Enertrag hat sich frühzeitig für Themen wie Wasserstoff, aber auch die Kombination von Regenerativtechnologien, sogenannte Hybridkraftwerke, interessiert. Wie kam es dazu, Herr Lange?
Tom Lange: Wir hatten und haben das Glück, von einem sehr innovativen Gründer und Inhaber zu profitieren – und das seit über 30 Jahren. Jörg Müller, Gründer von ENERTRAG, ist seit langem Befürworter von Wasserstoff als Energieträger und Speichermedium, der für die Energiewende eine wichtige Rolle spielt. Tatsächlich haben wir vor gut 13 Jahren das erste Hybridkraftwerk in Betrieb genommen. Es handelt sich um einen kleinen 600-kW-Elektrolyseur, der von unseren Kollegen in der Uckermark konzipiert und gebaut wurde.
Er arbeitet im Verbund mit drei Windenergieanlagen und einer Biogasanlage. Dort konnten wir die ersten Erfahrungen sammeln, wie man letztendlich operativ einen Windpark mit einem Wasserstoffkraftwerk kombiniert und aufbaut. Gleichzeitig haben wird dort mit der direkten Einspeisung in eine Gasleitung begonnen und verkaufen derzeit über Greenpeace Energy den im Hybridkraftwerk erzeugten Wasserstoff.
Aber brechen dabei die Gasnetze nicht zusammen?
Tom Lange: Nein. Wir wissen, dass dieser Irrglaube bzw. Zweifel daran existieren. Die sind natürlich in Teilen auch berechtigt, wenn man über eine großvolumige Einspeisung spricht. Derzeit ist von den Gasnetzbetreibern die Einspeisung nur bis zwei Prozent Volumenanteil zugelassen. Technisch spricht man aber davon, dass man bis 20 Prozent und mehr zulassen könnte. Viel spannender wird jetzt der Ausbau entsprechender, großvolumiger Wasserstoffleitungen, die deutschlandweit geplant sind: die doing hydrogen Pipeline von Nord nach Süd, die Green Octopus Pipeline von West nach Ost.
Enertrag hat gerade einen ganz großen Sprung gemacht, oder?
Tom Lange: Unter dem Begriff des Reallabors RefLau (Referenzkraftwerk Lausitz) sind wir in der Lausitz aktiv: mit Partnern, mit Energieversorgern und mit ortsgebundenen Universitäten. Hier wollen wir mit knapp zwölf Megawatt Elektrolyseleistung zeigen, wie in einem großen Rahmen die Produktion, der Betrieb mit und auch der Verkauf von Wasserstoff funktionieren. Abnehmer finden sich im nahe gelegenen Industriepark, aber auch Schienennahverkehrsbetreibern, die ihren dieselfizierten Betrieb nu auf Wasserstoff umstellen wollen. Neben der Vermarktung von Wasserstoff wird auch der Aspekt der Speicherbarkeit und Rückverstromung von Wasserstoff, als geeignetes Puzzlesteil der Energiewende in diesem Projekt getestet.
Speicherbarkeit von Wasserstoff? So wie EWE das versucht in Kavernen?
Tom Lange: Ja, auch das tun wir. Wir haben jedoch nicht den Anspruch große technische Speichereinheiten selbst zu bauen. Wir konzentrieren unser Wirken auf die technische Auslegung und ein gesamtsystemisches Konzept. Für uns ist es sinnvoller, die entsprechende Hardware vom Markt zu beziehen. Wenn wir über große Wasserstoff-Hubs sprechen, werden wir letztlich aber auch über die Speicherung vor Ort nachdenken. Hier arbeiten wir mit Tanks, die bereits heute schon in der Uckermark an unserem Hybridkraftwerk genutzt werden. Die großvolumigen Stahltanks gestatten es uns aufgrund ihrer hohen Verdichtung, große Mengen von Wasserstoff speichern zu können – ein klarer Vorteil gegenüber der Batterie.
Thema Hybridkraftwerk: Welche Rolle spielt Wasserstoff in Kombination mit Photovoltaik und/oder Wind?
Tom Lange: Wasserstoff ist für die Energiewende der entscheidende Baustein. Wir planen Hybridkraftwerke in einem großvolumigen Verbund von erneuerbaren Energien, d.h. dass wir in einem Radius von etwa 30 Kilometern erneuerbare Energien (Wind und PV) einsammeln und sie zu einem entsprechenden Wasserstoff-Hub führen. Dieser H2-Hub liegt meist an einem großen Netzeinspeisepunkt oder bei industriellen Abnehmer. Wasserstoff ist aus unserer Sicht das bislang fehlende Puzzleteil, wenn wir bei Dunkelheit und Windstille eine Rückverstromung benötigen und über einen sicheren Betrieb von Produktion und Netzen sprechen. Überdies entsteht so auch ein interessanter Business Case. In den vielen Stunden mit Niedrig- oder gar Negativstrompreisen, zu denen man für das Einspeisen ins Netz bezahlen oder die Anlagen abschalten müsste, setzt die Produktion von Wasserstoff zu günstigen Stromgestehungskosten ein. Durch das Speichern dieses bislang noch abgeregelten Stroms in Form von Wasserstoff kann ich diesen jedoch veredeln und für den sofortigen Gebrauch bereithalten oder bestehende Lieferverträge bedienen.
Es gibt ja beim Wasserstoff Menschen, die sagen, wir können ihn in Deutschland produzieren, wir brauchen dafür nicht ins Ausland gehen. Und die andere Seite sagt, wir werden niemals genug Wasserstoff in Deutschland erzeugen können. Welche Rolle spielt Namibia dabei?
Tom Lange: Ich bin ein klarer Vertreter der zweiten These. Wir werden das Ausland und seine Märkte brauchen, dementsprechend stellt sich auch unser Unternehmen auf. Beispielsweise sind wir in Südafrika und Lateinamerika stark, aber eben auch in Namibia, wo wir erst kürzlich den offiziellen Zuschlag für das Hyphen-Projekt von der namibischen Regierung bekommen haben. Von den Stromgestehungskosten sind wir hier kompetitiv. Die verschiedenen Transportwege müssen noch geprüft werden. Beispielsweise funktioniert dieser über die Umwandlung des Wasserstoffs in Ammoniak, da dieser zum einen ein begehrter chemischer Rohstoff ist und zum anderen die Logistik dafür bereits existiert. Wir werden uns keinesfalls nur auf eine nationale Produktion verlassen, da wir zum einen nicht erwarten, dass die inländische Produktionskapazität ausreicht, zum anderen Staaten in Afrika, Lateinamerika und Asien deutlich schneller agieren und die Stromgestehungskosten in den Ländern besonders attraktiv für Wind und Photovoltaik sind.
Was genau macht Enertrag dort?
In Namibia gab es Ausschreibungen für den Bau des größten Hybridkraftwerks in Sub-Sahara Afrika, von denen wir die erste Tranche gewinnen konnten. In der Endausbaustufe sollen die Elektrolyseeinheiten mit einer Leistung von bis zu 3.000 MW arbeiten. Gespeist werden sie durch rund 8.000 MW Wind und PV aus örtlicher Produktion in der Wüste. Das für die Elektrolyse benötigte Wasser wird in der Hafenstadt Lüderitz dem Ozean entnommen, entsalzt und über eine Pipeline zur Produktion transportiert. Der flüssige Wasserstoff kommt dann nach Lüderitz und wird dort zu Ammoniak für den Transport auf Schiffen synthetisiert.