Die Pressemitteilungen des Stuttgarter Windparkprojektentwicklers klingen verzweifelt optimistisch. „Bard und Windreich gehen in der Nordsee vorweg – Der deutsche Mittelstand erfüllt die Erwartungen der Bundesregierung“, meldete das Unternehmen gestern, das aktuell das Nordsee-Vorhaben Global Tech 1 projektiert. Nur zehn Tage zuvor hatte Windreich-Chef Willi Balz gewarnt, Projektierer, die auf Konzernstrukturen setzten, gingen ein unnötig hohes Risiko ein. Sie schielten auf billigere Produktionsverfahren bei reduziertem Materialeinsatz. So verzichteten sie auf den Einsatz kostenintensiver aber besonders leichter Kohlefasern in den Rotorblättern – und setzten stattdessen auf gefährliche weil die Komponentenstabilität gefährdende Verschlankungen im Design.
Es sei auch kein Zufall, dass das noch eigenständige aber inzwischen völlig mittellose Turbinenbauunternehmen Bard in der vorigen Woche als erstes Unternehmen den Bau eines 400-Megawatt-Windparks in der Nordsee vollendete. Für sachgerecht hält Balz es somit auch, dass Windreich als einziges Unternehmen mit einem 400-Megawatt-Windpark in der Nordsee im Zeitplan liege. Windreich setze mit Areva-Windturbinen bei Global Tech 1 auf Anlagen, die aus in Deutschland sowie überwiegend mittelständisch hergestellten Komponenten bestehe.
Der Fall Windreich
Die Windreich AG war im März das Ziel einer staatsanwaltschaftlichen Untersuchung wegen des anonym vorgebrachten Verdachts einer mutmaßlichen Bilanzfälschung geworden. Das hatte Anleger von Windreich-Anleihen beunruhigt. Seine letzten Anleihezinsen zahlte das Unternehmen nahezu pünktlich, so dass sich die Unruhe aktuell gelegt hat.
Dass Mittelständler sehr wohl mitmischen können, belegte allerdings 2012 das Netzwerk der deutschen Offshore-Windkraft WAB in Bremerhaven. So lautete das Ergebnis einer bei Pricewaterhouse Coopers in Auftrag gegebenen Studie: "Die Wertschöpfungskette der Offshore-Industrie ist vor allem mittelständisch geprägt". Der Anteil der Mittelständler an der deutschen Offshore-Windkraftindustrie liege bei 70 Prozent. Und das Magazin ERNEUERBARE ENERGIEN analysiert in der Augustausgabe, dass viele Innovationen weiterhin mittelständische Komponentenzulieferer beisteuern – auch wenn dies kaum publik wird. Denn die kleinen und mittleren Unternehmen mit bis zu 200, maximal aber 500 Mitarbeitern verstehen sich angesichts der Marktmacht der groß gewordenen Turbinenhersteller häufig als deren reine Dienstleister. Hier gilt die Devise: Der Kunde ist König, die eigene Leistung bleibt dezente Zuarbeit.
Hochinnovative Spezialisten: Beispiel Hytorc
Zu diesen Spezialisten gehört beispielsweise auch Hytorc mit 80 Mitarbeitern. Geschäftsführer Patrick Junkers ist gut darin zu erklären, warum das Schrauben auch eine Wissenschaft ist. Und zwar für Unternehmen wie das seine, das als Zulieferer nur Muttern und Unterlegscheiben für die großen Bolzen der Rotorblattflansche beisteuert. Denn eigentlich stellt Hytorc die Werkzeuge fürs Schrauben her. Weil Schrauben beim Zudrehen sich in sich verwinden können, weil sie elastisch sein können so lange sie nicht eine bestimmte Spannungsgrenze erreicht haben, müssen sie irgendwann ein- oder mehrmals nachgezogen werden. Denn jede Verwindung sucht physikalisch betrachtet den Rückweg in die Ursprungsform. Elastische Verbindungen bewegen sich unkontrolliert bei Schwingungen.
Die Schraubenzugtechnik, die das Nachziehen künftig erübrigen soll, hat Hytorc 2013 einen Preis für den besten deutschen mittelständischen Innovator eingebracht: Ferngesteuert ziehen hydraulische Werkzeuge hierbei die Schrauben so an, dass sie sich eben nicht verdrehen – und sie gerade so die Grenze der Elastizität erreichen ohne von Haarrissen im Innern verdorben zu werden. Laut Junkers verkürzt das Verfahren die Anziehzeit für jede Schraube von zweieinhalb Minuten auf 45 Sekunden. Zudem erhöht es die Sicherheit: „Wir arbeiten mit Fernbedienung – da schauen dann einem Techniker nicht mehr wie bisher 1.500 Bar direkt ins Gesicht.“ Die Unfallgefahr durch plötzlich abspringende, dem Monteur entgegenschleudernde Werkzeuge oder Muttern werde gemindert. Gerade für die deutschen Offshore-Windparks will Junkers seine Technologie einführen. Denn hier schlägt aufgrund der hohen Entfernung zur Nordseeküste jeder Wartungsservice-Einsatz teuer zu Buche. Und jede eingesparte Servicetechnikertour ist bares Geld wert. Noch allerdings scheue die Branche die höheren Anschaffungskosten dieser Schrauben-Werkzeuge, sagt Junkers.
Schnelligkeit im Getriebebau
Auch bei den ganz großen Bauteilen einer Windenergieanlage wie Türmen, Großdrehlagern oder Getrieben halten sich vereinzelt Mittelständler – aus gutem technologischem Grund. So fertigt der Bochumer Getriebebauer Eickhoff mit rund 500 Mitarbeitern Windkraftgetriebe. Als einer der letzten Antriebszulieferer wirtschaftet das Unternehmen noch ohne Mutterkonzern. Es gehört allerdings zu einer Holding in Familienbesitz, die Maschinen für den Bergbau produziert. Mit Nordex, Repower und GE benennen drei der 15 größten Turbinenhersteller die Bochumer als Hauptlieferant.
Der Geschäftsführer der Antriebssparte, Ralf Wittor, will die Schnelligkeit von Entwicklungen als Vorzug der gerade noch mittelständischen Struktur des Unternehmens verstanden wissen: Bei Eickhoff könnten angepasste Getriebe für neue Großwindturbinen fast auf Zuruf in die Entwicklung gehen – während die meist zu Großkonzernen gehörenden konkurrierenden Getriebebauer zuvor komplexere Abstimmungen zwischen Konzernabteilungen durchlaufen. Um „Monate schneller“ als anderswo könne Eickhoff dann liefern: Nur 13 Monate dauere es vom Auftrag bis zur ersten Produktion, um ein komplett neues Getriebe für eine neue Windraddimension oder gar für Neukunden zu erstellen.
Fest steht: Die Eickhoff-Kunden Nordex und Repower waren die ersten nach Weltmarkführer Vestas, die seit 2011 in Deutschland ausgewiesene Binnenlandturbinen mit besonders großen Rotoren von mehr als 110 Meter Durchmesser errichten. Solche Riesenrotoren sollen Energie fernab der windreichen Küsten auch dort verlässlich einfangen, wo er eher böig mal irgendwo 40 bis 50 Meter oberhalb des Maschinenhauses und mal nur 30 Meter rechts davon auftritt.
Und Nordex war im Februar für kurze Zeit das erste Unternehmen der Branche, das einen solchen Binnenland-Riesenrotor nach Triebstrangverstärkungen in eine neue Turbinengeneration mit drei Anlagen auffächerte. Diese Upgrade-Version soll mit erhöhter Leistung die Stürme an nordeuropäischen Starkwindstandorten ernten (ERNEUERBARE ENERGIEN 05/2013). Repower hatte 2012 als Vorreiter die beiden jetzigen Binnenlandwindturbinen 3.2M114 und 3.4M104 in stärkere Windklassen hochzertifizieren lassen, während eine neue Turbine für das Binnenland mit nun 3,0 Megawatt (MW) Leistung und 122-Meter-Rotor in der Entwicklung steckt. Das Getriebekonzept benötigte dafür offenbar nur noch geringe Anpassungen.
Scheu bei Mittelständlern vor Neueintritt
Freilich: Dem Mittelstand fliegt das Geschäft mit weltweit zerstreuten und volatilen Märkten nicht zu. Mittelständische Zulieferer der Automobilbranche nutzten ihre Chancen noch zu zögerlich, sich mit ihrem Wissen in der Windkraft ein zweites Spielbein aufzubauen, klagte daher noch 2011 das Münchner Beratungsunternehmen Research Fellows. Der Autor der entsprechenden Kurzstudie, Research-Fellow-Analyst Johannes Ganser, betont: Nur 15 Prozent der befragten Unternehmen hätten einen solchen Schritt getan, die anderen scheuten offenbar das Risiko des Neuen. Möglicherweise seien speziell solche Autozulieferer geeignet, die jetzt für Spezialwagen-Kleinserien hochqualitative Teile produzieren und mitentwickeln.
Der Redakteur der Würzburger Zeitschrift Konstruktionspraxis Jan Vollmuth hat zwei Jahre lang eine Konferenz seines Verlages für mittelständische Windkraftzulieferer aus Süddeutschland veranstaltet. Seine Beobachtung: In der großen Masse lieferten Mittelständler vor allem Kleinteile zu: Drehgeber zur elektronischen Kontrolle eines Generators zum Beispiel, Blitzeinschlagsschutzvorrichtungen, Sensoren. Und realistisch sei auch deren schwere Lage: „Der Preisdruck des Marktes schlägt auf sie durch.“
Konsolidierungen
So finden Konsolidierungen im Markt mit Übernahmen von Mittelständlern natürlich statt: Hersteller von Bremsen gehören hierzu – Windradbremsen müssen bei Reparaturen die großen Maschinenhäuser in einer aus dem Wind gedrehten Position festhalten. Solche Unternehmen sind unlängst durch Großunternehmen aufgekauft worden. Andere Mittelständler wie der dänische Rotorblattbauer SSP Technology interessieren sich erklärtermaßen für mittelfristige Übernahmen durch ein größeres Unternehmen.
Windreich-AG-Chef Willy Balz hatte vor wenigen Wochen in Interviews erklärt, an der eigenen Beteiligung von 14 Prozent an Global Tech 1 so lange wie dem Unternehmen möglich festhalten zu wollen. Denn je näher der im Bau befindliche Windpark der Netzeinspeisung komme, desto höhere Renditen seien zu erzielen. Aus mehreren Gründen heißt es: abwarten und weiter planen.
(Tilman Weber)