Eigentlich ist die nordhessische Kleinstadt Wolfhagen nicht mehr auf Strom aus fossilen Quellen angewiesen. Theoretisch decken die Stadtwerke mit ihren regenerativen Erzeugungsanlagen den gesamten Strombedarf der Stadt ab. Einen Solarpark mit einer Leistung von zehn Megawatt haben die Stadtwerke zusammen mit der Bürgerenergiegenossenschaft bereits Ende 2012 gebaut. Seit Dezember des vergangenen Jahres steuern vier Windkraftanlagen mit einer Gesamtleistung von zwölf Megawatt ihren Teil zum Portfolio der Stadtwerke bei. Der vollständigen Versorgung mit regenerativem Strom steht allerdings die Volatilität der Erzeugung im Wege. Um das Stromangebot und die Nachfrage in Übereinstimmung zu bringen, entwickeln die Stadtwerke zusammen mit dem Smart-Home-Spezialisten Rockethome ein funktionales Demand Side Management. „Bisher haben insbesondere große Energieversorger das Thema intelligente Netze und Demand Side Management vorangetrieben“, sagt Yüksel Sirmasac, Geschäftsführer von Rockethome. „Die Stadtwerke Wolfhagen zeigen jetzt, wie ein ganzheitliches Energiemanagementsystem auch in der Region geschaffen werden kann.“
Tarif ändert sich mehrmals am Tag
Die Basis dieser Nachfragesteuerung sind zeitvariable Tarife für die Kunden der Stadtwerke. Dieser richtet sich danach, ob genügend Solar- und Windstrom zur Verfügung steht. Die Stadtwerke errechnen dies aus aktuellen Wetterprognosen. Der Preis für die Kilowattstunde verändert sich dabei mehrmals am Tag und hängt vom Verhältnis zwischen Einspeisung des regenerativen Stroms und der Lastsituation im Netz ab. Bei hoher Einspeisung und geringem Verbrauch ist der Strompreis niedrig, bei großer Nachfrage, aber geringer Erzeugung, steigt der Preis entsprechend.
Über intelligente Zähler und einer von Rockethome entwickelten Kommunikations- und Softwareplattform sollen Stromabnehmer dann zugeschaltet werden, wenn das Stromangebot aus den Ökostromkraftwerken ausreichend ist. Sinkt die Stromproduktion aus Windkraft- und Solaranlagen, werden die Stromabnehmer sukzessive abgeschaltet. So wird es für die Haushalte möglich, die Geräte in Abhängigkeit zum Stromangebot und Strompreis zu automatisieren und so den Verbrauch zu optimieren und das Netz zu entlasten. „Das Ergebnis ist ein ganzheitliches Energiemanagementsystem mit intelligenter Steuerung der Geräte im Haushalt“, erklärt Yüksel Sirmasac.
Komfortverlust vermeiden
Um zu testen, dass das Konzept auch funktioniert, werden in einer ersten Forschungsphase 35 Wolfhagener Haushalte mit den intelligenten Zählern ausgestattet. Außerdem bekommen diese Haushalte Geräte, die mit den intelligenten Zählern kommunizieren können, so dass sie fernsteuerbar sind. Wenn der Strompreis niedrig ist, schaltet das Smart Meter die Geräte zu. Steigt der Strompreis, weil das Angebot an Solar- und Windstrom sinkt und die Stromentnahme aus dem Netz die Einspeisung übersteigt, werden die Geräte abgeschaltet. Dass dies nur in begrenztem Umfang funktioniert, wissen auch die Projektpartner. So werden die Wolfhagener kaum auf die abendliche Beleuchtung verzichten, nur weil kein Wind weht und der Solarpark keinen Strom ins Netz einspeist. „Ein Demand-Side-Management-System in dieser Form kann nur erfolgreich umgesetzt werden, wenn es mit keinem beziehungsweise nur geringem Komfortverlust für den Anwender verbunden ist“, weiß Sirmasac. Deshalb muss die Lastverschiebung zwischen Energieverbrauch und Produktion vollkommen automatisch geschehen, um den Aufwand für die Haushalte zu minimieren. Auf der anderen Seite können die Haushalte auch selbst über eine App und ein Internetportal steuernd eingreifen, um keinen Komfortverlust hinnehmen zu müssen. Großgeräte wie Kühlschrank, Geschirrspüler und Waschmaschine sind jedoch ohne weiteres so steuerbar, dass dadurch eventuelle Schieflagen im Verhältnis zwischen Stromerzeugung und Stromverbrauch ausgeglichen werden können.
Die ist auch das Ziel des Pilotprojekts. Dadurch sollen Erkenntnisse gewonnen werden, welche Auswirkungen die gezielte Steuerung energieintensiver elektrischer Geräte auf die Netzlast im Wolfhager Stromnetz und die Stromkosten der Haushalte hat. Außerdem wollen die Stadtwerke herausbekommen, ob der Nutzer ein solches Demand Side Management überhaupt akzeptiert.
Testphase beginnt im kommenden Jahr
Wenn die Ergebnisse aus dem Pilotprojekt vorliegen, will das Stadtwerk die dabei angestoßenen Anwendungen in sein Portfolio aufnehmen. Das Produkt soll den Grundstein für ein innovatives Geschäftsmodell der Stadtwerke legen. Dies wird allerdings noch eine Weile dauern. Denn derzeit sucht das Stadtwerk Haushalte in Wolfhagen, die an dem Forschungsprojekt teilnehmen wollen. Es soll dann voraussichtlich Anfang 2016 starten. Doch die Stadtwerke haben ein klares Ziel vor Augen. „Die aktuellen Entwicklungen zeigen die Relevanz von innovativen und nachhaltigen Energiemanagementlösungen auf“, weiß Martoin Rühl, Geschäftsführer der Stadtwerke Wolfhagen. „Sie sind einer der Schlüssel zum Gelingen der Energiewende. Denn nur, wenn wir uns neben der sauberen Erzeugung von Energie auch darum kümmern, dass insbesondere die fluktuierende Erzeugung aus Solar- und Windkraftwerken möglichst sinnvoll und effizient eingesetzt wird, kann uns letztlich der komplette Umstieg auf erneuerbare Energien gelingen.“ (Sven Ullrich)