Oliver Ristau
Die Proteste reißen nicht ab. Initiativen machen auch im neuen Jahr Front gegen die Stromleitung Südlink, die künftig Strom aus dem Norden der Republik nach Süden bringen soll. Vielen ist dennoch klar: Deutschland braucht den Ausbau der Netze für die Energiewende. Die Deutsche Umwelthilfe und die Akademie der Wissenschaften haben sich mit neuen Studien zu Wort gemeldet. Beide stellen fest: Eine rein dezentrale Organisation von Erzeugung und Verbrauch reicht nicht. Mehr Stromaustausch über längere Strecken ist notwendig.
Auch bei der Bundesnetzagentur (BNetzA) ist es wieder so weit. Alle zwei Jahre muss sie einen Netzentwicklungsplan vorlegen. Im Januar hat sie dafür als ersten Schritt einen Szenariorahmen präsentiert zur öffentlichen Diskussion bis zum Frühjahr. Es ist das erste Dokument seiner Art nach dem Klimapaket der Bundesregierung und eins, das die jüngsten Entscheidungen zum Kohleausstieg modelliert. Darin entwirft die Agentur drei Szenarien zur Entwicklung des heimischen Kraftwerksparks bis 2035 und 2040.
Der Plan rechnet mit einem massiven Ausbau von Windenergie und Photovoltaik. So ist je nach Szenario mit einem Anstieg der Windkraftkapazitäten an Land bis 2035 auf 84 bis 98 Gigawatt (GW) zu rechnen. Bei der Photovoltaik könnten es bis zu 128 GW werden. Dass dieser Ausbau mit der aktuellen Energiepolitik kaum zu schaffen ist, thematisiert der Bericht nicht.
Um den Netzausbau in Grenzen zu halten, sind Speicher notwendig. Die BNetzA rechnet mit Anlagen für Power-to-Heat und Power-to-Gas von zusammen 10 bis 15 GW. „Wenn wir solche Kapazitäten bis dahin erreichen wollen, müssen wir jetzt anfangen“, sagt Henrik Schultz-Brunn, Leiter Kommunikation und Energiepolitik beim Gasnetz betreiber Thyssengas. Die Dortmunder verfolgen zusammen mit Stromnetzbetreiber Tennet und der niederländischen Gasunie eines der aktuell größten Speicherprojekte in der Republik. Im ostfriesischen Diele bei Leer wollen die Partner am Standort eines Umspannwerks von Tennet einen 100 Megawatt (MW) großen Elektrolyseur bauen, der Windstrom in Wasserstoff umwandelt.
Mit dem Vorhaben Element Eins geht es ihnen nicht alleine um das Stromnetz. Diele liegt zugleich nahe an zwei Gaspipelines, die aus Norden und Westen kommen. Eine Leitung bringt derzeit niederkalorisches L-Gas aus dem niederländischen Groningen. „Mit der Erschöpfung der Gasfelder in den Niederlanden könnte diese Pipeline künftig Wasserstoff führen“, schlägt Schultz-Brunn vor. Das hätte den Vorteil, damit den Großraum Hamburg mit seiner Schwerindustrie erreichen zu können. Dort könnte grüner Wasserstoff für die Stahlerzeugung zur Option werden. Auch die Methanisierung soll in Diele stattfinden. „Für den Standort spricht, dass dort CO2-Quellen aus Biogasanlagen zur Verfügung ständen“, so der Thyssengas-Manager.
Thyssengas will grünes Gas
Dass sich mit Thyssengas ein Betreiber klassischer Erdgasnetze für grüne Gase stark macht, hat einen einfachen Grund. „Langfristiges Ziel ist der Erhalt der Gasinfrastruktur. Denn wenn man sich von fossilen Energien verabschiedet und komplett auf Elektrizität setzt, würde die Gasinfrastruktur obsolet werden.“ Zugleich würde das die Notwendigkeit zum Stromnetzausbau noch verstärken.
Deshalb zeigt sich der Thyssengas-Sprecher verwundert darüber, dass die Bundesnetzagentur den Investitionsantrag der Partner bisher nicht genehmigen will. „Wir brauchen das grüne Licht der Behörde. Sonst können wir nicht bauen.“ Die Netzagentur begrüße zwar Power-to-X-Technologien im Sinne der Energiewende, teilte die Behörde auf Anfrage mit. Allerdings sei „die Frage, ob solche Projekte von Netzbetreibern und auf Kosten der Netznutzer vorangetrieben werden sollten. Es bestehen erhebliche Zweifel, ob eine Genehmigung auf Basis der bestehenden Rechtslage möglich ist.“ Ein neuer europäischer Rechtsrahmen und dessen Umsetzung in nationales Recht könnten die Lage deutlich verändern.
„Wir wollen einen Anstoß geben und Erfahrungen sammeln. Aber dafür brauchen wir konkrete Entscheidungen“, moniert Schultz-Brunn. Das fordert er auch von der Bundesregierung. Inwiefern die für das erste Quartal 2020 angekündigte Wasserstoffstrategie Klarheit schafft, bleibt abzuwarten. Die Branche hofft auch auf Impulse aus Brüssel von der neuen EU-Kommission.
Koordination von Gas- und Stromnetzbau
Derweil wollen Tennet und Gasunie mit einer neuen Studie zeigen, dass es ohne eine Koordination von Gas- und Stromnetzausbau auf europäischer Ebene keine erfolgreiche Energiewende geben kann. Das Papier mit dem Titel Phase II schreibt eine Infrastrukturanalyse beider Unternehmen von 2019 fort. Sie rechnet bis 2050 mit notwendigen PtG-Kapazitäten als Speicher in den Niederlanden und Deutschland von bis zu 110 GW. Netze zum Transport von erneuerbaren Gasen seien unerlässlich, wenn Kohle in der Stromerzeugung der Vergangenheit angehören solle. Die heutigen Erdgasnetze seien dafür grundsätzlich geeignet.
Zum Transport von Wasserstoff müssten sie aber ertüchtigt werden, und zwar in ganz Europa. Denn die Gemeinschaft benötige ein gemeinsames Netz an Wasserstoffpipelines. Auch um Importe aufzunehmen, denn ohne Einfuhren von grünem Gas werde es, so die Studie, nicht gehen. Eigene regenerative Energien würden nicht ausreichen.
Das wird auch Wladimir Putin gerne hören, der hofft, die neue Gaspipeline Nordstream II bis 2021 an das deutsche Gasnetz anzuschließen. Aus der Gasbranche ist zu hören, dass er die Europäer mit der Aussicht auf Wasserstoff lockt. Staatskonzern Gazprom jedenfalls arbeitet bereits an einem Verfahren zur Methanpyrolyse (siehe EE 1/2020, Hier stimmt die Chemie), bei dem Wasserstoff aus Erdgas gewonnen und das CO2 abgeschieden wird.
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