Tilman Weber
Gefällt Ihnen die Nationale Wasserstoffstrategie?
Jörg Starr: Zunächst einmal bin ich froh, dass jetzt endlich entschieden wurde – ein gutes halbes Jahr verspätet. Noch im November 2019 hatte die Bundesregierung die Verabschiedung ihrer Strategie bis Jahresende in Aussicht gestellt. Durch die Veröffentlichung einer Strategie wird erstmals Wasserstoff offiziell als wichtiger Beitrag zur Energiewende wahrgenommen. Wie wir als Partner der Clean Energy Partnership, der CEP – wie auch unsere Kollegen vom Deutschen Wasserstoff- und Brennstoffzellenverband, dem DWV – immer wieder betont haben, waren wir als Wirtschaftsstandort Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern bei Wasserstoff unterambitioniert – nicht zuletzt zu Asien, zu Japan oder Südkorea. Nun hat Berlin ein klares Zeichen gesetzt, dass und wie es weiter geht. Spannend bleibt, wie die Regierung die Strategie in konkretes Handeln umsetzt. Wir begrüßen als CEP in jedem Fall, dass sie ein mit sehr viel Geld ausgestattetes Paket schnürt, was natürlich eine hilfreiche Maßnahme ist. Bei der Ausgestaltung dieser geplanten Förderung muss es jetzt im nächsten Schritt konkret werden.
Politik muss jetzt Wirtschaftlichkeit herstellen
Was erwarten Sie, mit welcher Handlung die Politik realistischer Weise beginnen wird?
Jörg Starr: Zuallererst muss sie die Wirtschaftlichkeit der Produktion von Wasserstoff aus erneuerbarem Strom durch Elektrolyse regeln beziehungsweise herstellen. Derzeit belasten noch Umlagen die Elektrolyse von Grünstrom, die den Stromgroßhandelspreis von maximal vier oder fünf Cent fast vervierfachen, was eine Wirtschaftlichkeit verhindert. Wasserstoff als Treibstoff für die Mobilität muss den Wettbewerb mit den anderen Kraftstoffen aufnehmen können.
Als erstes sollte Berlin also für die Produktion von Wasserstoff aus Grünstrom die Abgaben und Umlagen abschaffen?
Jörg Starr: Zumindest soweit, dass die Produktion von grünem Wasserstoff wirtschaftlich möglich ist. Die EEG-Umlage von alleine sechs Cent pro kWh muss wegfallen, weil Elektrolyse eben nicht Energie erzeugt, sondern sie im Dienste der Strominfrastruktur umwandelt und speichert. Das ist aber zugegeben noch immer ein heikles Thema, weil das Weglassen der EEG-Umlage hier wieder neu auf Europarechtskonformität überprüft werden müsste und einen lange ausverhandelten Kompromiss gefährden könnte.
So kann die Industrie den Erwartungen der Wasserstoffstrategie entsprechen
Kann die Industrie hierzulande das von ihr in der Wasserstoffstrategie Erwartete leisten?
Jörg Starr: Schauen wir auf den Bereich der Mobilität, den Kompetenzbereich der Clean Energy Partnership. Hier haben sich die Unternehmen, auch die Autobauer, auf ihre Fahnen geschrieben, bis 2050 komplett Co2-neutral zu produzieren. Ob Stahl oder petrochemische Produkte – es lässt sich viel mit Wasserstoff als Energieträger produzieren. Wenn die Produkte langfristig Co2-neutral entstehen sollen, muss Wasserstoff auch in vorgelagerten Industrieprozessen zum Einsatz kommen. Damit aber wird die Aufgabe natürlich noch wesentlich größer als nur bei einer Einbeziehung von Wasserstoff als Energiespeicher oder als Treibstoff im Verkehr. Noch schwerer wird sie, wenn wir keine Perspektive haben, wohin die Reise gehen soll. Eine Strategie hilft daher sehr.
Sie erklären, warum die Industrie der Wasserstoffstrategie folgen muss – nämlich aufgrund eines enorm wachsenden Bedarfs an Wasserstoff. Wird sie aber die in der Wasserstoffstrategie beschriebenen Erwartungen erfüllen können? Zum Beispiel bis 2030 rund fünf Gigawatt und bis 2035 mindestens zehn Gigawatt Elektrolysekapazität auszubauen? Oder bis 2050 durch jährlich 80 Terrawattstunden Wasserstoffenergie die Stahlproduktion CO2-frei werden zu lassen und die Raffinerie- und Ammoniakproduktion auf Wasserstoff umzustellen, bei 22 TWh Jahresverbrauch?
Jörg Starr: Ich gebe Ihnen hier ein definitives Ja. Die meisten Unternehmen sind ja schon lange Zeit an dem Thema dran …
… Immerhin nutzt die Industrie ja schon heute jährlich 55 Terawattstunden Wasserstoffenergie für stoffliche Anwendungen, wenngleich dieser Wasserstoff auf Basis fossiler Energieträger erzeugt ist …
Jörg Starr: Nun, ich selbst habe ja über 20 Jahre lang in der Autoindustrie an diesem Thema gearbeitet. Es gab hier viele Aufs und Abs, die Attraktivität des Energieträgers steht und fällt derzeit noch gegenläufig zur jeweils aktuellen Attraktivität der Elektromobilität. Aber der Handlungsdruck zur Erzeugung und Nutzung von Wasserstoff aus Grünstrom ist da. 2050 dürfen die Fahrzeuge nur noch mit emissionsfreien Antrieben fahren. Um die Klimaziele 2050 zu erfüllen, haben wir uns darauf verpflichtet. Angesichts aber einer angenommenen mittleren Gebrauchsdauer von PKW von zehn Jahren dürfen wir schon ab 2040 komplett nur noch Autos mit emissionsfreiem Antrieb verkaufen. Dieser Zeitraum entspricht einer Entwicklungszeit für nur drei Fahrzeuggenerationen.
Wie grün ist das Regierungsprogramm?
Wie grün ist die Vision der Wasserstoffstrategie wirklich?
Jörg Starr: Das lässt sich tatsächlich an der Farbe des Wasserstoffs ausmachen. Ich habe die Diskussion um die eventuelle Nutzung auch von blauem oder türkisem Wasserstoff in einer Übergangsphase …
… wie die Nationale Wasserstoffstrategie mit Verweis auf dessen Co2-Neutralität für die nächsten zehn Jahre vorsieht …
Jörg Starr: … nie so richtig verstanden. Es kann nur die Perspektive geben, Wasserstoff grün zu erzeugen – mit Sicherheit durch Wasserstoffelektrolyse mit grünem Strom. Es ist heute viel zu früh, um zu sagen, die Elektrolyse sei der einzig wahre Erzeugungsweg für grünen Wasserstoff. Aber für diesen Prozess gehört Europa durch das Know-how seiner Industrie zur Weltspitze. Und die Möglichkeit, hier die groß angelegte Erzeugung auszurollen, ist sehr gut und industriepolitisch sehr wertvoll. Wir haben bei Wasserstoff viel mehr Kompetenz als etwa bei der Herstellung von Batterien. Von daher sind Brennstoffzelle und Elektrolyseur sehr wichtige Themen für Deutschland.
Dass die Regierung in der Wasserstoffstrategie aber tatsächlich blauen Wasserstoff als Bestandteil einer Vision für eine immer CO2-ärmere Mobilität einbezieht, schmeckt Ihnen nicht? Also aus fossilem Erdgas erzeugter blauer Wasserstoff, der mit einer CO2-Abscheidung gekoppelt ist und daher in der Bilanz als CO2-neutral gelten soll?
Jörg Starr: Das ist der Casus knacksus. Den blauen Wasserstoff hat die Regierung ja erklärtermaßen einzig deshalb in die Strategie einbezogen, weil hier relativ schnell große Mengen im Markt zur Verfügung stehen können. Aber andererseits muss die Industrie zu seiner Erzeugung auch erst einmal die Kapazitäten aufbauen …
… deren Investoren und Betreiber diese dann gerne auch länger nutzen wollen?
Jörg Starr: Fakt ist, wir hätten uns mehr gewünscht als das Nahziel von nur fünf Gigawatt mit grünem Strom betriebene Elektrolysekapazität bis 2030. Aber der blaue Wasserstoff steht da ja nur als kurzfristige Perspektive im Rahmen zu erwartender Entwicklungen in der europäischen Marktwirtschaft. Und die Perspektive zur Umstellung ganz auf grünen Wasserstoff steht ja auch in der Strategie, weshalb ich hier letztlich gerne dabei bin. Ich ziehe einmal einen Vergleich zur Batterie: Obwohl auch jetzt Elektroautos nicht nur grünen Strom nutzen können und unser Strommix noch nicht so ganz sauber ist, so zählt doch die Perspektive einer stetig grüner werdenden Stromerzeugung. Für mich ist daher viel wichtiger, dass ich lese, dass Wasserstoff in Zukunft zu 100 Prozent grün sein muss – und zwar nicht erst in 20 Jahren.
Schadet die Diskussion um blauen Wasserstoff?
Jörg Starr: Definitiv ja … ginge es nach uns bei der CEP, würden wir in Deutschland lieber wesentlich mehr Wert auf die eigene Erzeugung grünen Wasserstoffs legen, als über diese Farbenlehre zu diskutieren. Eine solche Diskussion ist für die Außenwirkung der Wasserstofftechnologien nicht hilfreich – und erschwert für sie den Wettbewerb mit anderen Energiewendetechnologien.
Wo Forschung und Entwicklung jetzt ansetzen müssen
Wo und wie muss und kann die Forschung für eine wirtschaftliche, subventionsfreie und grüne Wasserstoffmobilität noch vorangetrieben werden?
Jörg Starr: Wir beschäftigen uns ja schon recht lange mit der Brennstoffzelle als Antrieb, in der CEP bereits seit 2002. Wesentlich war diese Entwicklung generell in den vergangenen 20 Jahren. In denen ging es darum, den Wasserstoffantrieb kompakt und robust in die Fahrzeuge einzupassen. Wir klärten Fragen zur adäquaten Leistung, zur Beherrschbarkeit und immer mit dem Blick in die Zukunft, was Wasserstoff als Brennstoff und die dazugehörige Antriebstechnologie kosten darf. Im Prinzip sind wir nun soweit, dass wir wissen: Wer Wasserstofffahrzeuge anbieten will, darf sie nicht teurer als heutige Hybridfahrzeuge sein lassen. Die reinen Verbrenner werden hingegen im Gebrauch aufgrund immer neuer Abgasvorschriften und der Vorgaben für die Klimaziele nicht billiger. Wasserstofffahrzeuge werden daher in absehbarer Zeit als Serienprodukte am Markt sein – noch in dieser Dekade. Bei den PKW sehe ich noch nicht vor Ende der Dekade die Zeit für die Brennstoffzelle gekommen. Anders bei den LKW, die schon ab Mitte des Jahrzehnts soweit sein sollten. Die Aufgabe der nächsten Jahre wird es sein, Brennstoffzellenfahrzeuge in großer Stückzahl herzustellen. Ein Beispiel: Ein heutiges Brennstoffzellensystem enthält 350 bis 400 sogenannte Unit-Cells, die aus so etwas wie einer Goretex-Membran zwischen zwei Bipolarplatten mit je einer Wasserstoff- und einer Luftseite bestehen. Diese werden dann in einem Stack (Stapel) übereinander gestapelt– und zwar im großindustriellen Maßstab zu Taktzeiten der Automobilindustrie. Hierbei ist der Maßstab, dass alle 1,5 Minuten ein fertiges Auto vom Band rollen muss. Deshalb muss die Produktion der Membraneinheiten als Meterware von der Rolle möglich werden. Zudem müssen Bipolarplatten gestanzt und lagerichtig zueinander positioniert und dann als Stack verschraubt werden. In eineinhalb Minuten müssen sie in der für ein Auto benötigten Menge produziert sein. De facto müssen wir zehn Teile pro Sekunde fertigen – also mit der Ausstoßfrequenz 10 Hertz. Die Technologie dafür gibt es heute weltweit noch nicht. Das ist für mich dank des europäischen Know-hows ein lösbares Thema. Aber wir müssen die richtigen Köpfe zusammenbringen, die diese Entwicklung dann vorantreiben können. Wir müssen teilweise auf Unternehmen im Sondermaschinenbau setzen, die heute noch nicht der Automobilindustrie zuliefern. Wir brauchen vielleicht die Expertise der Verpackungsindustrie oder aus dem Zeitungsdruck, die in solch hohen Fertigungsfrequenzen unterwegs sind und die bisher für sich noch keine Perspektive in der Wasserstoffwirtschaft erkannt haben. Um diesen jetzt Perspektiven aufzuzeigen, dafür ist die Nationale Wasserstoffstrategie gut. Wir müssen solche Unternehmen spätestens jetzt motivieren, mit uns, der Automobilindustrie, zusammenzuarbeiten.
Jörg Starr ist seit April 2019 Vorsitzender der Clean Energy Partnership (CEP), in der 16 Partnerunternehmen überwiegend aus der Automobilindustrie einen gemeinsamen Auftritt für Erforschung, Entwicklung und politische Präsenz der Wasserstoff-Mobilität bündeln. Die CEP-Partner aus der Autoindustrie sind die Marken-Fahrzeughersteller Audi, BMW, Daimler, Honda, Hyundai und Toyota sowie die Mineralöl- und Tankstellenkonzerne OMV, Shell, Total und Westfalen Gruppe. Zudem dabei sind das Gase- und Gastechnologieunternehmen Air Liquide, das Wasserstofftankstellen-Netzwerk H2 Mobility, der Industriestandort-Dienstleister Infraserv Höchst, der stark auf Ökoenergie setzende Oldenburger Energieversorger EWE sowie Erneuerbare-Energien-Unternehmen GP Joule.
Die nationale Wasserstoffstrategie der Bundesregierung gibt seit ihrer Veröffentlichung im Juni den politischen Kurs in Deutschland für die Erzeugung grünen Wasserstoffs aus überschüssigem Grünstrom als Energiespeicher und als klimaneutraler Treibstoff im Verkehr oder Brennstoff für Industrieprozesse.
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