Vom Atmosphärischen der vergangenen Verhandlungsrunden zwischen Windenergiebranche und Berliner Spitzenpolitik zeigte sich der Geschäftsführer des Bundesverbandes Windenergie (BWE) Ende Mai begeistert. Bei seinem traditionellen Policy Briefing, einem digitalen Zusammentreffen mit Journalistinnen und Journalisten sowie Branchenangehörigen, dessen Stilmix etwas von einer US-amerikanischen Nachrichtenshow in Verbindung mit Power-Point-Folien hat, skizzierte Wolfram Axthelm den Rückblick auf „vier spannende Wochen“. Dazu gehörten zwei Windgipfel – runde Tischen unter Beteiligung mehrerer Ministerien – sowie die Präsentation von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck einer Windenergie-an-Land-Strategie. Eine „ganz neue und zukunftsweisende Ernsthaftigkeit“ präge die Reformarbeit der Regierung an der Windenergiewende. „Man hakt sich wirklich unter“ und wolle die Zusammenarbeit, schlussfolgerte Axthelm .
Im Detail lobte der BWE-Mann das Vorgehen des Bundeswirtschaftsministeriums, sich „sehr intensiv“ beim Ausfüllen der zwölf Handlungsfelder im Strategiepapier engagiert zu haben. Denn tatsächlich definiere die 19-seitige programmatische Schrift für die Windenergie-an-Land-Politik der verbliebenen Legislaturperiode viele kleine und wichtige Stellschrauben.
Zwölf Handlungsfelder
„Windenergie-an-Land-Strategie“ heißt die Anleitung von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, die zwölf Handlungsfelder für noch zwei Jahre der Legislaturperiode definiert:
1.) Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG)
2.) Geschäftsmodelle außerhalb des EEG
3.) Weiterbetrieb und Repowering
4.) kurzfristig mehr Flächen
5.) einfacher genehmigen
6.) Flächen leichter sichern
7.) gesellschaftlicher Rückhalt
8.) Wertschöpfung
9.) Fachkräfte
10.) einfachere Transporte
11.) Technologieförderung
12.) koordinierter Stromnetz- und Windparkausbau
Die zwölf Handlungsfelder entsprechen BWE-Konzepten: Nachjustierungen im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) ebenso wie Windstrom-Geschäftsmodelle außerhalb des EEG, Weiterbetrieb von Bestandsanlagen und andernorts deren schnellerer Austausch durch leistungsstärkere Neuanlagen, also Repowering, außerdem kurzfristig mehr Flächen mobilisieren, Projekte einfacher genehmigen, Flächen für neue Windparks leichter sichern, gesellschaftlichen Rückhalt stärken, Wertschöpfung in Deutschland plus Fachkräfte sichern, einfachere Transportgenehmigungen, Technologieförderung und koordinierter Stromnetz- und Windparkausbau.
Dass Detailregulierungen den grundsätzlich klar ausgerichteten Reformen aus dem Vorjahr mehr Effizienz verleihen müssen, ist eine plausible These. Demnach sind die vor genau einem Jahr vom rot-gelb-grünen Regierungsbündnis verabschiedeten Gesetze noch unverbundene Glieder eines neu designten Gesetzesapparates. Dessen zentrale Reformen – beispielsweise die Zielsetzung eines schnellen Onshore-Windenergieausbau auf 115 Gigawatt (GW) Erzeugungskapazität bis 2030 und 160 GW bis 2035 oder die Pflicht der Bundesländer, im Mittel bis 2032 mindestens zwei Prozent der Landesfläche für Windkraftnutzung zur Verfügung zu stellen, oder auch die Standardisierung der Verträglichkeitsüberprüfungen im Naturschutz – brauchen nun noch ihre regelungstechnischen Scharniere. Nur dann wirkt das gesetzliche Gesamtwerk in die gewünschte Richtung. Ein Wildwuchs an schlechten Regeln früherer Regierungen behinderte bisher, dass die Reformen sofort zusammenpassten, so lautet das dazugehörige Argument.
Tatsächlich greifen die bisherigen Reformen schon jetzt, wenn auch nicht genug: So haben die Genehmigungen neuer Windparkprojekte im ersten Quartal 2023 im Vergleich zum Dreimonatszeitraum im Jahr davor um 61 Prozent auf 1.784 Megawatt (MW) zugenommen. Auch der Ausbau selbst nimmt Fahrt auf. In den bis Redaktionsschluss bilanzierten Monaten kamen 1.191 MW Erzeugungskapazität neu ans Netz, 56 Prozent mehr als die 763 MW von Januar bis Mai 2022. Zum Vergleich: Seit dem Ausbautief 2019 waren die Windkraftinstallationen jedes Jahr um 25 Prozent stärker geworden. Allerdings blieben die ersten zwei der vier 2023er-Ausschreibungen um 45 und 55 Prozent unterzeichnet. Es belegt die noch chronische Skepsis der Investoren, auch wenn das EEG das Ausschreibungsvolumen für 2023 auf 12,5 GW mehr als verdoppelt hat und im ersten Halbjahr nun Zuschläge für 3 GW vorliegen, fast so viel wie im gesamten Vorjahr.
Rostock Wind
Wolfram Axthelm, Geschäftsführer des BWE, wird am 11. August auf der Rostock Wind eine politische Diskussion führen. Mehr Infos und Anmeldung hier.
Windkraftverbandschef Axthelm hält es nun für vordringlich, dass die Ampelregierung als Nächstes die Notfallregelungen von Anfang des Jahres für erleichterte Windparkgenehmigungen im Windenergieflächenbedarfsgesetz (WindBG) absichert. In Paragraf 6 finden sich diese Verfahrenserleichterungen. Sie setzen eine Direktive der Europäischen Union (EU) um, die den Energiemangel nach der im Ukrainekrieg weggefallenen Gasversorgung durch Russland begrenzen soll: Projektierungen, die vor dem 30. Juni 2024 begonnen haben, müssen in ausgewiesenen Erneuerbare-Energien- und Netzausbaugebieten mit von den Behörden vollzogener strategischer Umweltprüfung keine aufwendigen Umweltverträglichkeitsprüfungen (UVP) oder artenschutzrechtlichen Prüfungen mehr bestehen. Die Betreiber dieser Windparks müssen zum Ausgleich zwar ihre Anlagen in Wetterlagen und Tagesphasen mit möglichen Vogel- oder Fledermausaktivitäten gelegentlich herunterfahren. Aber das gilt nur, solange es wirtschaftlich zumutbar bleibt. Andernfalls können die Betreibenden in einen Naturschutzfonds einzahlen. Und beim Repowering müssen UVP, wo sie erforderlich bleiben, nur die Mehrbelastungen auf den Prüfstand stellen, die für den Artenschutz durch die neuen Großturbinen im Vergleich zur bestehenden Altanlagensituation entstehen.