Um es vorwegzunehmen: Sowohl das Windaufkommen als auch die Sonneneinstrahlung des gerade abgelaufenen Jahres 2016 waren merklich schlechter als 2015. So haben die Photovoltaikzellen auch um 1,2 Terawattstunden (TWh) oder 3,3 Prozent weniger ins Stromnetz eingespeist als im Jahr davor. Weil zudem der Modulzubau in den vergangenen zwölf Monaten mit 1,2 Gigawatt (GW) erneut deutlich unterhalb des von der Bundesregierung offiziell angestrebten Ausbauziels von jährlich 2,5 GW ausfiel, muss das schwächere Ergebnis von 37,6 TWh noch nicht verwundern. Anders ist es bei der Windenergie: Rund vier GW dürfte die erst in knapp einem Monat bevorstehende Bilanz des Zubaujahres allein bei den Installationen herkömmlicher Windparks an Land wieder ausweisen, darauf deuten die Angaben vieler Quellen bereits hin. Zum dritten Mal infolge fiele damit das Wachstum der Erzeugungskapazität der Dreiflügler um etwa das Doppelte des Wachstums der Vorjahre aus. Oder: Der durchschnittliche jährliche Zubau seit vier Jahren stabilisiert sich somit auf einem Niveau von 3,8 GW im Vergleich zu mittleren 1,9 GW der neun Jahre zuvor. Und der Offshore-Ausbau hält ebenfalls an: Die Installateure errichteten 2016 noch ein weiteres gutes GW an Windkraft in neuen Meereswindparks. Dennoch ging auch die Windstromerzeugung 2016 um 1,2 TWh auf 78 TWh zurück.
Aus Biomasse speisten Erneuerbare-Energien-Anlagen immerhin gut zwei TWh Grünstrom mehr als im Vorjahr ein. Der Beitrag der Biogas- und Holzkraftanlagen von insgesamt 48,5 TWh sowie die bei 20,5 TWh auf dem Niveau der vergangenen Jahre verbliebene Wasserkraft ließen den Strom aus der Steckdose immerhin erneut zu 34 Prozent grün sein. Der Anteil an der gesamten Bruttostromerzeugung mitsamt industrieller Kraftwerke und Stromerzeugung außerhalb des Netzverbunds etwa für Bergbau erreichte wieder 32 Prozent.
Das Bundeswirtschaftsministerium hat das Ergebnis bereits in einer Pressemitteilung mit Nebensätzen gelobt. Schon kurz vor Erscheinen der ersten offiziellen Einspeise-Bilanzen hielt die für die Energiewende zuständige Regierungsbehörde fest: „Der Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland ist erfolgreich – ihr Anteil lag im Jahr 2016 schon bei rund 32 Prozent und soll mit dem EEG 2017 bis zum Jahr 2020 auf mindestens 35 Prozent steigen.“ Es ist ein Verweis auf das im vergangenen Sommer verabschiedete Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) 2017. Dieses soll bekanntlich das Wachstum des Regenerativstromanteils deckeln und auf einen langsamen aber gleichmäßigen Kurs zunächst bis im Jahr 2025 zwingen.
Das Lob muss verärgern – aus vielerlei Gründen. Am für seine Analysen der Grünstromeinspeisung anerkannten Freiburger Institut Fraunhofer ISE ärgert sich beispielsweise der Professor der Abteilung Power Electronics, Bruno Burger: „Die für 2020 angestrebten 35 Prozent sind doch schon jetzt unter Berücksichtigung der Schwankungen von Wetter, Stromexportentwicklung und dem Management von Netzengpässen erreicht.“
Richtig ist: Politik und Energiewirtschaft und insbesondere die Branche der Erneuerbaren müssten spätestens jetzt zu einer jährlichen, umfassenden Analyse ihrer Einspeisung kommen. Gerade jetzt: Gibt doch die Politik vor, mit dem EEG künftig die Entwicklung der Energiewende auf dem Stromsektor zu fast 100 Prozent zu kanalisieren und so berechenbar zu machen. Entsprechend aber müssten auch alle Beteiligten inklusive der Politik und nicht zuletzt aus den Erneuerbaren das Interesse an einem Nachweis haben, dass dieses Wachstum tatsächlich garantiert ist. Nur Zubau des Zubaus und Geschäfts wegen darf laut Lippenbekenntnissen aus Politik und Energiewirtschaft bekanntlich nicht das Ziel sein.
So muss zunächst die Windkraft nachweisen, dass ihr Zubau auch die Stromversorgung grüner und klimafreundlicher werden lässt. Doch an Land ging die Erzeugung sogar um fünf TWh auf 66 TWh zurück. Nur das Wachstum der Offshore-Windkraft glich den Verlust weitgehend aus, von wo nun 12 TWh ins Netz kamen.
Natürlich ist die ungünstigere Witterung mit ihrem schwächeren Windaufkommen wesentlich verantwortlich. Sie lässt auf den ersten Blick eine tiefere Suche nach Gründen für den Rückgang der Erzeugung im vergangenen Jahr wenig relevant erscheinen: In den Küstengebieten war die Windausbeute bis Oktober laut dem Index des Münsteraner Anbieters IWR sogar um 9,8 Prozent zurückgefallen – im Vergleich zum mittleren Ergebnis der vergangenen fünf Jahre. Im Vergleich mit dem Zehnjahreszeitrum betrug das vorläufige Minus sogar 12,9 Prozent. Etwas verbessern könnte es sich noch, weil im November und Dezember die Windstromernte laut Fraunhofer ISE wieder ganz passabel ausgefallen war. Im Binnenland, zunehmend wichtiger für die deutsche Windstromerzeugung, betrug das Windminus laut dem IWR-Index 2016 noch 5,7 bezogen auf den Fünfjahreszeitraum davor und 6,8 Prozent im Zehnjahresvergleich. „Ich glaube, dass das schlechtere Windjahr eine größere Bedeutung als alle anderen möglichen Faktoren dafür hatte, dass die Windstromeinspeisung zurückging“, urteilt der IWR-Geschäftsführer Norbert Allnoch noch vorsichtig.
Dennoch sollte sich im Pro-Energiewende-Lager mit dieser Erklärung noch niemand zufrieden geben. Einerseits muss insbesondere die Windbranche den Beweis antreten, dass ihre größer und größer werdenden Binnenlandanlagen auch wie versprochen immer stabiler einspeisen. Schließlich sind sie laut den Prospekten ja auf immer höhere Volllaststundenzahlen spezialisiert.
Vor allem aber sollte auch das anhaltende Wachstum beim Export und die bleibende Unflexibilität der konventionellen Kraftwerke jedoch stutzig machen: Denn mit knapp 50 TWh floss erneut mehr Strom ins Ausland aus dem deutschen Netz als umgekehrt. Und erneut war dieser Exportüberschuss größer als im Vorjahr. Zugleich ging der Anteil der Atomkraft sowie der Stein- und sogar erstmals auch der Braunkohle-Verstromung merklich um insgesamt 14,1 TWh zurück. Dafür aber nahm ausgerechnet die Erzeugung aus Gaskraftwerken um 13,1 TWh zu. Denn die Gaspreise verbesserten sich im Verhältnis zu den Preisen für Kohle beziehungsweise den CO2-Zertifikatskosten der Kohleverstromung deutlich.
Ausgerechnet Gaskraftwerke. Denn gerade sie gelten als die idealen Partner für die volatilen Erzeuger von Wind- und Sonnenstrom. Sie können ihre Einspeisung so schnell hoch- und runterregeln wie keine andere Stromerzeugung aus fossilen Energiequellen, heißt es, so dass sie die schnell auf- und abschwellende Grünstromerzeugung zielgenau ergänzen. Abregelungen Erneuerbarer-Anlagen bei überlasteten Stromnetzen werden damit immer seltener. In der Theorie. Doch die ersten offiziellen Daten des Jahres sowie Markbeobachter wie die Umweltschutzorganisation Greenpeace deuten bereits an, dass die Abregelungen die bisherige Rekordhöhe des Vorjahres 2015 erneut getoppt haben könnten.
Schon im vergangenen Sommer hatte Greenpeace eine Studie zum Einspeiseverhalten der beiden für Schleswig-Holstein bedeutsamsten Kraftwerke Brokdorf und Moorburg vorgelegt. Die vom Dienstleister Energy Brainpool ausgeführte Studie belegte, dass die Erzeugung des Atomkraftwerks Brokdorfs und des Kohlekraftwerks Moorburg sehr wohl auf günstige und weniger günstige Börsenstrompreise reagierte. Bei Netzengpässen fielen hingegen beide Großanlagen und insbesondere das Kernkraftwerk durch fast konstante Einspeisung auf, während Windparks ihre Erzeugung auf Anweisung der Netzbetreiber sehr oft radikal drosselten. Auch für 2016, so heißt es auf Nachfrage bei Greenpeace wie Energy Brainpool, liege derselbe Verdacht nahe: Die konventionellen Kraftwerke machten den Erneuerbaren im Stromnetz nicht den Platz frei, den sie technisch zur Verfügung stellen könnten und laut EEG auch müssten.
Im Gegenteil: Eingespeist wird häufig nur nach Konjunktur. So sind offenbar die Gaskraftwerke vor allem gegen Ende des Jahres wieder vermehrt zum Einsatz gekommen, weil in Frankreich die Kernkraftwerke reihenweise aufgrund technischer Probleme ausgefallen waren. Nur die Gaskraftwerke standen als Reserve schnell genug zur Verfügung und waren für die Energiekonzerne das kostengünstigste Mittel für ein gutes Exportgeschäft.
Insbesondere auch hier müsste die Erneuerbaren-Branche auf detaillierte Aufklärung drängen, die die Politik ihnen und der Öffentlichkeit schuldig bleibt. Dass 2016 das erste Jahr seit 2003 war, in dem die Grünstromerzeugung insgesamt um nicht eine Terawattstunde zugenommen hat, darf nicht ohne Erklärung stehen bleiben.
(Tilman Weber)