Die Gewerkschaften befinden sich in einem echten Dilemma, wenn es um ihre Position zur Energiewende oder besser gesagt zur Zukunft der Energieversorgung geht. So liest sich zumindest der relevante Beschlussantrag für den diesjährigen DGB-Kongress, der derzeit in Berlin stattfindet. Darin bekennen sich die Gewerkschafter zwar zunächst einmal zur Energiewende. „Um dem Klimawandel zu begegnen, ist eine schrittweise Abkehr von der Verbrennung fossiler Energieträger notwendig, so wie sie in internationalen Abkommen vereinbart wurde”, lautet der erste Satz des Beschlussantrag „Klima, Energie, Mobilität - Den Wandel gerecht gestalten”. „Der Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft stellt bestehende Strukturen unseres Wirtschaftssystems in Frage, zumal gegenwärtig noch weitaus mehr als 80 Prozent des Primärenergieverbrauchs aus fossilen Quellen stammen”, haben sie schon mal richtig erkannt.
Angst vorm Kohleausstieg
Doch genau hier liegt der Hase im Pfeffer. Denn genau in diesen bestehenden Strukturen sind die Gewerkschaftsmitglieder beschäftigt. Und die Gewerkschaften müssen sich dafür einsetzen, dass dies auch so bleibt – ist ja eine ihrer Aufgaben. Deshalb fordern sie einen Kapazitätsmarkt, um das Geschäft mit der Kohleverstromung weiter aufrecht erhalten zu können. Für die Braunkohlekumpel in der Lausitz mag das eine Steilvorlage sein. Doch am Ende sollten sich die Gewerkschafter mehr Gedanken machen, wie der komplette Ausstieg aus der Kohleverstromung gelingen kann, ohne dass die Mitarbeiter in den Tagebauen und in den Kohlekraftwerken unter die Räder kommen. Ein einfacher Hinweis darauf, dass der Strukturwandel sozial verträglich vonstatten gehen muss, reicht da bei weitem nicht aus.
Sachsen wollen Kohleausstieg verschieben
Die sächsischen Gewerkschafter haben zu diesem Thema sogar noch einen zweiten Pfeil in den Köcher gesteckt. Mit einem zusätzlichen Antrag fordern sie: „Zuerst müssen die Fragen der Energieversorgung beantwortet werden und der daraus resultierende Strukturwandel auf einen klaren Lösungsweg gebracht werden. Erst dann kann über ein Enddatum der Braunkohleverstromung entschieden werden”. Das bedeutet nichts anderes, dass der Ausstieg aus der Braunkohleverstromung auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben werden soll. Einen Lösungsvorschlag, wie der Strukturwandel gestemmt werden soll, liefern sie aber nicht mit. Hier sollten die Gewerkschafter noch einmal in sich gehen und überlegen, ob sie nicht einfach von der Energiewende überholt werden, wenn sie zu lange warten.
Autohersteller müssen sich anstrengen
Doch damit nicht genug. Auch andere Branchen werden von der Energiewende betroffen sein. Sie müssen ihren Kohlendioxidausstoß drastisch verringern. Die letzte Bundesregierung hat im Klimaschutzplan klare Zielmarken gesetzt. Doch genau dieser Klimaschutzplan kommt plötzlich bei den Gewerkschaften gar nicht mehr so gut an. Vor allem die CO2-Minderungsziele fallen einer heftigen Kritik anheim. Denn die Gewerkschafter wittern hier eine Gefahr für Arbeitsplätze unter anderem bei den deutschen Autoherstellern. Schließlich müssen die Autobauer mehr als nur eine Schippe drauf legen, wenn sie den CO2-Ausstoß im Verkehrssektor um 40 bis 42 Prozent senken wollen. Schaffen sie das nicht, machen andere das Geschäft.
Gebäudebestand dekarbonisieren
Immerhin finden sich in dem Antrag auch ein paar positive Ansätze. So fordert der DGB ein umfassendes Programm zur energetischen Sanierung von Gebäuden. Das ist zwar auch nicht ganz uneigennützig. Schließlich würde es einen echten Beschäftigungsboom auslösen, wenn die Hauseigentümer endlich ihre alten Heizkessel aus dem Keller werfen und durch effiziente Geräte ersetzen müssten. Ganz abgesehen von den Effizienzmaßnahmen, die das flankieren würden. Aber genau so ein Zwang in Kombination mit einer entsprechenden Förderung ist notwendig, um endlcih damit anzufangen, den Gebäudebestand zu dekarbonisieren.
Mehr als zehn Millionen arbeiten in den Ökostrombranchen
Auch der Vorschlag, den Preis für die Kilowattstunde Strom nicht zum einzigen Kriterium in den Ausschreibungen zu machen, ist von der beschäftigungspolitischen Seite betrachtet charmant. Denn wenn die Herkunft der Komponenten als Kriterium mit eingeführt werden, könnte das den deutschen und europäischen Modulherstellern helfen. Zudem könnte Deutschland dann ein größeres Stück vom Beschäftigungskuchen in den erneuerbaren Energien abbekommen. Wie groß der ist, hat die Internationale Agentur für Erneuerbare Energien (Irena) jüngst gezeigt. Weltweit arbeiteten Ende 2017 mehr als 10,3 Millionen Menschen in den Branchen der erneuerbaren Energien. Das ist eine Steigerung um 5,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Bis zum Jahr 2050, so erwarten die Analysten, werden bis zu 28 Millionen zusätzlicher Ökoenergiejobs entstehen. Deutschland ist zwar noch mit vorn dabei. Aber ohne funktionierenden Binnenmarkt kann sich das perspektivisch ändern.
Mindestausbauziele statt Deckel
Deshalb braucht die Bundesrepublik – auch mit Blick auf die Sektorkopplung – ambitionierte Mindestausbauziele und keine Deckel beim Zubau wie sie derzeit bestehen. Mit solchen Forderungen sind die Gewerkschaften eigentlich auf dem richtigen Weg in die Zukunft. Doch mit ihrem Ansatz, auch weiterhin Kohle verstromen zu wollen, stehen sie sich selbst im Weg. Statt dessen sollten sie den Strukturwandel endlich offen angehen und die Braunkohlekumpel in der Lausitz und den anderen Revieren mitnehmen. (Sven Ullrich)