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Segelkraft

Schiff schraubt Strom

Die Mobilitätswende stockt: Biokraftstoffe sind begrenzt, Elektromobilität deckt vorwiegend nur kurze Strecken. Energieschiffe wären eine Lösung des Problems: Angetrieben von der Kraft des Windes könnten sie das große ungenutzte Potenzial der Windenergie auf hoher See zur Kraftstoffgewinnung erschließen – fernab von Flächen- und Akzeptanzproblemen.

Im Stromsektor ist 2011 mit einem Regenerativanteil von 22 Prozent knapp ein Viertel der Energiewende geschafft. In der Wärmeversorgung werden elf Prozent des Bedarfs erneuerbar gedeckt und die größten Schritte über Energieeffizienz erreicht. Hingegen werden in der Kraftstoffversorgung derzeit nur fünf Prozent erneuerbar bereitgestellt, fast ausschließlich aus Biokraftstoffen. Elektrofahrzeuge machen heute gerade einmal ein Promille der Neuzulassungen aus. Es bedarf einer Ergänzung in der Langstreckenmobilität, die über Oberleitungsfahrzeuge hinausgeht. Des Weiteren sind Flugverkehr, Schifffahrt und auch Arbeitsmaschinen nach wie vor auf Kraftstoffe mit hoher Energiedichte angewiesen. Biokraftstoffe spielen hierbei eine wichtige Rolle, können das Problem aber potenzialseitig nicht lösen. Zudem steht die Landnutzung für Biokraftstoffe in Konkurrenz zur Nahrungs- und Futtermittelbereitstellung.

Mit dem neuen Konzept Segelenergie kann für die Kraftstoffbereitstellung auf bislang ungenutzte Windpotenziale auf hoher See zugegriffen werden. Dazu wird ein Schiff durch ein Segelsystem in Bewegung versetzt. Einen Teil dieser kinetischen Energie des Schiffs wandelt eine am Schiff befestigte Turbine im Wasser in Strom um. Diese Elektroenergie wird durch eine elektrochemische Umwandlung wie Power-to-Gas in eine speicherbare Energieform gebracht. Das kann beispielsweise Methan (Windgas, Erdgas), Wasserstoff oder Methanol sein. Diese Energieträger überzeugen durch ihre Energiedichte und ihre Nutzbarkeit als Kraftstoff, zur Stromerzeugung und als Wärmequelle.

Segelkraft reist mit dem Wind

Das Kernproblem der stationären Windenergienutzung an Land oder an der Küste wird über Segel­energie gelöst: Energieschiffe folgen dem Wind und ernten ihn konstant. Dadurch entnehmen sie ihm die Fluktuationen, die bei konventioneller Windkraft kostspielige Integrationsmaßnahmen wie Netzausbau, flexible Kraftwerke und Speicher erfordern. Auch können größere Windpotenziale erschlossen werden. Während in den deutschen Offshore-Gebieten die mittleren Windgeschwindigkeiten bei zehn Metern pro Sekunde in 100 Meter Höhe liegen, können über eine Routenoptimierung mit Energieschiffen bodennahe Windgeschwindigkeiten von 15 Metern pro Sekunde genutzt werden. Selbst stationär verankerte schwimmende Plattformen mit aufgebauten Windenergieanlagen erreichen diese Werte nicht, da diese nicht gezielt temporär windreiche Gebiete nutzen können und ortsfest selbst an den besten Stellen nur durchschnittliche Windgeschwindigkeiten von zwölf Metern pro Sekunde erfassen. Durch eine gezielte Routenwahl können mit Energieschiffen immer die Gebiete mit dem aktuell höchsten Windaufkommen angesteuert werden. Dies hat entscheidenden Einfluss auf Ertrag und Auslastung.

Segel werden seit Langem in der Schifffahrt als Antriebstechnik verwendet. Neben konventionellen Segeln kann Wind über Zugdrachen und Flettner-Rotoren zur Erzeugung von Vortrieb eingesetzt werden. Im Gegensatz zu Stoffsegeln erweisen sich Flettner-Rotoren als besonders seetauglich. Die Steuerung und Regelung der Kräfte ist automatisiert deutlich einfacher, der Wartungsaufwand geringer und die Sturmabschaltung leichter. Grundsätzlich ist noch offen, welches System sich durchsetzt – auch Zugdrachen sind denkbar.

Alternatives Drehmoment

Die translative Kraft des Segels setzt das Energieschiff in Bewegung. Ein Teil der Bewegungsenergie wird benötigt, um den Rumpfwiderstand des Schiffs im Wasser zu überwinden. Der andere entscheidende Teil wird über eine Turbine unter Wasser in Rotation und Drehmoment umgesetzt. Die Turbine besteht aus Strömungsmaschine und Generator. Die Strömungsmaschine nutzt dabei die Geschwindigkeitsdifferenz zwischen Schiff und Meer. Der Generator stellt die konstant gewandelte Windenergie als Strom zur Verfügung.

Dieser konstante erneuerbare Strom aus Wind-Wasserkraft ist auf dem Schiff jedoch nutzlos, solange er nicht gewandelt und gespeichert wird. Hierfür eignen sich besonders elektrochemische Prozesse wie Power-to-Gas und Power-to-Liquid. Die Elektrolyse kann über eine entsprechende Generatorauslegung samt Leistungselektronik direkt in die Energiewandlungskette integriert werden, was die Kosten für einen Transformator erspart. Optional notwendiges CO2 kann vom Land mitgeführt werden, aus dem Meerwasser oder der Luft gewonnen werden. Die Anlagen zur Herstellung von chemischen Energieträgern wie Wasserstoff, Methan oder Methanol können über die Nutzung von Wind als Grundlast deutlich besser ausgelastet werden.

Damit wird auch ein Kernproblem von Power-to-Gas gelöst: Selbst wenn der technisch aufwändige flexible Betrieb der Anlagen funktioniert, rechnen sie sich erst bei sehr hoher Auslastung. Grundlast-Windkraft gibt es an Land nicht, erst über das kombinierte Wind-Wasserkraft-Speichersystem Segelenergie ist dies möglich. Aus diesem Grund bezeichnen wir das Konzept auch als Power-to-Gas 2.0, wobei es weit über Power-to-Gas hinausgeht, kann das Verfahren doch auf die Herstellung von Diesel, Flugbenzin und Grundstoffe der chemischen Industrie erweitert werden. Den Weg zum Tank oder zu den Kraftwerken findet das Gas oder der Kraftstoff über die vorhandene Infrastruktur samt Nutzung in Fahrzeugen und Kraftwerken. Neben einer möglichen Löschung der geernteten Fracht im Hafen steht die Einspeisung und Methanisierung von Wasserstoff auf Gasförderplattformen in der Nordsee offen, wodurch Zeit gespart und die Auslastung der Anlagen weiter gesteigert werden kann. Besonders geeignet sind Schwachgasfelder, welche eine ähnliche Zusammensetzung wie Biogas haben und CO2 aufwändig abtrennen. Viele weitere Varianten sind möglich, wie die Kraftstoffversorgung von entlegenen Inseln mit hohen Spritpreisen oder die Betankung von Schiffen auf dem offenen Meer.

Ein etwa 100 Meter langes Energieschiff mit einer Elektrolyseleistung von fünf Megawatt (MW) kommt routenoptimiert auf etwa 7.000 Volllaststunden und ist am Stück drei Monate im Nordatlantik unterwegs. Damit würden beispielsweise 2.200 Energieschiffe den aktuellen erneuerbaren Anteil der Kraftstoffbereitstellung stemmen. Derzeit wird diese Menge durch den Anbau von 2,4 Millionen Hektar Energiepflanzen über Biokraftstoffe gedeckt, wofür sich etwa 90.000 Traktoren im Einsatz befinden. Im Vergleich zu Biokraftstoffen wirft die Segelenergie keine Konkurrenz zu Nahrung und Futter auf und beeinträchtigt nicht das Landschaftsbild. Die ökologischen Auswirkungen der Nutzung von Segelenergie begrenzen sich auf langsam fahrende Schiffe, die mit der maritimen Lebenswelt kaum interferieren und durch die Nutzung von CO2 und Ersatz fossiler Energie der Versauerung der Meere entgegenwirken.

Wasserstoff ab 1,60 Euro pro Liter

Wir betrachten exemplarisch die Herstellung von Wasserstoff des Fünf-MW-Schiffs. Die Investitionskosten betragen etwa 30 Millionen Euro, welche wir auf 15 Jahre abschreiben. Hinzu kommen laufende Kosten in Höhe von rund 2,2 Millionen Euro pro Jahr. Bei einer Rendite von vier Prozent ergeben sich Gestehungskosten für Wasserstoff von 16 Cent pro Kilowattstunde (kWh) ohne Abgaben. Dies entspricht 1,60 Euro pro Liter Benzinäquivalent. Zum Vergleich: Erneuerbarer Wasserstoff wird heute für 30 Cent pro kWh gehandelt.

Im Vergleich zu fossilen Kraftstoffen ergibt sich damit heute noch kein Wettbewerb, was sich mit deren Verknappung ändern wird. Industriepolitisch ist die Segelenergie eine Lösungsoption für zwei Herausforderungen mit Bedeutung für den Wirtschaftsstandort Deutschland: Erstens ist es eine Innovation für die maritime Wirtschaft und ein Impuls für den Schiffbau. Zweitens ist Segelenergie für Automobilindustrie und Mineralölwirtschaft interessant: Die EU-Vorgaben zu CO2-Grenzwerten für Neufahrzeuge von 95 Gramm pro Kilometer können mit fossilen Flüssigkraftstoffen nicht erreicht werden. Segelenergie stellt hier eine CO2-arme Kraftstoffalternative mit enormem Potenzial und geringen Akzeptanzproblemen dar.

Validierung der Ergebnisse

Das Konzept wurde an unserer Technischen Hochschule im vergangenen Jahr mit zehn Studierenden und sechs Professoren ausgearbeitet. Der nächste Schritt ist eine Validierung der Ergebnisse und eine Weiterentwicklung des Konzepts mit Partnern aus maritimer Forschung und Wirtschaft. Wenn die energiepolitischen Rahmenbedingungen in puncto strombasierte Kraftstoffe stimmen und ein Investor gefunden wird, könnte in zehn Jahren das erste Segelenergieschiff in See stechen. Weitere Ergebnisse folgen aus unserer laufenden Arbeit auf www.segelenergie.de.

Professor Dr.-Ing. Michael Sterner/Thomas Raith

Forschungsstelle Energienetze und Energiespeicher

Fakultät für Elektro- und Informationstechnik

Technische Hochschule Regensburg