Hier oben in gut 15 Metern Höhe bläst trotz des Frühlingswetters ein kalter Wind. Doch den nimmt man in Kauf. Denn der Blick vom Dach des sanierten Plattenbaus in Hellersdorf über Berlin ist grandios. Am Horizont ist sogar der gut zehn Kilometer entfernte Fernsehturm am Alexanderplatz gut zu sehen. Für die Mieter im sogenannten Gelben Viertel, einem Karree zwischen Neue Grottkauer Straße und Etkar-André-Straße in der Ostberliner Plattenbausiedlung Hellersdorf, beginnt an diesem 1. März nicht nur der gefühlte Frühling des Jahres 2014, sondern auch eine neue Ära der Stromversorgung. Seit ein paar Monaten sind auf den Dächern der Hochhäuser Photovoltaikmodule installiert. Heute beginnt die Versorgung der Haushalte mit dem Solarstrom vom Dach.
Modellversuch Berlin
Für Berlin ist das Projekt ein Modellversuch, die Photovoltaik auch in Großstädten zu etablieren. Bisher wechselt sich die Bundeshauptstadt mit den Stadtstaaten Hamburg und Bremen beim Ausbau der Photovoltaik auf dem letzten Platz im Ranking der Bundesländer ab. Während das benachbarte Bundesland Brandenburg in den vergangenen Jahren kräftig Photovoltaikanlagen installiert hat, beginnt an der Stadtgrenze eine andere Solarwelt. Insgesamt bringt es die 3,5-Millionen-Metropole bisher auf eine installierte Solarstromleistung von 95 Megawatt. Brandenburg kommt mit gut 2,5 Gigawatt auf das 30-Fache.
Die Gründe sind schon seit Jahren bekannt. Gerade hier in Hellersdorf werden sie offensichtlich. Die Plattenbauten aus den 1970er und 1980er Jahren stehen bis zum Stadtrand. Jenseits der Stadtgrenze beginnt die Welt der kleinen Gemeinden. Dort dominieren Ein- und Zweifamilienhäuser das Ortsbild. Das sind immerhin 86 Prozent des gesamten brandenburgischen Wohnraums. Der durchschnittliche Berliner hingegen lebt zur Miete im Mehrfamilienhaus, zusammen mit zehn oder 20 anderen Mietparteien. Dazu kommt noch die unterschiedliche Besitzstruktur. Die Bandbreite reicht von der vermieteten Eigentumswohnung über das genossenschaftliche Eigentum bis hin zu international tätigen Wohnungsbauunternehmen. Unter diesen Bedingungen denken Vermieter selten über die Installation einer Solarstromanlage nach. Schließlich sind sie nicht die Nutznießer des eigenen Solarstroms vom Dach.
Ein echter Meilenstein
Ein anderer Grund kommt hinzu, warum Vermieter kaum Interesse an einer Photovoltaikanlage auf dem Dach haben. „Denn der Handel mit Strom wird steuerrechtlich anders behandelt als das Vermieten von Wohnungen“, weiß Reiner Wild, Geschäftsführer des Berliner Mieterbundes. „Die Vermieter scheuen diesen Aufwand. Sie konzentrieren sich lieber auf ihr Kerngeschäft, das Vermieten von Wohnraum. Sie wollen nichts verkaufen, auch keinen Solarstrom.“ Aber immerhin wäre die Verpachtung der Dachfläche des Hauses für die Vermieter eine Möglichkeit. Das hat in Hellersdorf geklappt. Die Stadt und Land Wohnbauten-Gesellschaft als Eigentümerin der Gebäude hat die Dachflächen zur Verfügung gestellt. „Wir setzen auf Klimaschutz und wollen den Mietern mit kostengünstigem und umweltfreundlichem Strom weitere Vorteile bieten, ohne dabei selbst den Energievertrieb zu übernehmen, der nicht Kernkompetenz des Unternehmens ist“, begründet Ingo Malter, Geschäftsführer der Gesellschaft.
„Der Mieter ist derjenige, der von der Energiewende eigentlich überhaupt nicht profitiert“, bringt Ulrich Ropertz das Problem auf den Punkt. Er ist Geschäftsführer des Deutschen Mieterbundes. Für ihn ist das Projekt im Berliner Stadtteil Hellersdorf von großer Bedeutung. Es soll zeigen, was auch in der Großstadt möglich ist: Solarstrom vom Dach eines Mehrfamilienhauses direkt im Gebäude oder in der unmittelbaren Umgebung zu verbrauchen. Weg von der Einspeisevergütung und hin zum Eigenverbrauch, lautet auch hier die Devise.
Jetzt sind 50 Dächer der Gebäude im Gelben Viertel mit Photovoltaikanlagen bestückt. Die 7.805 Module von Yingli leisten zusammen 1,9 Megawatt. Das ist fast ein Drittel des gesamten Zubaus an Solarstromleistung, den Berlin im vergangenen Jahr zu verzeichnen hatte. Insgesamt 62 Wechselrichter von Sunways wandeln den Gleichstrom aus den Modulen in netzkonformen Wechselstrom um. Das gesamte System ist in 14 Teilanlagen mit einer jeweiligen Leistung zwischen 61 und 186 Kilowatt unterteilt. „Rechtlich durfte die Anlage nicht als Ganzes ans Netz gehen“, erklärt Manuel Lengger vom Anlagenbetreiber PV-B Solar im bayerischen Rosenheim. „Dies hängt mit den Flurnummern und Grundstücksgrenzen im Grundbuch zusammen.“
Alle Mieter beliefern
Von den 3.000 Wohnungen im gesamten Viertel werden seit 1. März dieses Jahres etwa 1.000 mit Solarstrom von den Anlagen auf dem Dach beliefert. Die Projektpartner wollen aber noch nachrüsten, sodass möglichst alle Mieter mit dem Solarstrom beliefert werden können. Für die jetzt belieferten Mieter hat die PV-B zusammen mit dem Hamburger Energieversorger Lichtblick das Modell des Zuhause-Stroms entwickelt: Damit der Mieter nicht zwei Rechnungen bekommt und zwei Verträge abschließen muss, übernimmt Lichtblick die gesamte Abrechnung. Die Hamburger liefern auch den restlichen Strom und nehmen die Überschüsse aus den Anlagen ab. Für den Strompreis haben sie dann eine Mischkalkulation aufgestellt. Darin enthalten sind 30 bis 40 Prozent Solarstrom und 60 bis 70 Prozent Strom aus dem Netz. Die Mieter profitieren jetzt von einem Tarif. Der Arbeitspreis liegt um etwa zwei Cent pro Kilowattstunde niedriger als der normale Stromtarif von Lichtblick.
Rechnet sich das? Lesen hier weiter
Hier wird aber auch das eigentliche Problem klar. Denn ohne einen Energieversorger wie Lichtblick im Rücken würde das nicht funktionieren. „Schließlich kann der Vermieter den Mieter nicht zwingen, den Solarstrom vom Dach abzunehmen“, betont Reiner Wild vom Berliner Mieterverein. Er fordert schon lange, die Eigenverbrauchsregelung auf den Verbrauch durch die Mieter im Gebäude auszuweiten. Eine Forderung, die der Deutsche Mieterbund zusammen mit dem Verbraucherzentrale Bundesverband und dem Bundesverband der Deutschen Wohnungs- und Immobilienunternehmen jetzt als Anspruch an die Politik formuliert hat. „Denn letztlich kann der Vermieter nur seinen Solarstrom vom Dach verkaufen, wenn er konkurrenzfähig gegenüber dem Strom aus dem Netz ist“, sagt Ulrich Ropertz. „Der Vermieter muss wie ein normaler Stromanbieter auftreten.“ Das funktioniert aber nur, wenn der Solarstrom für den Mieter die gleichen Vergünstigungen bekommt, wie der Solarstrom, den ein Hauseigentümer selbst verbraucht. Das Argument dafür ist, dass der Strom zwar rein rechnerisch das Haus verlässt, wenn er nicht vom Mieter abgenommen wird, rein physikalisch das Netz aber nicht belastet, weil der Mieter ihn tatsächlich auch verbraucht. Immerhin nutzt Lichtblick das Solarstromprivileg und kann damit den Solarstrom mit einer um zwei Cent pro Kilowattstunde verringerten EEG-Umlage anbieten. Außerdem fallen dann keine weiteren Abgaben wie Netzentgelte, Konzessionsabgabe, KWK-Umlage und Stromsteuer an.
Mehr geht nicht
Mit der Wirtschaftlichkeit der Anlagen zur Erzeugung von Solarstrom für Mieter schlägt sich auch die Heidelberger Energiegenossenschaft herum. Sie hat in Nußloch bei Heidelberg Solaranlagen auf sieben Mehrfamilienhäusern errichtet. „Angefangen haben wir damit im April 2013“, erinnert sich Andreas Gißler, Vorstand der Energiegenossenschaft. Seit Juli 2013 versorgt die Genossenschaft mit insgesamt 445 Kilowatt Solarleistung alle 116 Mieteinheiten. Sie rechnet damit, dass die 3.000 Quadratmeter Modulfläche etwa 370 Megawattstunden pro Jahr liefern. Um den Ertrag dem Lastprofil der Mieter zumindest ansatzweise anzugleichen, stehen die Module in einer Ost-West-Ausrichtung auf den Dächern. Mehr ging nicht. Die Heidelberger haben davon abgesehen, auch noch die Leistung der Anlage dem Lastprofil anzupassen. Denn die Unsicherheiten sind groß. Zwar geht Gißler davon aus, dass die Bewohner den Solarstrom abnehmen, aber zwingen kann er sie nicht. Deshalb muss das EEG als Backup dienen. „Wir haben die Dächer mit so viel Leistung wie möglich belegt“, erklärt Gißler. Die Heidelberger müssen mindestens zehn Prozent des Stroms verkauft bekommen und den Rest mit Anspruch auf EEG-Vergütung einspeisen. „Die Anlage muss so ausgelegt sein, dass sie in den nächsten 20 Jahren keine Miesen produziert“, erklärt Gißler. „Alles, was darüber hinausgeht, was wir zum Beispiel an die Mieter verkaufen, ist natürlich gut für die Wirtschaftlichkeit der Anlage.“
Wie in Berlin ist auch das System in Heidelberg in 14 Einzelanlagen aufgeteilt. „Jedes Haus hat zwei Aufgänge und jeder Aufgang hat seinen eigenen Netzanschluss und damit auch seine eigene Anlage“, beschreibt Andreas Gißler. „An jedem Netzanschluss sitzt ein Zwei-Wege-Zähler, der misst, wie viel Strom aus dem Gebäude heraus- und ins Gebäude hineinfließt. Hinter diesem Zähler sind noch der Ertragszähler der Photovoltaikanlage und die Kundenzähler installiert.“ Über dieses System können die Heidelberger ihre Bilanz ziehen und jedem Kunden den verbrauchten Solarstrom in Rechnung stellen. „Wir gehen davon aus, dass 60 Prozent des Stroms physikalisch im Gebäude bleibt“, sagt Gißler. Das bedeutet: Auch Mieter, die keine Kunden der Energiegenossenschaft sind, verbrauchen eigentlich Solarstrom vom Dach.
Bisher haben die Heidelberger 15 Verträge abgeschlossen. Wie viele Mieter noch dazukommen, bleibt noch abzuwarten. „Aus Erfahrungen mit BHKW-Projekten anderer Anbieter wissen wir, dass man normalerweise mit zehn bis 30 Prozent der Mieter anfängt“, erklärt Andreas Gißler. „Nach ein paar Jahren steigt der Anteil dann auf 70 bis 80 Prozent der Mieter.“ Immerhin haben die Heidelberger mit Naturstrom einen starken Partner mit im Boot sitzen. Ohne den würde es nicht gehen. „Wir zahlen für unseren Strom die volle EEG-Umlage“, erklärt Gißler. „Wir erzeugen unseren Solarstrom für 14,6 Cent pro Kilowattstunde. Wenn wir jetzt noch die EEG-Umlage von 6,24 Cent pro Kilowattstunde draufrechnen, sind wir schon bei über 20 Cent. Hinzu kommen die Mehrwertsteuer, die auf die EEG-Umlage anfällt, und die anderen Abgaben. Dann kommen wir auf über 25 Cent pro Kilowattstunde.“ Damit liegt der Preis für den Solarstrom eigentlich schon über dem Preis, den Naturstrom aus dem Netz liefern kann.
Da die Heidelberger Energiegenossenschaft aber eine Mischkalkulation vornimmt, funktioniert das System. Sie rechnet dabei 30 Prozent Solarstrom und 70 Prozent Strom aus dem Netz ein. Insgesamt zahlt der Stromkunde dann 25,4 Cent für jede verbrauchte Kilowattstunde. Dieser Preis wäre niedriger, wenn der Solarstrom für die Mieter tatsächlich auch die gleichen Vergünstigungen bekäme wie der im Einfamilienhaus verbrauchte Photovoltaikstrom. Schließlich sind die Bedingungen, unter denen der Strom verbraucht wird, in einem Mehrfamilienhaus nicht anders als im Einfamilienhaus. So könnten die Anlagenbetreiber ihre Planung auch besser auf das Verbrauchsverhalten im Gebäude ausrichten und müssten nicht mehr das EEG als Netz und doppelten Boden in der Hinterhand haben. Zum Autor auf unserer Website: Sven Ullrich
Dieser Artikel ist in der Printausgabe von ERNEUERBARE ENERGIEN von April 2014 erschienen. Hat er ihnen gefallen? Dann holen Sie sich jetzt ein kostenloses Probeabo unseres Magazins.