Fell warnt vor einer wachsenden Abhängigkeit nicht nur der Ukraine von russischen Energieimporten, sondern auch Europas. "Sowohl in der Erdölförderung als auch in der Erdgasförderung ist Russland am Peak angekommen und kann damit auch in der Summe in den kommenden Jahren keine zusätzlichen Öl- und Gasmengen an neue und alte Kunden liefern. Es ist eher zu erwarten, dass die russischen Erdöl- und Erdgasförderungen in den kommenden Jahren eher rückläufig sein werden, ab dem kommenden Jahrzehnt sicherlich sogar in starker und nennenswerter Größenordnung", schreibt er in einer Analyse.
Am Beispiel Erdgas zeigt Fell die Situation:
Die beiden großen russischen Gasfelder Yamburg und Urengoi, die noch Anfang des letzten Jahrzehnts mit etwa 330 Mrd. m³ jährlich etwa 60 Prozent der russischen Gasförderung lieferten, sind längst in rückläufiger Produktion und liefern heute nur noch etwas mehr als 100 Mrd. m³ bei weiterer stark rückläufiger Produktion. Aufgefangen wurde dieser Förderrückgang durch die Erschließung vieler neuer Felder, die alle ein wesentlich geringeres Gasvolumen bereitstellen und zum Teil auch schon wieder in rückläufiger Produktion sind. Es wird Russland in den kommenden Jahren sehr schwer fallen, die Förderrückgänge bereits erschlossener Gasfelder durch Neuerschließungen aufzufangen. Es ist vielmehr zu erwarten, dass Russland dies nicht gelingt. Ein Indiz dafür ist, dass beispielsweise die Erschließung des einstigen großen Hoffnungsträgers der künftigen Gasförderung Russlands, das Schtokmangasfeld in der Barentssee, mit großem Presseecho einst verkündet und in Kooperation mit Norwegen begonnen wurde, inzwischen aber wegen der hohen Investitionen und großen technischen Schwierigkeiten auf unbestimmte Zeit in die Zukunft verschoben wurde.
Russland wird in den nächsten Jahren die Gasförderung nicht ausweiten können. Zur Sicherung der bestehenden Lieferverpflichtungen wurde bereits 2007 ein Gasbezugsvertrag mit Turkmenistan geschlossen. Im Jahr 2012 importierte Russland etwa 30 Mrd. m³, wovon 12 Mrd. m³ aus Kasachstan und 10 Mrd. m³ aus Turkmenistan stammten. Gleichzeitig bauen aber Russland wie auch Turkmenistan und Kasachstan große neue Gasförderlieferstrukturen nach Fernost aus. 2012 belieferte Turkmenistan vor allem Japan, aber auch China und Korea mit insgesamt 15 Mrd. m³ verflüssigtem Erdgas. Turkmenistan lieferte bereits über 20 Mrd. m³ per Pipeline nach China. Im vergangenen Jahr wurde ein Rahmenabkommen mit China abgeschlossen, das die Lieferung von 38 Mrd. m³/a ab dem Jahr 2018 mit einer Ausweitung auf bis 60 Mrd. m³ umfasst.
Die neuen Lieferwege- und -volumina sind erheblich im Vergleich zu den Lieferungen in die EU. So hat Russland mit China bereits Gaskontrakte in einer Größenordnung von 50% Prozent der jährlichen Lieferungen nach Europa geschlossen. Russland wird diese Aufträge nicht mit neuen zusätzlichen Gasmengen erfüllen können. Gazprom wird mit dem aus der Ukraine bekannten Spiel mit den Gaspreisen versuchen, die zahlungskräftigsten Kunden gegeneinander auszuspielen, um die höchsten Preise zu bekommen. Wer nicht mitmachen will, wird nicht mehr oder minderbeliefert. Bekannt ist, dass die Chinesen zahlungskräftige Energiekunden sind.
Eigene fossile Reserven?
Können wir statt auf Putins Vorräte auf eigene Reserven zurückgreifen? Fell sieht diese Möglichkeit kritisch:
Wer sich die Entwicklung der europäischen Gasförderung genau anschaut, wird schnell erkennen, dass dies nicht möglich sein wird. Mit Ausnahme Norwegens ist die Gasförderung in allen europäischen Ländern zum Teil dramatisch rückläufig. Vor allem Großbritannien, wo noch vor einem guten Jahrzehnt neue Gaspipelines für den Export gebaut wurden, müssen diese Pipelines nun für den Import dienen, weil sich die britische Gasförderung nicht so entwickelt hatte, wie Analysten vorausgesehen hatten. Auch die deutsche Gasförderung sinkt seit Jahren beständig. So lag noch vor einigen Jahren die heimische Gasförderung bei etwa 20% des Bedarfs, heute liegt sie schon unter 10 Prozent mit weiter schnell sinkender Tendenz. Dabei sank sogar in Deutschland der Gasverbrauch von 87 Mrd. m³ im Jahr 2006 auf 75 Mrd. m³ im Jahr 2012 (BP Statistik)
Norwegen hat in den letzten Jahren seine Gasförderung deutlich steigern können auf ein Niveau von 110 Mrd. m³/a Erdgas. Unsere Analysen laufen aber darauf hinaus, dass die norwegische Gasförderung kurz vor Erreichen des Peaks steht und in den nächsten Jahren nicht mehr nennenswert gesteigert werden kann.
nach Prüfung anderer Alternativen von USA bis Mittlerer Osten steht für Hans-Josef Fell fest: "Eine Unabhängigkeit von russischen Energielieferungen innerhalb des fossilen Energiesystems zu erreichen, ist unmöglich. Eine mittelfristig umsetzbare Alternative bietet hingegen der schnelle Ausbau der Erneuerbaren Energien innerhalb der EU. Der Ausbau der Erneuerbaren Energien in der EU ist in Verbindung mit Energieeffizienz der einzige Weg, um unabhängig von russischen Energielieferungen zu werden." (Nicole Weinhold)