einen Hebel, die Energiewende gegen alle Widerstände durchzusetzen. Über das EEG lässt sich der Zubau erneuerbarer Energien kontrollieren und bei Gefahr herunterschrauben. Wenn es zu schnell geht, kann man immer sagen: Es wird zu teuer oder der Netzausbau kommt nicht hinterher. Deswegen muss leider, leider die Vergütung für Windenergie- oder Photovoltaikstrom reduziert werden. An diesen Stellschrauben kann die Politik die Geschwindigkeit immer beeinflussen. Wenn aber Eigenverbrauchssysteme kommen und sich rechnen, dann wird das wie beim Smartphone oder Internet eine Lawine auslösen, die nicht mehr kontrollierbar ist. Die Kosten für Solaranlagen müssen dafür noch etwas heruntergehen. Wenn dann aber plötzlich Discounter wie Aldi oder Lidl ein Photovoltaik-Do-it-Yourself-Kit extrem günstig anbieten, könnte das ein neues Solaranlagenfieber in Deutschland auslösen. Eine 500-Watt-Anlage lässt sich prima an die Balkonbrüstung hängen und größere Systeme auf das Carport schrauben. In einigen Stadtteilen in Berlin finden sich überall Satellitenschüsseln. Warum sollen die Leute nicht ein paar Solarmodule daneben hängen, sich so an der Energiewende aktiv beteiligen und über den Eigenverbrauch davon auch noch profitieren? Wenn wir vor dem Hintergrund der Bedrohung durch den Klimawandel sehen, mit welchem Tempo wir unsere Energieversorgung umbauen müssen, reicht eine Energiewende im Schneckentempo nicht aus. Wir brauchen vielmehr eine echte Energierevolution. Eine Revolution wird in der Regel vom Volk und nicht von der Politik gemacht. Große Teile der Bevölkerung wollen die Energierevolution und können sie über Eigenverbrauchssysteme auch erzwingen.
Das Gespräch führte Nicole Weinhold