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Fehlerhafte Strategie: Heimische Erneuerbare werden abgeregelt, blauer Wasserstoff wird importiert 

Das Bundeskabinett hat die Fortschreibung der Nationalen Wasserstoffstrategie (NWS) beschlossen. Der Beschlussfassung im Kabinett vorausgegangen war eine politische Einigung aller Ressorts inklusive der fünf Kernressorts für Wasserstoff, also des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz, des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz, des Bundesentwicklungsministeriums, des Bundesverkehrsministeriums und des Bundesforschungsministeriums. Die Nationale Wasserstoffstrategie aus dem Jahr 2020 hat grundsätzlich weiter Bestand, wird nun aber mit der Fortschreibung an das gesteigerte Ambitionsniveau im Klimaschutz und die neuen Herausforderungen am Energiemarkt weiterentwickelt.  Sie setzt staatliche Leitplanken für die Erzeugung, den Transport und die Nutzung von Wasserstoff und seinen Derivaten und bündelt die Maßnahmen der Bundesregierung. Eine zuverlässige Versorgung Deutschlands mit grünem, auf Dauer nachhaltigem Wasserstoff ist dabei erklärtes Ziel der Bundesregierung.

„Mit der Fortschreibung der Nationalen Wasserstoffstrategie setzen wir den Rahmen für die neue Phase im Wasserstoffmarkthochlauf, die wir seit dem Regierungsantritt konsequent eingeleitet haben: Von Forschung und Demonstration hin zur großskaligen Produktion“, sagt Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, Robert Habeck: „Investitionen in Wasserstoff sind eine Investition in unsere Zukunft. In den Klimaschutz, in qualifizierte Arbeitsplätze und die Energieversorgungssicherheit.“ Diesen Investitionen gebe die Fortschreibung der Wasserstoffstrategie eine verlässliche Grundlage und stelle die Weichen für eine enge Zusammenarbeit mit unseren Partnern in Europa und der Welt. Zur erfolgreichen Umsetzung der Strategie arbeite die Regierung außerdem aktuell mit Hochdruck an der Schaffung der erforderlichen Infrastruktur.

Der Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE) kritisierte derweil die Nationale Wasserstoffstrategie. BEE-Präsidentin Simone Peter sagte, die NWS sollte den für die Energiewende wichtigen Hochlauf einer Wasserstoffwirtschaft in Deutschland voranbringen. „Doch statt auf heimische Potenziale zur Produktion von grünem Wasserstoff zu setzen, zielt die Bundesregierung mit ihrer Strategie vorrangig auf Importe per Schiff, auch von blauem Wasserstoff“, so die Kritik. Der importierte, zum Teil blaue Wasserstoff sei durch seine Vorkettenemissionen nicht nur viel klimaschädlicher als grüner Wasserstoff, sondern auch teurer, wie kürzlich eine Studie des Wuppertal Instituts gezeigt habe. Nach der durch die hohe Erdgasabhängigkeit verursachten Kosten- und Versorgungskrise des letzten Jahres drohe Deutschland in neue Importabhängigkeiten zu geraten. „Angesichts der großen Invesititionsvolumina in die Wasserstoffproduktion und Infrastruktur, aber auch aufgrund steigender Anforderungen an Energiesicherheit und Resilienz sind Fehlinvestitionen und -anreize unbedingt zu vermeiden. Deutschland verfügt nicht nur über große Gas- beziehungsweise Wasserstoffspeichermöglichkeiten, es gibt heute auch schon große Mengen an erneuerbarer Energie, die für die Wasserstoffproduktion eingesetzt werden könnten: Allein 2021 wurden 5.817 Gigawattstunden Strom abgeregelt, die besser genutzt worden wären“, so Peter.

Der Nationale Wasserstoffrat (NWR) begrüßt als Beratungsgremium der Bundesregierung erwartungsgemäß die vom Bundeskabinett beschlossene Fortschreibung der NWS: „Es ist ein wichtiger Meilenstein, dass die Bundesregierung die Nationale Wasserstoffstrategie ambitioniert fortsetzt – denn Wasserstoff hat eine immense industrie- und technologiepolitische Bedeutung“, sagte die NWR-Vorsitzende Katherina Reiche, Parlamentarische Staatssekretärin a. D.. „Nur mit Wasserstoff können wir Wertschöpfungsketten erhalten und dafür sorgen, dass Schlüsselindustrien in Deutschland bleiben. Dieser Mehrwert ist gar nicht hoch genug einzuschätzen. Die deutsche Industrie braucht sichere, saubere und bezahlbare Energie, um auch in Zukunft international wettbewerbsfähig zu sein und Arbeitsplätze zu erhalten.“

Nach Prognosen des NWR steigt der Bedarf an Wasserstoff und Wasserstoffderivaten bis zum Jahr 2045 auf 964 bis 1.364 Terawattstunden. „Der Inflation Reduction Act der USA und ähnliche Regelungen weltweit werden den Aufbau von umfassenden Wertschöpfungsketten in industriellem Maßstab beschleunigen – von der Produktion bis zu Anwendungen in unterschiedlichen Sektoren. Angesichts der rasanten Fortschritte anderer Staaten sollte sich die Bundesregierung davon verabschieden, ausschließlich auf Leuchtturmprojekte zu setzen. Wichtiger ist es, effektive Anreize für die schnelle Skalierung der Wasserstoffwirtschaft und die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle zu schaffen“, so Reiche.

Aus Sicht des NWR ist bereits klar, dass sich der Bedarf mit dem heimischen Elektrolyseziel der Bundesregierung von 10 Gigawatt nicht decken lässt. Daher ist die geplante Importstrategie der folgerichtige Schritt, um im Zusammenspiel mit der heimischen Produktion ausreichend Wasserstoff und seine Derivate zu wettbewerbsfähigen Konditionen zur Verfügung zu stellen: „Wir brauchen nachhaltige Importpartnerschaften“, sagt der stellvertretende NWR-Vorsitzende Felix Matthes, „dazu bedarf es intensiver Zusammenarbeit mit potenziellen Lieferländern, auch zur Absicherung einer umfassenden Nachhaltigkeit der Lieferungen von Wasserstoff und Wasserstoffderivaten. Wir benötigen aber auch dringend robuste Rahmenbedingungen für den Aufbau von Langfristlieferverträgen. Bis zum Jahr 2045 werden wir den größten Teil des Wasserstoffs importieren – bei Derivaten wie Methanol, Ammoniak oder synthetischen Flugtreibstoffen wahrscheinlich sogar über 80 Prozent.“

Der NWR begrüßt mehrheitlich, dass für die Hochlaufphase auch alle klimaneutralen Wasserstoffarten zur Deckung der Bedarfe genutzt und anwendungsseitig gefördert werden sollen. Diese Maßnahme ist für die Hochlaufphase ein wichtiger Schritt, um Wasserstoff in einem ausreichenden Maße ohne entstehende Nutzungskonkurrenz sicherzustellen. Voraussetzung für einen raschen Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft ist der zügige Aufbau einer entsprechend leistungsfähigen Infrastruktur – und dazu gehören sowohl die richtige Finanzierung als auch die passende Regulierung. Das Gremium unterstützt ausdrücklich, dass die Infrastruktur privatwirtschaftlich ausgebaut werden soll. Der erste Schritt sei ein überregionales Kernnetz. Doch auch die Verteilnetzbetreiber – insbesondere die Hochdrucknetze – spielen eine entscheidende Rolle als Verbindungselement zu den Wasserstoffkunden des industriellen Mittelstands. Für eine effiziente Umnutzung bestehender Gasnetzinfrastruktur muss auf europäischer Ebene sichergestellt werden, dass die Entflechtungsregelungen für Wasserstoffnetzbetreiber sich an denen der Gasnetzbetreiber orientieren. 

Eine weitere Voraussetzung für den Aufbau der Infrastruktur ist aus Sicht des NWR die passende Finanzierung und damit Investitionssicherheit. Erste Netzkunden dürfen nicht durch prohibitive Netzentgelte abgeschreckt werden, es braucht ausreichend Liquidität für investierende Unternehmen – und keine benachteiligten Finanzierungs-, Netzentgelt- oder Netzzugangsbedingungen für nachgelagerte Verteilnetze.

Der NWR unterstreicht die industrie- und technologiepolitische Bedeutung von Wasserstoff. Die traditionellen Kompetenzen der deutschen Industrie, insbesondere auch die Massenfertigung in höchster Präzision und die kontinuierliche, technisch führende Weiterentwicklung, bieten beste Voraussetzungen für die aus Kosten- und Skalierungsgründen unabdingbare Industrialisierung der Wasserstofftechnologie. Um den Markthochlauf entlang der gesamten Wertschöpfungskette und für eine breite Hersteller- und Zuliefererindustrie hinweg anzureizen, sei ein kohärenter Förder- und Handlungsrahmen unabdingbar. Dabei bieten die traditionellen Kompetenzen der deutschen Industrie beste Voraussetzungen für die aus Kosten- und Skalierungsgründen unabdingbare Industrialisierung der Wasserstofftechnologie.

Der NWR begrüßt die Aussagen zur Rolle und Bedeutung von Wasserstoff und seinen Derivaten im Verkehr. Der Verkehrssektor, insbesondere Luft- und Schifffahrt sowie Teile des Straßengüterverkehrs, eignet sich aus Sicht des NWR vor dem Hintergrund der heutigen Kostenstruktur als Einstiegsmarkt zum Aufbau von Wertschöpfungs- und Lieferketten für Wasserstoff und Derivate in Deutschland. Der NWR befürwortet die kommunale Wärmeplanung als entscheidendes Planungsinstrument der Wärmewende. Für eine erfolgreiche Wärmewende werden aus Sicht des NWR alle Technologieoptionen, Wärmepumpe, Wärmenetze, erneuerbare Wärme und Wasserstoff benötigt. Somit sollten alle Technologien als gleichberechtigte Erfüllungsoption im Gebäudeenergiegesetz verankert werden und beim Ausbau der Infrastruktur Berücksichtigung finden. Der NWR befürwortet die geplante Vereinfachung und Beschleunigung bei der Errichtung von Anlagen und Infrastrukturen sowie den Abbau regulatorischer Hindernisse, um den Ausbau der Wasserstofferzeugungs-, Transport-, Tank- und Importinfrastruktur zu beschleunigen.

Der zügige Markthochlauf erfordert aus Sicht des NWR zwingend schnell rechtskräftige und möglichst einheitliche Nachhaltigkeitsstandards und Zertifizierungssysteme für Wasserstoff und seine Derivate in der EU, die international anschlussfähig sind. Hierzu bedarf es, wie nun mit der Fortschreibung der NWS vorgelegt, nicht nur eines Ausblicks bis 2030 – sondern bis mindestens 2035 inklusive wesentlicher Marktparameter.(nw)