Wird die Energieunion gut für die Energiewende und die Erneuerbaren oder nicht?
Grundsätzlich gut. Weil eben auch notwendig.
Weil sie notwendig ist, wird sie gut?
Man muss hier fragen: Für wen ist sie gut, für wen ist sie schlecht. Heute ist die Situation jedenfalls gerade auch in Deutschland nicht gut – für alle handelnden Parteien. Die klassischen Energieversorger leiden in Deutschland wie in den Nachbarländern wirtschaftlich. Wir Verbraucher bezahlen viel. Ein Teil des Geldes wird zum Fenster heraus gepustet, weil mehr erzeugt als verbraucht wird. Und für die Projektierer der Erneuerbaren ist es de facto auch nicht gut: Durch die EEG-Novellierung sind deutliche, weil als notwendig erachtete Bremsen und atmende Deckel eingezogen worden. Dazu kommt, dass jedes Land in Europa eine eigene Energiepolitik macht: Von den Marktmodellen über die Netzregulierung und Netzplanung bis zu den Fördermechanismen für die Erneuerbaren.
Ist diese Uneinheitlichkeit per se schlecht?
Wir sehen ja die Konsequenzen heute: Wir fördern hier massiv so sehr die Solarenergie, dass der PV-Strom andere Märkte überschwemmt. Günstiger wäre es, Solarstrom in Ländern des Südens zu produzieren, wo die Anlagen besser genutzt werden. Nehmen Sie auch das Thema der Kapazitätsmärkte …
… die in Deutschland noch Thema der energiepolitischen Debatte sind, aber bisher keine politische Mehrheit finden: Es geht um einen Markt oder ein Fördersystem, in dem das bloße Vorhalten von nur selten benötigter Kapazität konventioneller Kraftwerke vergütet wird.
UK hat einen Kapazitätsmarkt eingeführt, wir Deutschen wollen aber erstmal keinen – und fordern dennoch von den Energieversorgern, dass die Kapazitäten da sind. Übertragen auf den Verkehr ist das, als wenn wir ein Autobahnnetz hätten, an dem an den Grenzen nur Landstraßen anschlössen. Das gäbe dann nur Stau. Sinnvoll ist aber nur das: Entweder hat man autarke Netze mit einer autarken Energieversorgung oder man ist miteinander vernetzt.
Beides geht nicht, lautet Ihre Aussage
Genau. Wir diskutieren solche Szenarien mit großen Netzbetreibern. Die Frage ist natürlich, inwiefern die Energielandschaft 2035 und danach noch dezentraler sein wird und welche Rolle die verschiedenen Netzbetreiber darin spielen werden. Gesamteuropäisch betrachtet werden wir nach wie vor ein Energieversorgungssystem haben, das sehr stark auf zentraler Erzeugung basiert. Dazu gehören auch ein Teil der Onshore- sowie die Offshore-Windenergie, die ja auch am Hochspannungsnetz hängen. Es lässt sich aber auch ein Szenario mit so viel Photovoltaik vorstellen, in dem die Haupteinspeisung in die Verteilnetze erfolgt.
Ganz oberflächlich zusammengefasst sagen Sie also: Weil die Energiewende heute noch nicht gut ist, kann die Energieunion nur gut tun?
So ist es.
Auffällig ist ja aber doch auch, in welcher Reihenfolge die EU-Kommission die Ziele der Energieunion aufzählen: Eine Europäische Energieunion sorgt für sichere, bezahlbare und klimafreundliche Energie in Europa. Die Verhinderung des Klimawandels durch beispielsweise erneuerbare Energien kommt hier erst an dritter Stelle!
Ich habe das bislang nicht in so einer strikten Reihenfolge wahrgenommen. Aber tatsächlich ist die Versorgungssicherheit eine ganz elementare Aufgabe: Sie muss künftig beispielsweise auch sehr digital geregelt werden, damit das Stromsystem kurzfristig gesehen immer in der Frequenz von 50 Hertz rund um die Uhr betrieben werden kann. …
Wobei die EU-Kommission die Sicherheit der Versorgung nicht technisch, sondern politisch definiert: bezogen auf das Ziel der Unabhängigkeit von Energieimporten aus Russland.
Aber dieser Aspekt betrifft jetzt natürlich den Öl- und Gassektor und damit den Energieverbrauch nicht beim Strom, sondern bei Wärmeversorgung und Verkehr. Klar, Gasimporte aus Russland von derzeit noch 38 Prozent werden weniger werden. Der Gasbedarf wird aufgrund einer verbesserten Wärmeeffizienz rückläufig sein. Der Ölpreis hat sich offenbar für längere Zeit nach unten bewegt, was die Förderung von Öl beispielsweise aus der Nordsee ungünstiger macht. Als Alternative ist hier eine breite Versorgung mit Flüssiggas in sogenannten LNG-Terminals denkbar. Bisher waren die Preise von Flüssiggas sehr hoch, weil Japan infolge der Abschaltung der Kernkraftwerke im Land nach dem Reaktorunglück von Fukushima von 2011 die Gaspreise hochgetrieben hat. Aber das wird sich nun ändern, weil die Japaner langsam ihre Atomkraftwerke wieder hochfahren.
Sie zeigen sich ja selbst skeptisch dazu, inwiefern die Energieunion viel gegen den Klimawandel bewirken kann. Sie schrieben in einem öffentlichen Debattenbeitrag zuletzt: „Das Klimaziel erscheint mir aktuell schwer erreichbar.“
Wahrscheinlich wird der Klimaschutz durch die Energieunion nicht so stark beeinflusst. Einen größeren Einfluss auf den Klimaschutz wird der Weltmarkt selbst haben. Die CO2-Emissionen kommen ja nicht allein aus den Kraftwerken sondern auch aus dem Wärme- und Verkehrsbereich. Und beim Verkehr passiert ja außer der Effizienzsteigerung der Motoren nicht viel – die Entwicklung bei den Elektrofahrzeugen ist ja weitgehend versandet. Bei der Wärme werden wir mit dem Thema Dämmung irgendwann an Grenzen stoßen – hier geht der Klimaschutz künftig eher in Richtung erneuerbarer Wärme, der Verfeuerung von Biomasse oder von Power-to-Heat mit Wärmepumpen oder Fernwärmenetze, die eine Speicherfunktion für das Stromnetz wahrnehmen – auch wenn letzterem noch regulatorische Probleme entgegenstehen. Es ist aber zu erwarten, dass diese angegangen werden.
Wird die Energieunion die von den Energiewendeaktivisten gewünschte Demokratisierung der Energieversorgung weiter zulassen?
Wenn Sie mit Demokratisierung einen Ausbau der Erneuerbaren in der überlieferten Graswurzelbewegung meinen: Dem steht die Energieunion tendenziell mehr entgegen. Die in Deutschland jetzt bevorstehende Einführung von Ausschreibungen von Erneuerbare-Energien-Projekten als neues Vergütungssystem aber auch. Das ist aber auch richtig so. Heute können Sie ja in unserem System noch sagen: Ich nagele mir eine PV-Anlage aufs Dach oder baue mir eine Windenergieanlage und zwar egal wo in Deutschland. Der Netzbetreiber muss diese Anlagen anschließen, auch in zehn Kilometern Entfernung von vorhandenen Netzen. Das ist natürlich teuer, zumal Erneuerbare-Anlagen auch dort gebaut werden, wo Strom gar nicht gebraucht wird. In Zukunft muss hier aber der Netzausbau besser geplant werden können …
… und dazu muss der Erneuerbaren-Ausbau Ihrer Meinung nach mehr in Richtung Zentralisierung gesteuert werden?
Das muss nicht sein. Es ist natürlich wirtschaftlich, wenn der Strom nicht so weit transportiert werden muss. Wir sehen ja heute schon, wie Haushalte Speicher für überflüssigen Solarstrom einsetzen können, sie können die Grid Parity – die Preisgleichheit mit dem Strom aus der Leitung – mit der Photovoltaik schon erreichen.
Besteht also auch eine Chance der Energieunion für die Erneuerbarenbranche? Worauf müsste diese Branche in ihren politischen Forderungen an die Energieunion achten?
Sie muss sich stärker den Hut der Verantwortung für ein gesamtfunktionierendes Energiesystem aufsetzen. Es ist nicht so, dass die Branche nicht heute schon selbst konstruktiv wäre, aber sie müsste sich an die Spitze einer technologischen Entwicklung der Stromversorgung setzen, die Partikularlösungen vermeidet. Sie müsste sich stärker in die Diskussion einbringen, wie die Märkte genau dafür ausgestaltet werden müssen. Sie sollte den Wettbewerb der Technologien respektieren, wegkommen von der Abhängigkeit von Fördermitteln. Wer Erneuerbaren-Anlagen baut, sollte sie so bauen, dass sie Strom bedarfsgerecht liefern können, z.B. auch speichern. Wer eine Wind- oder eine Photovoltaikanlage herstellt, sollte auch ein Gesamtkonzept vorstellen können, wie sich eine ganze Stadt oder Region damit versorgen ließen. Sie sollten Lösungsanbieter und nicht Anbieter einer einzelnen Technik werden. Sie könnten erklären, wie sich die Erneuerbaren-Anlagen mit Power to heat kombinieren ließen – und dann erklären, dass Power to heat nur funktioniert, wenn diese Methode nicht durch die EEG-Umlage belegt wird.
Bleibt nur die Frage, ob Ihnen die maßgeblichen Politiker der EU auch aktiv zuhören.
Warum auch nicht? Von außen betrachtet stehen die Erneuerbaren immer noch unter der Wahrnehmung, sie seien die verkannten Verbesserer der Energieversorgung, die sich als nicht gerecht belohnt sehen. Zwar ist ihr Erfolg jetzt schon sehr respektabel, aber sie stehen weiter in der Ecke, am Ende sehr teuer zu sein. Damit stehen sie noch in der Defensive, aus der sie raus müssen.
Das Telefoninterview führte Tilman Weber