Die EU bereitet ihre Direktive RED III vor. Sie soll die sogenannten Notfallregelungen für die Zukunft beibehalten. Mitte Juni stimmte der EU-Rat als Gremium der Regierungen zu, die Zustimmung im EU-Parlament gilt nur noch als Formsache.
Eine andere Notfallregelung verankert die Bundesregierung im Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG). Den Entwurf ließ sie am 22. Juni in der vorletzten Sitzungswoche vor der parlamentarischen Sommerpause im Bundestag debattieren. Demnach werden Windparkbetreiber wie schon im vorigen halben Jahr ihre ursprünglich zum Lärmschutz von Anwohnern heruntergebremsten Turbinen nachts ungebremst betreiben dürfen, wenn dies den Schallpegel nicht um mehr als vier Dezibel erhöht. Die Maßnahme habe die Erträge der Windparks um 2,38 Prozent erhöht, lobte SPD-Energieexpertin Nina Scheer die Regelung.
Die Hoffnungen auf eine gute Scharnierfunktion dürften die Berliner Windkraftvertreter auch in einer positiven Gemeindeöffnungsklausel bestätigt sehen. Noch ist sie nicht beschlossen. Zum Beispiel im Baugesetzbuch verankert könnte sie Kommunen erlauben, Teile der von den Bundesländern verlangten Flächenausweisungen in ihren Gemarkungen vorzuziehen, um mittelständische Unternehmen direkt aus solchen Flächen mit grünem Industriestrom zu versorgen. Die Planung dafür im Ministerium ist offenbar fachlich abgeschlossen, Bundesländer und Bundesregierung hatten bei den Windgipfeln gemeinsamen Willen dazu gezeigt.
Auch die zentralen genehmigungsrechtlichen Regeln des BImSchG dürften endlich ihren genehmigungsfreundlichen Schliff erhalten. Das BImSchG definiert, welche Auswirkungen eines neuen Windparks auf Anwohner zu prüfen sind. Schon die vorige Bundesregierung hatte den Genehmigern vorgegeben, wie schnell sie Expertisen zu Windparkprojekten einholen müssen, um die Verfahren nicht zu verschleppen. Allerdings verkürzte das die Verfahren kaum. Denn die Ämter wollten nicht rechtzeitig erfolgte Stellungnahmen beispielsweise seitens anderer Ämter, auf deren Expertise sie zurückgreifen wollten, nicht als automatische Zustimmung werten. Jetzt hofft BWE-Chef Wolfram Axthelm darauf, dass das neue BImSchG auch Fristen für Eilschutzrecht- oder Widerspruchsverfahren bestimmen wird.
Politische Diskussion in Rostock
Tipp: Wollen Sie gut informiert sein in alle Windenergie-Fragen? Wolfram Axthelm, Geschäftsführer des BWE, wird am 11. August auf der Rostock Wind eine politische Diskussion führen. Mehr unter:
http://www.rostock-wind.com/Zusätzlich sieht der BWE nun die Sensibilität der Ampelkoalition für die besondere Situation bei Projektzuschlägen aus den Jahren 2020 und 2021 angereizt. Die Akteure hatten diese Ausschreibungsgebote ein bis zwei Jahre vor der starken Teuerung von Rohstoffen wie Stahl abgegeben, die dann als Folge auch des Ukrainekriegs explodierten. Im Ausschuss für Klimaschutz und Energie warb der BWE dafür, den gestrandeten, mit zu niedrigen Kosten kalkulierten Projekten mehr Zeit zu geben. Außerdem bräuchten sie ein Rückgaberecht ohne fällige Strafzahlung. Und die zuständige Bundesnetzagentur müsse diese Kapazitäten neu ausschreiben.
Populations- soll Individuenschutz ersetzen
Prinzipiell erhoffen sich die Windkraftvertreter auch noch die Einführung von Probabilistikberechnungen und Habitatspotenzialanalysen sowie eine Standardisierung im Fledermausschutz. Bei allen dreien handelt es sich um Instrumente, um das alte Problem der Windkraft mit dem Tierschutz aufzulösen: Der Naturschutz sieht zur Arterhaltung auch ein striktes Tötungsverbot vor. Doch der Bundeswirtschaftsminister will im Sinne der Windkraftbranche den von Genehmigungsbehörden häufig angewandten Individuenschutz – inklusive ausgreifender Beobachtungen des Verhaltens einzelner Vögel in der Nähe eines Standorts – durch Populationsschutz ersetzen. Probabilistik, die Wahrscheinlichkeit tödlich getroffener Vögel, und Habitatspotenzialanalysen über die Chancen eines Gebietes für eine Vogelart sind aber durch EU-Recht bislang nicht gedeckt, wie Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck Anfang Juni beim Besuch eines Windparkprojektes im Sauerland erklärte. Nach der Europawahl 2024 könne er in der EU einen neuen Anlauf zur Änderung des Europarechts für diesen Populationsschutz starten, sagte Habeck.
Auch Handreichungen für Genehmigungsbehörden, wie sie mit den vielen neuen Gesetzen am besten umzugehen hätten, erwartet der BWE. Das Bundeswirtschaftsministerium will entsprechende Leitfäden überarbeitet haben und noch über den letzten Schliff diskutieren.
Dennoch mögen neue Unklarheiten nicht ausbleiben. Müssen die Projektierenden beispielsweise bei einer wegfallenden Pflicht zur Umweltverträglichkeitsprüfung im Wirtschaftswald die UVP zwar nicht für den neu geplanten Windpark, aber dennoch für den Bau der Zufahrtswege beauftragen? Im Entwurfsstadium für das neue Windpark-Genehmigungsrecht im BImSchG tauchten außerdem „eine Reihe neuer Rechtsbegriffe“ auf, so vermerkt es BWE-Geschäftsführer Axthelm. Ohne einheitliche Interpretationshilfe für die Bundesländer könnte dies neue Bremswirkung entfalten.
Bei den Konflikten um die Nutzung des bodennahen Luftraums zwischen Windparkplanern und den Fliegern der Bundeswehr scheint auch die politische Priorität nicht eindeutig für die Energiewende auszufallen. In seinem Policy-Briefing gab sich der BWE-Chef angesichts mehrerer zurückliegender Annäherungen beider Seiten zwar optimistisch: Die Bereitschaft der Bundeswehr, bei Mindesthöhen und Hubschraubertiefflugstrecken sich positiv in Richtung Windenergienutzung zu bewegen, sei vorhanden. Auch im Bundesverteidigungsministerium gebe es nun erkennbar den Willen, dass die Armee nicht mehr zu den Blockierern gehöre. Trotzdem habe diese zuletzt im Raum Hannover die Windkraft-Planverfahren mit ihrem Einspruchsverhalten „um Monate zurückgeworfen“, sagte Axthelm.
Ohnehin kann die sogenannte Sicherheitspolitik derzeit die Energiewende scheinbar unvermittelt in die zweite Reihe verweisen. Dies fällt auch regierungsnahen Parlamentariern wie der Grünen-Politikerin im Ausschuss für Klimaschutz und Energie, Lisa Badum, auf. Badum warnte im Bundestag vor zu viel Infrastruktur für fossiles Flüssigerdgas. Zum Entwurf eines LNG-Beschleunigungsgesetzes sagte sie: Vor einer Abstimmung sei zu klären, ob die entstehenden Terminals für Seeimporte nicht Überkapazitäten schaffen, die mehr fossiles Gas fördern oder ins Land bringen als mit den Klimazielen vereinbar. Das LNG genannte, zur Verflüssigung heruntergekühlte Erdgas soll Importe durch russische Pipelines ersetzen. Langwierige Überversorgung mit LNG könnte genau die Investoren verunsichern, die Windstrom hochwertig direkt für die Herstellung klimaneutralen Wasserstoffs produzieren wollen.
Neue Wettbewerbsregeln noch zu stoppen?
Auch dass die EU gegen den Willen der Windenergieorganisationen eine neue Wettbewerbsregulierung vorbereitet, scheint die Bundesregierung hinzunehmen. Vielleicht will sie in einer EU-weit angespannten energiepolitischen Lage innereuropäischen Streit vermeiden. Die EU will Differenzverträge einführen. Deren Ausschreibungssystematik würde den Wettbewerbsdruck weiter erhöhen, statt zuerst die schon jetzt unterzeichneten Ausschreibungsrunden attraktiver werden zu lassen.
Eine Maßnahme für mehr Attraktivität der Ausschreibungen wäre die Verlängerung des erhöhten Höchstgebotstarifs von 7,35 Cent pro Kilowattstunde. Ende 2022 hatte die Bundesnetzagentur (BNetzA) den Wert heraufgesetzt, statt die gesetzlich vorgesehene jährliche Preisniveausenkung in den Ausschreibungen fortzusetzen. Noch ist unklar, ob die BNetzA ihre Preismaßnahme 2024 erneuern wird. Der BWE empfiehlt Projektierern daher, sich noch unbedingt 2023 an Ausschreibungen zu beteiligen.