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Automatisierung

Gesteuerte Echtzeit

Die Freqcon GmbH hat eine komplette Standard­automatisierung für einen künftigen Hersteller einer Windenergieanlage mit Getriebe entwickelt. Zwei wesentlichen Zielen folgt dieses System: Zum einen soll die Steuerung leichter kontinuierlich angepasst werden können, um die Anlage zunehmend effizienter zu fahren. Zum anderen verbindet sich hier die Automatisierung des Anlagenbetriebs mit Energiespeichern aus Lithium-Batterien. Sie ermöglichen einen autarken Betrieb der Windenergieanlagen – und sogar deren Grundlastfähigkeit.

Technische Voraussetzung ist folgende: Die Automatisierung soll mit Profinet arbeiten, einem System, das die zentrale Computersteuerung per Datenübertragungskabel mit dem Umrichter verbindet. Denn vom Umrichter aus werden alle Daten über die wichtigsten Triebstrangkomponenten erfasst. Das von Freqcon entwickelte System soll Standardprotokolle erfassen und in Form von Leistungs-, Temperatur- oder Schwingungskurven visualisieren.

Die Integration der Wechselrichter funktioniert mittels einer schnellen Steuertechnik. Die in die Windturbine eingebauten Wechselrichter sind mit Schaltungsorganen ausgerüstet, mit so genannten IGBTs, die sich mit dem bei Siemens gängigen Steuerungscomputer Microbox PC binnen 250 Mikrosekunden ansteuern lassen. Das ist ein Zeitraum von einem Viertel einer Tausendstel Sekunde. Bei dieser Echtzeitsteuerung von Windenergieanlagen gibt es in der deutschen Windparkrealität noch viel Luft nach oben. Und wenn Windenergieanlagen steuerungstechnisch sehr homogen aufgebaut sind, bringt es im Betrieb enorme Vorteile. Dass sämtliche Komponenten aufeinander abgestimmt sind, ist in der Windbranche noch nicht oft möglich. Für diese Abstimmung braucht es ein schnelles und leistungsfähiges Datenübertragungskabel, mit anderen Worten: einen Bus.

Echtzeitsteuerung ist die Grundlage

Für den erwähnten Anwender, der mit der Eigenentwicklung einer 2,2-Megawatt-Windenergieanlage neu in den Markt einsteigen möchte, projektiert Freqcon die gesamte Steuerungstechnik. Sie basiert kommunikationstechnisch auf Profinet, weil es ein leistungsfähiges und offenes Bussystem ist und mittlerweile alle notwendigen Standardkomponenten dafür verfügbar sind.

Die Steuerung der gesamten Windenergieanlage arbeitet auf einem windowsähnlichen Programm (Soft SPS mit WinAC RTX). Damit lassen sich in den Windenergieanlagen Echtzeitvorgänge programmieren. Das Programm kann auf eine Software zugreifen, die über 50 virtuelle Nachschlagewerke zu den unterschiedlichsten technischen Aufgaben in einer Windturbine verfügt. Das Steuerprogramm greift darauf in der so genannten Wind Library zurück. Es kann sich dort beispielsweise ständig die Vorgaben für die Windnachführung der Anlage, für die Temperaturregelung im Generator, für die Blattverstellung zur Beschleunigung oder Verlangsamung der Rotordrehung oder für den Abgleich mit der Leistungskurve heraussuchen.

Das Problem herkömmlicher Windturbinensteuerung lässt sich so umschreiben: Die Steuerung der einzelnen Funktionen verläuft über autarke Systeme. Die Entwickler von Steuerungen, Turbinen oder Komponenten haben nur immer wieder neue Funktionen der Steuerung für ihre Komponente oder Anlage hinzugebaut. Abgesehen davon, inwiefern eine uneinheitliche Steuerungsarchitektur das Tempo oder die Taktung der Funktionskontrolle beeinträchtigt: Wenn ein Entwickler hier etwas in der Steuerung verändern will, muss er zunächst eine Folgenanalyse betreiben. Denn will er ein altes Steuerungsinstrument entfernen, darf dieses nicht von anderen Steuerungsteilprogrammen mitgenutzt werden. Vereinfacht gesagt: Er muss zuerst absichern, dass sich die Teilsteuerungen nicht über ihre Softwareprogramme miteinander verschränkt haben – und dass sie bei einer Veränderung sauber auseinanderdividiert werden können.

Veränderbare Programmierung

Die Kommunikation der neu entwickelten Steuerung erfolgt über Profinet RT, ein Bussystem in Echtzeit (Real Time: RT). Programmiert wird mittels strukturierten Textes – einer bedienfreundlichen Software-Hochsprache, die kleine Veränderungen in Rechenschleifen durch die Anlagenwartung zulässt. So können Servicetechniker auf einfache Weise Anlagenoptimierungen selbst durchführen. Das ist die Basis für schnelle Inbetriebnahme- wie Wartungsvorgänge.

Pitch-System und Yaw-Antriebe arbeiten mit einem besonders intelligenten Frequenzumrichter (Sinamics G120): Die Blattwinkelverstellung und die Motoren zur Ausrichtung des Maschinenhauses mitsamt Rotor in den Wind werden hier mit Strom versorgt, dessen Frequenzen durch diesen Umrichter fein austariert sind. Nur dann können Rotorblätter und Maschinenhausgondel sanft in den Wind gestellt werden – ohne stets mit einem Ruck anzulaufen und für Vibrationen der gesamten Anlage zu sorgen. Außerdem ermöglicht dieser Frequenzumrichter, dass die Lasten zwischen den vier Motoren des Yaw-Antriebs gleichmäßig verteilt werden.

Die Visualisierung der Daten erfolgt über die Software WinCC flexible, die auf dem Betriebssystem Windows basiert. 24-Volt-Netzteile liefern die Steuerspannung. Die Verzweigung des Kommunikationsnetzes wird einfach über so genannte Switches vom Typ Scalance organisiert: Solche Switches schalten über die Steuerungsleitungen sämtliche Steuerungssignale zu den Komponenten oder Funktionen durch. Und sie leiten die Daten ebenfalls weiter zu anderen Komponenten, die auf diese Steuerungsänderung sofort reagieren müssen. So muss beispielsweise der Umrichter sofort elektronisch über eine Steuerungsänderung informiert werden. Selbst die Netzabsicherung über einen Leistungsschalter ist in das Kommunikationsnetzwerk eingebunden.

Dieser ganzheitliche Systemansatz der Steuerung wird bei Siemens Totally Integrated Automation (TIA) genannt. TIA lässt bei der neuen Windenergieanlage nun ein Plug-and-play-Verfahren zu: Welche Funktion und welches Bauteil auch immer in der Steuerung verändert oder hinzugenommen werden muss: Es reicht im Wortsinne, die Hard- oder Software einzustecken und anzuschalten.

Energie speichern für den Service

Ist die Automatisierung aus einem Guss, ergeben sich weitere Möglichkeiten. Hierzu gehört die eingangs erwähnte Energiespeicherung: Es kommt vor allem in ausländischen Märkten wie China nicht selten vor, dass Windenergieanlagen fertig gebaut sind, aber erst Monate später in Betrieb genommen werden, weil der Netzanschluss noch fehlt. Servicetechniker aber brauchen für Reparatur- oder Montagearbeiten von Anfang an natürlich Strom. Der fehlt ihnen auch bei einem Leitungsausfall im Stromnetz. Gespeicherte Energie aus der Windenergieanlage könnte hier Abhilfe schaffen.

Die Speicherung leistet das neue Steuersystem so: Für den Synchrongenerator hat der Windkraftanlagenbauer wassergekühlte Wechselrichter entwickelt, die mit einem Batteriesystem aus Lithium-Batterien gekoppelt sind. Beide sind über Profinet mit der zentralen Steuerung der Windturbine verbunden. Die Lithium-Zellen liefern eine Spannung von 3,2 Volt und zirka 1.000 Amperestunden. Die Batterien stehen in der Turbine – und wenn diese in einem stromverbrauchsarmen Zeitraum nichts ins Netz einspeisen muss, können die Batterien die Windenergie aufnehmen. Rund 200 Kilowattstunden Speichergröße sind vorgesehen. Damit liefert die neue Windenergieanlage immer genügend Strom für ihren Eigenbetrieb.

Allerdings: Diese Batterien sind einstweilen kaum mehr als eine Idee. Siemens Industry Automation und Freqcon fangen aber damit an, das Konzept auf die Speicherlösung auszuweiten. Auf jeden Fall sollte das Batteriesystem mit dem Stromzwischenkreis des Turbinen-Wechselrichters verbunden sein. Auf diese Weise spart der Betreiber sogar die sonst notwendigen Transformatoren.

Riesiger Batterieblock für Grundlast

Der Wirkungsgrad dieser Batteriesysteme liegt im Bereich von 90 bis 95 Prozent. Die Verlustleistung während der Lade- sowie Entladezyklen beträgt nur ein Prozent. Das bedeutet, dass sie sehr dicht platziert werden können, ohne dass es zu thermischen Problemen, also Überhitzungen, führt.

Auf diese Weise könnte gespeicherte Energie die Windenergieanlagen sogar grundlastfähig werden lassen. Es wäre vorstellbar, dass im Fuß einer Anlage mit 149 Meter Höhe ein riesiger Batterie­block Platz fände, der bis zehn Megawattstunden liefert. 80 Kubikmeter Raum wären dafür notwendig. Bei einem Fußdurchmesser von acht Metern würde der Keller unter dem Einstieg dafür genügen.

Hierfür hat Frecqon ein System entwickelt. An den Anschlussklemmen jeder einzelnen Lithium-Batterie befindet sich eine selbst entwickelte Mess­einrichtung, die Temperatur, Spannung und das Balancing erfasst. Im Gegensatz zur Anlagensteuerung wird hier die Variante Simotion P320 verwendet. Die Kommunikation zwischen den selbst entwickelten IGBT-Einheiten zur Steuerung der Wechselrichter sowie der Batterien erfolgt über Profinet IRT (Isochronous Real Time). So lassen sich die extrem schnellen Regelungen durchlaufen, die solche Speichersysteme erfordern.

Dabei hat es sich als vorteilhaft erwiesen, etwa zehn Prozent vom Lade- beziehungsweise Entlademaximum entfernt zu bleiben. Dadurch lassen sich die Lade- sowie Entladezyklen beschleunigen und ihre mögliche Häufigkeit sogar verdoppeln. Bei angenommenen 7.000 Zyklen und einem Komplettzyklus pro Tag bedeutet das eine Lebensdauer der Energiespeichersysteme von etwa 20 Jahren.

Das Thema Energiespeicher wird künftig mehr Interesse wecken. Die Einspeiseverordnung in China legt bereits fest, dass zehn Prozent der installierten Leistung bei Windenergieanlagen über Energiespeicher zwei Stunden lang zur Verfügung stehen müssen – auch in Deutschland wird über solche Regelungen nachgedacht.
Die Kosten des neuen Steuerungssystems entsprechen denen heutiger Steuerungssysteme. Die Anwender zahlen zwar für die noch frische Innovationsleistung dazu, zugleich sparen sie vielleicht sogar mehr, weil Doppelausrüstungen der Anlagensteuerung wegfallen. Sie sind bisher unvermeidlich: Die modular aus mehreren Anwendungen zusammengebauten Steuerungen brauchen ein je eigenes Bussystem und eigene Datenanalogeingänge.

Sönke Ingwersen
Leiter Vertrieb und Promotion Wind
Siemens Industry Automation

Norbert Hennchen
Geschäftsführer
Freqcon GmbH