Der Offshore-Windenergiemarkt lebt. Da fädelt ein größerer aber mittelständischer Hamburger Versicherungsmakler eine Versicherung für die Gefahr von Serienschäden in einem Meereswindpark ein, was mutmaßlich erst zum zweiten Mal in der Geschichte des noch jungen Business vorkommt. Und die Münchner Rückversicherung deckt das Risiko ab. Zum zweiten Mal zeigt die riesige Assekuranz sich zu einer solide begründbaren weitreichenden Risikoabschätzung eines Meereswindkraftprojekts fähig. Und wie bei Abschluss der ersten Serienschadensversicherung in der Offshore-Branche im Jahr 2012 vertraut die Rückversicherung dabei Turbinenbauer Senvion: einem vergleichsweise eher kleineren und fast irgendwie noch mittelständischen Windenergieanlagenhersteller.
Das Beispiel zeigt: Die bei Unbeirrten aufgrund der Hochsee-Umweltbedingungen als unberechenbar verschriene Technologie findet Vertrauen. Das gilt für Unternehmen genauso wie für Investoren. Eine Vielzahl jüngerer Beispiele ergibt gleich den Teilen eines Puzzles das Bild: Da findet Energiekonzern RWE Anfang September den lange Zeit gesuchten Mitinvestor in sein nächstes deutsches Windparkvorhaben Nordsee One. RWE hatte seine finale Investitionsentscheidung für das 322-Megawatt-Projekt schon seit vielen Monaten hinausgezögert. Anvisiert war der Bau gleichfalls mit Senvion-Anlagen. Doch nicht zuletzt wirtschaftliche Schwierigkeiten mit der deutschen Energiewende ließen den Düsseldorfer Konzern hier wie bei anderen Meeres-Windenergieprojekten zu einem Teilrückzug aus dem Investment umschwenken. Ein kanadisches Energieunternehmen kauft nun 85 Prozent von Nordsee One. Eben: deutsche Offshore-Windkraft als verlässliches Geschäft.
Zur selben Zeit meldet der baden-württembergische Energiekonzern EnBW den Abschluss der Installationsarbeiten für die Umspannplattform im zweiten Ostseewindpark Baltic II. Netzbetreiber Amprion verlegt im Münsterland auf einer Länge von dreieinhalb Kilometern das erste Teilstück einer der drei in Deutschland geplanten „Stromautobahnen“ zum Transport gigantischer Kapazitäten aus den Offshore-Windparks mit Gleichstrom. Und zwar als unterirdischen Teilabschnitt, weil das den besonders nah an den Trassen lebenden Anwohnern den Anblick gigantischer Hochspannungsmasten erspart. Für das Pilotprojekt leistet sich der Staat verdreifachte Kosten von bis zu acht Millionen Euro pro Kilometer. Parallel diskutieren im Nachbarbundesland Niedersachsen Politik und Bürger die inzwischen von Netzbetreiber Tennet vorgelegten Trassenalternativen der nächsten Stromautobahn. Keiner kann so mehr sagen, aus dem Umbau der Stromversorgung zur Integration der Meereswindkraft werde kein Ernst.
Weitere Beispiele: Sandbank, Burbo Bank, Niederlande, USA
Derweil meldet Baukonzern Bilfinger Berger die Bestellung eines der neuen Errichterschiffe des Betreibers Swire Blue Ocean für den Bau von Windpark Sandbank. Die auf gigantischen Stahlstelzen sich stabil auf den Meeresboden stellenden und über die Wellen aufbockenden Hubschiffe von Swire sind noch für Windparks mit rekordverdächtige Wassertiefen von bis zu 70 Metern. Bilfinger Berger will die 72 Sandbank-Fundamente 2015 errichten. Die beiden zur Verfügung stehenden Exemplare Pacific Orca und Pacific Osprey haben in diesem Jahr bereits die 77 Fundamente im Windprojekt Borkum Riffgrund 1 und die 80 Windenergieanlagen im Windpark Dan Tysk jeweils besonders zügig errichtet: Binnen eines halben beziehungsweise eines Vierteljahres. Sie können pro Ladung bis zu 10 komplette Turbinensätze der vier Megawatt (MW) starken Anlagen befördern. Besonders auch: Nach Inkrafttreten der Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) am 1. August gaben die Stadtwerke München ihre Beteiligung an dem Vattenfall-Projekt Sandbank bekannt.
Und schließlich geht es international fast im Gleichtakt voran: Die niederländische Regierung definierte jetzt drei Offshore-Windkraftregionen für den weiteren Ausbau. Die Verwaltung der britischen Krone für Offshore-Flächen stimmte dem Bau des von London bereits genehmigten Projekts Burbo Bank Extension zu. Projektierer Dong wird dort erstmals in der Branche acht MW große Turbinen einsetzen. Und der im Frühjahr in Zahlungsschwierigkeiten geratene Turbinenbauer Alstom hofft nach seinem Verkauf an den US-amerikanischen Konzern GE, das US-Meeresprojekt Deepwater nun besonders pünktlich mit Netzanschluss im Jahr 2016 zu installieren.
Probleme damit nicht weggezaubert
Ist damit alles gut? Natürlich nicht. Noch immer herrscht in Teilbereichen der Offshore-Turbinenbauakteure staatlich bezuschusste Kurzarbeit. Denn verunsicherte Investoren hatten bekanntlich während einer durch die Bundesregierung chaotisch geführten, fast zweijährigen EEG-Reformdiskussion neue Projekte nicht mehr angefasst. Auch das keine gute Nachricht: Am 1. September war bekannt geworden, dass zwei führende Offshore-Manager bei Bauunternehmen Hochtief hingeschmissen hatten. Sie warfen Hochtief vor, in der Bilanzierung des Offshore-Geschäfts Verluste zu verschleiern. Hochtief hatte beim Bau der Windparks Global Tech 1 und Baltic 1 demnach nur Geld verloren.
Gleichwohl deuten die jüngsten Entwicklungen darauf hin, dass Europas und auch der deutsche Meereswindkraftausbau nach vielen Anfangsfehlern seine Balance findet. Das Ergebnis ist auch Folge einer zwischen bloßer Subventionierung einerseits und Wettbewerbsförderung andererseits changierenden Politik: Markt-Konsolidierungen finden statt – und zugleich findet die Branche mit vielfältigen Akteuren immer neue Antworten.
Verantwortliches Handeln muss Balance verstetigen
Allerdings funktioniert das nur, wenn führende politische und wirtschaftliche Akteure ihrer Verantwortung gerecht bleiben. Dass dies keineswegs ausgemacht ist, zeigt ausgerechnet eine wohlgemeinte Äußerung von Bundesenergieminister Sigmar Gabriel vom August. Der SPD-Politiker machte sich in einem Zeitungsinterview für einheitliche Standards bei großen Windparks im Meer stark. Dabei zielte er erklärtermaßen nicht nur darauf, die Lernkurve der Branche zu beschleunigen und ihr durch einhergehende Kostensenkungen schneller zu wirtschaftlichem Erfolg zu verhelfen. Gabriel betonte vielmehr: „Wir brauchen europäische Normen, denn die deutsche Wirtschaft muss ihre Offshore-Technologie auch exportieren können.“
In diesem Satz verbirgt sich ein unkluges energiepolitisches Verständnis. Es will Offshore-Windkraft mehr zu einem international wettbewerbsfähigen Exportartikel der Großindustrie machen – als die Nachfrage sinnvoll fördern. Die Denkweise entspricht der Konjunkturpolitik aller Merkelregierungen, die auf Export zielt und die großen Unternehmen in Schutz nimmt. Die Vielfalt der Akteure droht wieder unter die Räder zu geraten, noch ehe sie die Offshore-Windkraft zu voller Blüte gebracht hat.
Doch nicht nur die Politik muss klüger werden und die Balance von Vielfalt und Innovationskraft einerseits und permanenter Konsolidierung andererseits verstetigen. Auch die Wirtschaft hat Verantwortung. Wenn Stromkonzern RWE sich über die Versicherung der guten Technik seines Zulieferers Senvion freut, muss RWE diesem schnellst möglich Sicherheit für das seit Jahren in Aussicht gestellte Folgeprojekt Nordsee One liefern. Nachdem RWE jetzt für das Projekt einen Mitinvestor gefunden hat, sollte der Konzern nicht auf konzerneigene Entscheidungsprozesse und ihre Dauer bis irgendwann ins Jahr 2015 hinein pochen.
Das hätte sonst irgendwie etwas von den unfairen Praktiken des Internetversandhandels: Erst schauen die Verbraucher lange in Kaufhäusern und beim Spezialhändler, was die an Qualität zu bieten haben und wie weit sie mit Preis und Leistung entgegen kommen können. Dann suchen sie gemäß diesen Daten das Angebot beim führenden (Internet-)Konzern.
(Tilman Weber)