Bis 2030 benötigen wir beim Ausbau der erneuerbaren Energien eine Verdreifachung des Tempos, wenn wir das Ziel von 80 % EE-Anteil im Strom erreichen wollen. Noch gewaltiger mutet der Anteil von 50 % erneuerbaren Energien im Gebäudebereich an – bei einem Anteil von aktuell rund 14 %. Gerade die Energienetze stehen hier mit dem deutlich steigenden Anteil von volatiler Erzeugung vor besonderen Herausforderungen – so brachte es Rainer Stock, Bereichsleiter Netzwirtschaft, Verband kommunaler Unternehmen (VKU), Berlin, als fachlicher Leiter der Tagung zukünftige Netz, in seinem Grußwort auf den Punkt.
In einer Diskussionsrunde zum Auftakt der Veranstaltung für Netzexperten in Berlin sagte Dirk Biermann, Geschäftsführer Märkte und Systembetrieb, 50 Hertz Transmission GmbH: „Nach unseren Berechnungen geht es sogar um eine Vervierfachung der Erneuerbaren.“ Mit Blick auf den dafür erforderlichen Netzausbau fügte er an: „Es war bisher nicht gerade einfach, und jetzt sollen wir eine Verdreifachen oder sogar Vervierfachen stemmen. Dafür brauchen wir Ausrüster und Personal. Nicht nur die Ausbau-Geschwindigkeit kann schwindlig machen.“ 2045 müssten mind. 400 Gigawatt (GW) PV am Netz sein. Vor allem sei es eine Herausforderung, sie effizient zu nutzen. Die Antwort sei Flexibilität. „90 GW Flexibilität werden gebraucht. Da hilft kein Abregeln mehr, da brauchen wir Netze.“ 20 bis 25 GW mehr Übertragungskapazität gegenüber bisheriger Planung würden laut Biermann gebraucht. Nicht gegenüber dem aktuellen Stand.
Rückblick: „Wir müssen akzeptieren, dass wir deutlich vor 2045 im Strom klimaneutral werden müssen. Konkret wird das 2035 sein“, erklärte Ulrich Janischka von Transnet BW während seines Vortrags zum Netzentwicklungsplan Strom auf der Tagung Zukünftige Stromnetze vor einem Jahr, damals als Pandemiebedingtes Online-Event. Im NEP-Entwurf 2023 führe das zu einer guten Verdopplung der vorgesehenen Regenerativleistung gegenüber dem NEP 2021 – von 261 Gigawatt (GW) 2035 auf 623 GW im Jahr 2045. Die Übertragungsnetzbetreiber hatten am 10. Januar 2022 den Szenariorahmenentwurf zum Netzentwicklungsplan 2037/2045 für 2023 an die Bundesnetzagentur übergeben. Jetzt, ein Jahr später, ist man wiederum überzeugt, dass die Ausbauerfordernisse noch einmal verschärft werden.
Schließlich will niemand einen Blackout. Höchstens als TV-Miniserie des Bestsellers von Marc Elsberg. Und die ist zum Greifen nah. Gleichwohl, das Thema Dunkelflaute gab in diesem Jahr auch wieder auf der Tagung Zukünftige Netze. Rainer Stock zeigte anhand einer Agora-Grafik, dass es zwischen dem 10. und 18. Dezember praktisch die Dunkelflaute gab: Hoher Stromverbrauch, fast kein Wind- und Sonnenstrom. „Fossile Kraftwerke haben die Last komplett abgefangen“, mahnte Stock. PV-Spezialist Karl-Heinz Remmers wollte das allerdings nicht so im Raum stehen lassen und erinnerte daran, dass man schließlich auf einer Tagung mit Zukunftstitel sei und dass die Photovoltaik zusammen mit Speichern in den nächsten Jahren ein Gutteil dieser Lücke schließen werden.
Philipp Heilmaier, Bereichsleiter Zukunft der Energieversorgung bei der Dena, sagte, in diesem Jahr sei es zentrale Aufgabe, sich wieder voll dem Koalitionsvertrag und den ganzen Aufgaben zu widmen. Übergeordnet gestartet sei der Prozess der Systemstrategie. Im Zusammenhang mit dem Versuch, die bundesdeutschen Strategien u.a. für Wasserstoff und Wärme zu koordinieren, sagte er: „Wir sprechen von einem strategischen Leitbild.“ Das sei übergeordnet, nun müsse man den künftigen Raum ausleuchten, basierend auf Langfristszenarien aus den Dena-Energiewende- und -Transformationsstudien.
Anke Hüneburg, Leiterin Bereich Energie, ZVEI, Berlin, erklärte in dem Zusammenhang, der Wille zum Ausbau der Infrastruktur für die Energiewende sei da. „Die Aufgaben für die Netze sind auch im Krieg geblieben. Uns als Hersteller betrifft es, wenn die Beschleunigung im Ausbau bei den Lieferketten- und im Fachkräftemangel gebremst wird. Wie können wir diese Herausforderung lösen?“ Das Gesetz zur Beschleunigung der Energiewende sei ein richtiger Schritt.
Ingbert Liebing, Hauptgeschäftsführer, VKU, wollte den Blick auf die Verteilnetze legen. Hier müssten die EE-Anlagen integriert werden und Verbraucher wie Wärmepumpe und E-Mobilität ebenfalls. „Wir sind aber längst nicht da, wo wir hinmüssen. Wir brauchen einen proaktiven Ausbau und sind noch nicht da, dass wir ihn anreizen“, erklärte er.