Die Stadtwerke Wunsiedel haben mit dem jetzt erfolgten Start des neuen Produkts „Fichtelstrom“ Nägel mit Köpfen gemacht. Konsequent setzen sie damit auf die regionale Vermarktung von Strom aus Solar- und Windkraftanlagen. Schon lange setzt der oberfränkische Energieversorger auf Ökostrom. Von den etwa 90 Millionen Kilowattstunden, die durch das Netz der Stadtwerke fließen, stammen zwei Drittel aus den Windkraftanalgen auf dem Kamm des Fichtelgebirges und aus den mehr als 340 eingebundenen Solaranlagen. Davon betreiben die Stadtwerke 20 Anlagen selbst. Die restlichen Generatoren stehen auf Dächern von Privat- und Gewerbegebäuden.
Vorteile für alle Beteiligten
Um den Ökostrom nicht einfach als Graustrom an der Börse verramschen zu müssen, haben sie auf ein Konzept von Lumenaza, einem Entwickler von neuen Energiemanagementlösungen aus Berlin zurückgegriffen. Mit dem Produkt gehen die Stadtwerke gleich zwei Probleme an. Auf der einen Seite können die Betreiber von Ökostromanlagen ihren Strom auch als regenerative Energie an den Kunden bringen und bekommen im Vergleich zur Einspeisevergütung einen höheren Vergütungssatz für die Direktvermarktung. Auf der anderen Seite wissen die Kunden, woher ihr Ökostrom stammt, den sie aus der Steckdose beziehen.
Kein Umweg über die Börse
Die Idee von Lumenaza ist, Erzeuger und Verbraucher direkt zusammenzubringen. „Die Stadtwerke haben meist zwar eigene Erzeugungsanlagen, ob fossil oder erneuerbar, aber sie kaufen den größten Teil des Stroms an der Börse und vermarkten ihn dann weiter an ihre Kunden“, weiß Christian Chudoba, Geschäftsführer von Lumenaza. „Dabei haben sie die besten Voraussetzungen, einen eigenen Marktplatz zu kreieren.“ Inzwischen gibt es hierzulande Millionen von Erzeugungsanalgen von klein bis groß, die alle nicht mehr dem Versorger gehören und zum größte Teil immer noch völlig planlos in das gesamte System eingebunden sind. „Wir brechen diese Struktur herunter und balancieren Stromerzeugung und Verbrauch regional aus, so dass der Strom möglichst dort verbraucht wird, wo er auch produziert wird“, erklärt Oliver March, Marketingchef bei Lumenaza.
Das Ergebnis der Entwicklung der Berliner ist ein kompletter Marktplatz für Ökostrom, der auf einem regionalen Bilanzkreis basiert. Das bedeutet, es wird nur Ökostrom aus dem Netzgebiet der Stadtwerke Wunsiedel an die Kunden geliefert und nicht erst über den Umweg der Strombörse gehandelt.
Erzeugung und Verbrauch ausgleichen
Die Grundlage ist die Kommunikation zwischen Erzeugungsanlagen, Steuerzentrale und Kunden. In der Regel haben die Solar- und Windkraftanlagen schon entsprechende Schnittstellen und die Hardware ist oft auch schon vorhanden. In meisten kleinen Solaranlagen fehlt diese allerdings. Damit auch deren Betreiber am Marktplatz teilnehmen können, bekommen sie eine kleine Box in den Schaltschrank eingebaut, die als Kommunikationsgateway fungiert.
Über diese Kommunikationswege bekommt die Steuerungssoftware des Marktplatzes alle zwei Sekunden aktuelle Erzeugungsdaten. Gleichzeitig bekommt sie aktuelle Verbrauchsdaten vom Stromkunden. Die Steuerungssoftware, die zusätzlich noch regional hoch aufgelöste Wetterdaten bekommt, gleicht die beiden Seiten aus. In der Regel schickt sie ein Signal an die Solar- und Windkraftanlagen, so weit abzuregeln, dass der Erzeugung auch ein aktueller Verbrauch gegenüber steht. Es geht aber auch, dass die Stromverbraucher in den an den Marktplatz angeschlossenen Gebäuden ein Signal bekommen, ihre Leistungsanforderungen an die aktuelle Erzeugung anzupassen. Die Berliner konzentrieren sich dabei vor allem auf große elektrische Wärmeerzeuger wie Wärmepumpen oder Heizstäbe.
Modell für weitere Stadtwerke
Am Ende steht ein kompletter Bilanzkreis mit vielen dezentralen Erzeugern und Verbrauchern. In der Mitte sitzt das Stadtwerk, die den regional erzeugten Strom dort vermarktet, wo er produziert wird und Erzeugung und Verbrauch so steuert, dass idealerweise kein Strom mehr an der Börse zugekauft oder dorthin vermarktet werden muss.
Die Stadtwerke Wunsiedel sind die ersten, die dieses Modell mit einem eigenen Tarif umsetzen. „Mit dem neuen Modell geben die Stadtwerke dem Strom aus der Region ein Gesicht und sammeln bei den Menschen in den drei Landkreisen Wunsiedel, Hof und Kulmbach Sympathiepunkte“, sagt Christian Schmidt von Sterr-Kölln amp; Partner aus Freiburg. Das Beratungsunternehmen hat die Entwicklung eines geeigneten Geschäftsmodells für die Stadtwerke maßgeblich übernommen. „Die Stadtwerke können so ihr Produktportfolio sinnvoll ergänzen, Kunden binden und sogar welche hinzugewinnen“, prognostiziert Schmidt. Er geht davon aus, dass das Projekt künftig ein Modell für weiterer Stadtwerke und regionale Energieanbieter sein wird. (Sven Ullrich)