Es sei alles rechtens für den Stromkonzern RWE, der den Braunkohletagebau Hambach und damit den größten Braunkohletagebau Europas betreibt, verlautbaren Landesregierung in Düsseldorf, Wirtschaftsjournalisten und Konzern schon seit Wochen unisono. Juristisch nicht anfechtbar sei, dass RWE nun die Hälfte des restlichen Hambacher Forstes abholzen darf, um die Grube auch nach 2020 im jetzigen Tempo fortschreiten zu lassen. Der Energieriese will ab Mitte Oktober bis Ende Februar gut 100 der verbliebenen 200 Hektar Waldfläche an der Südkante der Grube kahlschlagen.
Tatsächlich ist RWE Eigentümerin des Waldes. RWE-Vorgängerunternehmen Rheinbraun hatte das anfangs 4.000 Hektar große kommunale Waldgebiet 1978 von den umliegenden Gemeinden gekauft. Für die aktuellen Baumfällarbeiten hatte die Bezirksregierung Arnsberg 2014 generell grünes Licht gegeben. Damals hatte die regionale Landesbehörde den dritten Rahmenbetriebsplan zur Fortführung des Tagebaus bis 2030 genehmigt. Im Sommer 2016 hatte eine Landesregierung aus SPD und Grünen den Tagebau in seinen lange geplanten Abbaugrenzen bestätigt. Und Ende März genehmigte die Bezirksregierung Arnsberg den neuen Hauptbetriebsplan für die Tagebau-Betriebsphase von April 2018 bis Ende 2020.
Bisher sind die Umweltschützer auch regelmäßig vor den Gerichten in der jeweiligen Hauptsache gescheitert. Zwar sprachen die Richter schon Mal wie Ende 2017 einen vorläufigen Stopp der Rodungen aus. Doch zuletzt scheiterte der Bund für Umwelt und Naturschutz in Deutschland (BUND) zwei Mal vor dem Verwaltungsgericht Köln darin, die Rodungen zu stoppen. Das Argument, dass der Restwald zu einem besonders schutzwürdigen FFH-Gebiet im Rahmen europäischer Naturschutzvorgaben erklärt werden könnte, sei unbegründet. Ende 2017 und im August 2018 lehnten die Kölner Richter diese juristische Gegenwehr ab. Danach hatte der BUND zwar vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster Berufung eingelegt. Doch das OVG lehnte es Anfang September ab, dass das laufende Verfahren die nun begonnenen Räumungen des Wald-Camps vorerst stoppen müsse. Die Waldbesetzer könnten sich auf das Versammlungs- und Demonstrationsrecht im Grundgesetz gar nicht berufen, weil das Camp auch ein Rückzugsort gewaltbereiter Waldbesetzer geworden sei.
Doch die deutsche Rechtspraxis lässt offenbar nicht zu, dass das eigentliche Unrecht auf den Prüfstand kommt. Wie der BUND schon mehrmals vorgerechnet hat, müsste RWE in der Rodungssaison des Winters 2018/2019 (Mitte Oktober bis Februar) noch keine Motorsägen-Trupps anrücken lassen. Denn der Hauptbetriebsplan 2018 -2020 ist durch den Regierungsbezirk Arnsberg an die Auflage geknüpft, dass die Waldbestände jeweils so lange stehen bleiben müssen, wie einem ununterbrochenen Betrieb des Tagebaus noch zuträglich. Der Kohlekonzern RWE kann glaubwürdig erklären, dass der Waldrand dann immer so weit mit der Abbruchkante des Tagebaus weichen muss, dass die Bagger noch zwei Jahre lang im gewohnten Tempo vorrücken könnten.
Laut BUND rücken die Bagger aber nur 120 Meter pro Jahr vor und nicht wie vom Kohlekonzern RWE behauptet 150 Meter. Die Abbruchkante ist zudem wohl vom Waldrand an ihrer engsten Stelle knapp mehr als 300 Meter entfernt, im Mittel sogar noch 400 Meter – und an manchen Stellen sogar rund 600 Meter. Würde RWE also erst die Abbruchkante in ihrer ganzen Länge auf einen Zwei-Jahres-Abstand von 240 bis maximal 300 Meter pro Jahr an den Wald heranrücken, könnte der Konzern laut BUND die nächsten Rodungen noch um ein bis sogar zwei Jahre verschieben. Außerdem warnt der BUND, dass RWE dieses Mal locker 400 Meter tief in den Baumbestand vorrücken will. Damit würde sich RWE weit mehr als den nächsten Zwei-Jahres-Puffer für den Tagebau verschaffen.
Das bestätigt den Verdacht, dass der Kohlekonzern auch unverrückbare Fakten schaffen will. Noch bevor die von der Bundesregierung eingesetzte Kohlekommission bis Ende 2018 einen Fahrplan zum Ausstieg aus der Kohleverstromung vorlegen kann, wäre damit der tatsächlich ökologisch wertvolle Wald mit Jahrhunderte alten Laubbäumen als Ökosystem fast schon verloren. Infolge des Tagebaus eintretende Grundwassersenkungen würden dem Restbestand womöglich den Rest geben
Der Kohleausstiegsplan könnte gemäß den Diskussionen unter den jetzigen Regierungspartnern für eine sofortige Stilllegung von sieben großen und alten Kohlemeilern in Deutschland führen. Stimmt dem die Kohlekommission zu, könnte es den Bedarf an Kohle aus dem Tagebau Hambach spürbar senken und den zeitlichen Rodungsdruck weiter entschärfen.
Es ist aber ein demokratisches Recht, den durch die Bundestagswahl 2017 bewirkten und derzeit in Arbeit befindlichen Kohleausstiegsplan wirksam werden zu lassen. Es ist ein Umweltrecht, auf die Einhaltung einer naturschutzfachlich begründeten Distanz der Rodungsgrenze von der Abbruchkante zu bestehen. Und es ist ein Recht, auf der Verhältnismäßigkeit der Durchsetzung von RWE-Konzerninteressen gegen die Interessen von Umweltschützern sowie Anwohnern zu bestehen.
Doch all das schützt der von der CDU-FDP-Landesregierung hier verkörperte Rechtsstaat nicht, wenn Schwarz-Gelb in Düsseldorf wie bisher lieber nur Konzerninteressen durchsetzen wollen. Mit bis zu 3.500 Polizisten gegen Dutzende Baumhausbewohner vorzugehen, ist klar unverhältnismäßig: solange für das Verhindern rechtsextremer Ausschreitungen und Pöbeleien wie zuletzt in Chemnitz die Polizei an vielen Orten der Republik die Personalstärke zum Eingreifen nicht zusammenbekommt.
Auf der anderen Seite steht ein sehr buntes und gesellschaftlich breites Bündnis gegen den ungebremsten Braunkohleabbau, deren Menschen auch das Klima vor zu viel Erwärmung durch die CO2-Emissionen aus Kohlekraftwerken schützen wollen. Spätestens als Anfang September mehrere evangelische und katholische Priester den Widerstand im Wald unterstützten, hätten Landesregierung und RWE aufhören müssen, die Tagebaugegner als Kriminelle zu verunglimpfen. In diese Richtung geht auch Reuls Mahnung von heute, die Blockierer sollten nun aufgeben, nachdem ihre sture Haltung mit dem Tod eines Journalisten schon ein Menschenleben gekostet habe. Der gestrige Unfall, bei dem ein Journalist von einer 14 Meter hohen Brücke tödlich auf den Waldboden stürzte, weil die Brücke offenbar schadhaft war, ist noch nicht gänzlich aufgeklärt.
Der Konzern könnte am Ende sogar mehr verlieren als gewinnen. Lange hatte RWE mit dem auf sein Firmenlogo hinweisenden Slogan voRWEg gehen eine Innovations-Führerschaft beansprucht. Er würde die technologische Entwicklung von Konzepten der Energiewende vorantreiben, signalisierte das. Vor wenigen Jahren noch erklärte RWE, der Konzern werde über seine damalige Tochter Innogy die erneuerbaren Energien massiv ausbauen. Nun – nachdem RWE und Eon die Ex-Innogy zwischen sich aufgeteilt haben, scheint die Richtung eine andere zu sein. Jetzt will RWE alles: einerseits an der guten Entwicklung der wieder als Konzernsparte geführten Innogy verdienen – andererseits die Vollendung der Energiewende auf ganz lange Zeit verschieben, damit auch die alte Energienutzung noch sehr viel Rendite bringt.
Den alten Slogan voRWEggehen wird RWE somit aber nicht mehr verkörpern. Ein nur mit IrRWEg oder veRWEgen zu beschreibendes Negativ-Image eher, mitsamt geschäftsschädigender Wirkung.
(Tilman Weber)