von Sven Ullrich
Noch nicht einmal jedes tausendste Auto in Deutschland fährt mit Strom. Der Anteil der Elektromobilität liegt bei nur 0,07 Prozent. Was fehlt, ist ein konkreter Zusatznutzen gegenüber dem konventionellen Auto. Die Japaner haben das längst erkannt. Deshalb ist der Absatz von Elektroautos im Land der aufgehenden Sonne auch viermal so hoch wie in Deutschland. „Japaner kaufen Elektroautos, weil dort ein völlig anderer Anwendungsfall dahintersteckt“, weiß Detlef Beister, bei SMA für die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle zuständig. „Da geht es um eine Notstromversorgung, wenn das öffentliche Netz zusammenbricht. Dieses Problem haben wir in Deutschland nicht in dem Maße.“ Um die Wirtschaftlichkeit von Elektroautos zu erhöhen, müssen andere Geschäftsmodelle her. Wie das geht, hat der Hamburger Energiedienstleister Lichtblick zusammen mit SMA, Volkswagen und dem Fraunhofer IWES getestet.
Bidirektionales Laden
In ihrem Projekt Inees haben die Projektpartner das bidirektionale Laden als Grundlage für die Einbindung von Elektroautos in das Stromnetz genommen. SMA hat eigens dafür eine Wallbox als Ladepunkt entwickelt. Das Gerät basiert auf dem Sunny Tripower und hat eine Ausgangsleistung von 10,5 Kilowatt. „Ziel war es allerdings nicht, so viel Leistung wie möglich ans Netz anzuschließen, sondern prinzipiell zu erfahren, wie die Kunden reagieren, wenn ihr Auto in den Strommarkt eingebunden wird“, erklärt Detlef Beister.
Monatliche Schwarmstromprämie
Ziel war es herauszufinden, ob der Autobesitzer im Rahmen eines Geschäftsmodells mit seinem Fahrzeug Geld verdienen kann. Lichtblick hat das Angebot der Leistung von Fahrzeugbatterien am Sekundärregelleistungsmarkt simuliert. Dazu haben 40 Haushalte in Berlin Elektroautos zur Verfügung gestellt bekommen. Im Feldtest hat jeder Autobesitzer selbst gewählt, wie viel Batteriekapazität er dem Forschungsprojekt zur Verfügung stellt. Lichtblick hat die vielen kleinen Batteriekapazitäten gebündelt und als virtuelles Kraftwerk dem Übertragungsnetzbetreiber für die Sekundärregelleistung angeboten.
Die potenzielle Geschäftsidee dahinter ist, dass jeder Autobesitzer – abhängig von der bereitgestellten Speicherkapazität – eine monatliche Schwarmstrom-Prämie bekommt, die ein Anteil an den Erlösen aus den Ausschreibungen ist. Was sich zunächst einfach anhört, ist in der praktischen Umsetzung komplex. Der Autobesitzer muss sein Fahrzeug am Netz haben, wenn er am Regelleistungsmarkt teilnimmt. „Das geht nur im Modell der Schwarmmobilität, in dem ein Dienstleister die Fahrzeuge in ein virtuelles Kraftwerk integriert und dann über Prognosen und Statistiken aus einem Pool von vielen tausenden Fahrzeugen eine sicher anbietbare Leistung generiert“, erklärt Gero Lücking, Geschäftsführer für Energiewirtschaft bei Lichtblick. „In dem Projekt haben sich bestimmte Fahrzyklen und Ladegewohnheiten bei den Nutzern abgezeichnet, sodass wir über Prognoseverfahren und zusätzliche Informationen, die uns der Kunde über eine App kommuniziert hat, aus dem Fahrzeugpool eine gesicherte Leistung anbieten konnten.“
Über Kommunikation mit den Fahrzeugen wissen die Hamburger dann auch, welche Fahrzeuge zu einem bestimmten Zeitpunkt am Netz sind, wenn die Regelleistung abgefordert wird. Nur dann kann auch das virtuelle Kraftwerk mit der angebotenen Leistung und Kapazität zur Verfügung stehen. „Dabei haben wir immer darauf geachtet, dass genau die Batteriekapazität plus Sicherheitsaufschläge bereitgehalten wird, die der Kunde verlangt, wenn er wieder losfahren will“, erklärt Lücking. „Denn die Grundprämisse ist,
dass die individuelle Mobilität durch solche Geschäftsmodelle zu keinem Zeitpunkt eingeschränkt wird.“
500 Euro im Jahr verdienen
Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Mit dem Geschäftsmodell lassen sich bis zu 500 Euro pro Jahr verdienen, je nachdem wie viel Batteriekapazität zur Verfügung gestellt wird. Die Erträge müssen allerdings mit der höheren Belastung der Batterie gegengerechnet werden – und die ist beträchtlich. „Bei der Sekundärregelleistung werden große Energiemengen mit hoher Leistung aus dem Speicher angefordert oder eingespeichert“, erklärt Detlef Beister von SMA. „Dabei wird die Batterie zusätzlich beansprucht. Wenn man das hochrechnen würde, hätte dies den gleichen Einfluss auf die Alterung der Batterie wie die eigentliche Fahrzeugnutzung.“ Über die Bietstrategie kann die Anzahl der zusätzlichen Ladezyklen aber aktiv beeinflusst werden, sodass diese Zusatzbeanspruchung in einem definierten und technisch vertretbaren Rahmen gehalten werden kann. Bei der Erbringung von Primärregelleistung ist das zudem anders. Dabei geht es weniger um die Energiemenge, die aus dem Speicher entnommen .
oder eingespeichert wird, sondern vielmehr um die Leistung, mit der der Speicher am Netz hängt. „Hierbei liegt die Belastung der Batterie aufgrund der Erbringung von Regelleistung im einstelligen Prozentbereich“, rechnet Beister vor.
Mit Solar: Richtig kompliziert
Wenn das Elektroauto dann noch über eine bestehende Solaranlage geladen wird und trotzdem in den Markt für Systemdienstleistungen integriert werden soll, wird es richtig kompliziert. „Dann wird sich die wirtschaftliche Optimierung ändern, weil auch der Eigenverbrauch im Haus und die Eigenerzeugung auf dem Dach berücksichtigt werden müssen“, erklärt Gero Lücking von Lichtblick. Der Dienstleister, der für den Anlagenbetreiber und Autobesitzer das Gesamtsystem optimiert, muss dann entscheiden, in welcher Reihenfolge er den Hausverbrauch abdeckt: Lädt er zuerst einen Hausspeicher und das Elektroauto, speist er ins Netz ein oder lädt er erst einmal den Speicher zum Teil auf, damit er am Regelenergiemarkt teilnehmen kann? „Bei der derzeitigen Marktentwicklung wird an erster Stelle die Optimierung des Eigenverbrauchs inklusive der Fahrzeugladung stehen. Erst im zweiten Schritt würde man über Geschäftsmodelle zur Integration von Elektrofahrzeugen in den Markt nachdenken“, erklärt Lücking. „Wahrscheinlich würde man dann die Fahrzeugbatterien mit einfacheren Modellen als der Teilnahme am Sekundärregelleistungsmarkt in den Markt integrieren. Denn wer das beherrscht, kann auch alle anderen Optimierungsmodelle.“
Bei dem Projekt wird klar, dass es für eine solche Marktintegration technisch keine Hürde gibt. Ist das bidirektionale Laden erst einmal etabliert, wird es auch für Gewerbetreibende und Stadtwerke interessant. Erstere können dann mit ihrem Fuhrpark Lastspitzen abdecken und enorme Kosten sparen. Für Stadtwerke ergibt sich die Möglichkeit der Energiedienstleistung, indem sie selbst Schwarmspeicher auf der Basis von Elektroautos kreieren.
Der Ball liegt jetzt bei den Autoherstellern. Denn es gibt bisher noch kein Elektroauto aus deutscher Produktion, das die bidirektionale Ladung zulässt. Das ist bei der japanischen Konkurrenz anders. So hat Nissan schon bei seinen Elektroautos der ersten Generation das bidirektionale Laden integriert. Auch Toyota und Mitsubishi lassen diese Möglichkeit zu. Selbst da haben die Japaner die Nase vorn.
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