Die praktische Erfahrung der vergangenen Jahre zeigt: Die Planung von Windparks in den Waldgebieten der deutschen Mittelgebirge ist in jeder Hinsicht eine Herausforderung. Der Baumbestand, das Relief und die Höhenzüge setzen gänzlich andere Rahmenbedingungen als das offene Flachland. Insbesondere die turbulenten Strömungs- und Windverhältnisse, bedingt durch die individuelle, komplexe Topographie der Gebiete, stellen die Planer und Hersteller vor projektkritische Aufgaben, zumal kein Standort dem anderen gleicht und Referenzertragswerte anderer Projekte nicht ohne Weiteres herangezogen werden können – anders als im Flachland.
Denn die in unmittelbarer Nähe gelegenen Geländeformationen wie Hügel, Täler oder Waldschneisen haben je nach Windrichtung und -stärke einen erheblichen Einfluss auf die Verhältnisse am jeweiligen Standort. Sie können unter anderem durch Abschattung durch die angesprochenen topographischen Einflüsse stark variieren.
Indes werden mittlerweile immer mehr Windparks in den Wäldern der deutschen Mittelgebirge geplant. Das ermöglichen seit einiger Zeit geänderte gesetzliche Rahmenbedingungen, neue technische Entwicklungen und hohe Turmkonstruktionen. So konnten die Rotoren in die ertragreichen, turbulenzarmen Luftschichten in großen Höhen vordringen. Mit Fundamenten und Türmen wachsen jedoch gleichzeitig die Projektkosten, wodurch auch Wirtschaftlichkeitsanalysen komplexer werden. Die zentrale Frage, die sich die Verantwortlichen stellen müssen, lautet: Bleibt das Projekt wirtschaftlich oder drohen die Kosten für Bau, Wartung und Reparatur aus dem Ruder zu laufen? Beantworten kann die Frage nur, wer Jahreserträge und Intensität der Turbulenzen sicher berechnen kann.
Qualität der Ertragsprognosen
Dafür stehen heute leistungsstarke 3D-Simulationsmodelle zur Verfügung, mit denen der potenzielle Jahresertrag an einem Standort sehr präzise kalkuliert werden kann. Doch die Ergebnisse der Simulationen sind immer nur so gut wie die Daten, die in die Berechnungen einfließen. Für viele Regionen Deutschlands sind jedoch kaum valide Daten zu den lokalen Windverhältnissen verfügbar. Falls doch regionale Messungen erfolgten, reichen sie nicht bis in die erforderlichen Luftschichten, da die Messmasten in der Regel nicht höher als 80 Meter waren. Die tatsächlichen Bedingungen in den darüber liegenden Zonen können daraus jedoch nicht zuverlässig abgeleitet werden.
Standorte in komplexem Gelände erfordern Nabenhöhen von mindestens 120 Metern. Die Rotoren dürfen die turbulenten Zonen über den Baumkronen und Gebirgsformationen nicht durchstreichen. Eine vernünftige und standsichere Planung zielt daher darauf ab, dass die Blattspitzenunterkante der Windenergieanlage mindestens auf der 2,5- bis dreifachen Höhe der Baumwipfel bleibt.
Präzise Messungen nach anerkannten Standards wie der IEC 61400 bilden hier die Grundvoraussetzung für eine verlässliche Ertragsprognose. Hierfür wird ein Windmessmast für eine Langzeitmessung am geplanten Standort installiert, der mit kalibrierten Schalenkreuz-Anemometern das Windprofil bis in Nabenhöhe vermisst und aufzeichnet. Derzeit betreut der TÜV Süd in der bayerischen Oberpfalz eine solche Messung als Forschungsprojekt, um Daten zu den lokalen Windverhältnissen in 140 Metern Höhe zu bekommen. Zusammen mit der örtlichen Energieinitiative Natural Energy Solutions (NES), die einen Windpark mit bis zu sechs Anlagen in einem Waldgebiet bei Erbendorf plant, haben die Windexperten einen 140 Meter hohen Forschungsmessmast errichtet und ihn im vergangenen Oktober in Betrieb genommen. In den nächsten zwei Jahren werden insgesamt acht Schalenkreuz-Anemometer und weitere Sensoren alle relevanten Daten wie Windgeschwindigkeit, Windrichtung, Temperatur, Luftdruck und Luftfeuchtigkeit aufzeichnen und ein detailliertes Bild des Windprofils zeichnen.
Die Messung erlaubt außer einer Berechnung der mittleren Jahreswindgeschwindigkeit auch die Analyse von Turbulenzen und Extremwinden in unterschiedlichen Höhen. Darüber hinaus liefert die Messung somit auch grundsätzliche Erkenntnisse zur Windparkprojektierung in Waldgebieten in Mittelgebirgen. Diese Analyse ist Grundvoraussetzung für ein bankfähiges Wind- und Ertragsgutachten, das wiederum Grundlage für die projektbezogenen Wirtschaftlichkeitsberechnungen ist. Die Fördergesellschaft Windenergie (FGW) schreibt hierfür eine mindestens zwölfmonatige Langzeitmessung an einem Messmast in mindestens zwei Drittel der geplanten Nabenhöhe vor.
Unsichere Daten aus kleineren Messmasten
Eine Alternative zum Windmessmast bis in Nabenhöhe stellt daher ein kleinerer Messmast dar, dessen Winddaten durch zusätzliche Beimessungen mit anderen Systemen ergänzt werden. Die Windprofilmessung nur auf Basis einer solchen Zwei-Drittel-Messung ist jedoch mit höheren Unsicherheiten verbunden. Zwischen der obersten Messhöhe und der geplanten Nabenhöhe können mit den aktuellen Nabenhöhen 40 bis 50 Meter Distanz liegen. Die fehlenden Winddaten der oberen Luftschichten können dann durch Messungen mit einem Lidar-System ermittelt und ergänzt werden.
Ein am Boden aufgestelltes Lidar eignet sich für Untersuchungen der Windgeschwindigkeiten und -richtungen in Höhen von 40 bis 250 Metern. Messpunkte können in der Vertikalen mit einer Auflösung von etwa 20 Metern festgelegt und dann mit den kalibrierten Referenzwerten des Messmasts in Beziehung gesetzt werden. In der Kombination von Messmast und Lidar-System kann das Windprofil detailliert auch bis über die Nabenhöhe hinaus bestimmt werden (Abbildung 1).
Das Gerät arbeitet mit Laserimpulsen, die in die Atmosphäre geschickt werden. Die ausgesendeten Photonen werden durch Aerosole und Staubpartikel im Luftstrom gestreut. Der zurückgestreute Teil wird von einer Teleskopoptik im Gerät eingefangen und von einem hochempfindlichen Detektor registriert. Auf Basis dieser Signale werden dann mit Frequenz- und Laufzeitänderungen Windrichtung und -geschwindigkeit annähernd genau berechnet. In Verbindung mit den simultan ermittelten, exakten Referenzdaten der Anemometer-Messungen kann das Windprofil bis in Höhen der oberen Rotorblattspitze extrapoliert werden.
Die Mischung macht’s
Bei der Verwendung von Lidar-Systemen müssen jedoch einige Aspekte berücksichtigt werden. So sind die rein relativen Messwerte allein wenig aussagekräftig. Erst durch die Verknüpfung mit den Daten der kalibrierten Sensoren der Mastmessung können die Berechnungen für Wind-, Turbulenz- und Extremwindgutachten exakte Ergebnisse liefern. Auch für eine spätere Vermessung und Verifikation der Leistungskennlinie der Windenergieanlage braucht es die präzisen Referenzwerte. Da eine Langzeitmessung mit Lidar zudem vergleichsweise kostenintensiv ist, stellt sich die Frage nach der Dauer einer soliden Messreihe. Es empfiehlt sich hier, so lange zu messen, bis labile, neutrale und stabile Wetterlagen erfasst sind – also alle atmosphärischen Wärmeschichtungen. Hierfür kann eine Messung von drei Monaten bereits ausreichend sein.
In hügeligem Gelände ist außerdem zu beachten, dass die Laserimpulse kegelförmig in den Himmel strahlen, die Messpunkte jedoch auf einem Höhenniveau und somit in der Kreisebene des Kegels liegen. Diese Tatsache schlägt sich dahingehend nieder, dass bei unebenem Gelände die Messwerte nicht direkt vergleichbar sind, denn die Windgeschwindigkeiten in unterschiedlichen Höhen folgen dem Geländeprofil. Demnach würde beispielsweise ein auf einer Kuppe aufgestelltes Gerät zu niedrige Werte für das Zentrum des Kegels messen. Es gilt, die Geländesteigung und Topographie in den Berechnungen zu berücksichtigen und mit Korrekturparametern wieder herauszurechnen (Abbildung 2).
Das richtige Simulationsmodell
Wenn die Rohdaten vorliegen, werden diese in ein digitales Simulationsmodell gespeist, das die Erträge kalkuliert. Eine sorgfältige Auswahl eines geeigneten Simulationsmodells ist notwendig. Im flachen Freiland genügen zweidimensionale Simulationen wie das „Wind Atlas Analysis and Application Program“ (Wasp) der Technischen Universität Dänemark in Risø. Für besonders komplexe Geländedaten braucht es hingegen ein dreidimensional rechnendes System. Mit einem 3D-Simulationsprogramm lassen sich komplexe Geländedaten einberechnen. Die Frage lautet also jedes Mal neu: Genügt eine 2D-Simulation oder ist das Gelände bereits so komplex, dass die aufwändigere 3D-Simulation erforderlich ist? Standortgutachter müssen das vorab prüfen, um erhöhte Unsicherheiten zu vermeiden.
Im Vorfeld der Modellberechnungen beschreiben und bewerten die Windexperten des TÜV Süd deshalb die Geländestruktur mit dem Ruggedness Index (Rix-Wert), einem wörtlich als Rauheitsindex zu übersetzenden Bewertungsmaßstab auf einem Gebiet von 20 mal 20 Kilometern: Im Nahfeld um die Windkraftanlage wird innerhalb eines Radius von 3.500 Metern zudem die Steigung mehrfach berechnet und untersucht. Das Ergebnis, der Rix-Wert, gibt an, wie viel Prozent der Umgebung eine definierte Steilheit von 30 Prozent überschreiten. Dieser Wert ist in den Standardparametern der Software aufgrund der langjährigen Untersuchungen der Wissenschaftler hinterlegt. Bei Werten im Bereich von null bis fünf können 2D-Simulationen uneingeschränkt angewandt werden. Liegt der Wert zwischen sechs und zehn müssen bei Verwendung der 2D-Simulationen Korrekturvorschriften und Anpassungsparameter berücksichtigt werden, weshalb 3D-Berechnungen bereits bei diesen Werten Vorteile haben.
So kann für die Berechnungen in Waldgebieten beispielsweise die Nabenhöhe virtuell reduziert werden. Aufgrund der Ablenkung der Windströmung durch das Hindernis Wald ist die Windgeschwindigkeit in vielen Höhen oberhalb des Waldes unterhalb derjenigen Windgeschwindigkeit im Vorfeld des Waldes. Diese Ablenkung der Strömung muss im Rahmen der Berechnungen berücksichtigt werden. Ist der Rix-Wert jedoch größer als elf, wird die Anwendung einer 3D-Simulation empfohlen. Die 2D-Berechnungen haben in diesen komplexen Gebieten bereits sehr hohe Unsicherheiten in den Ergebnissen implementiert, die für ein verlässliches Gutachten nicht zu akzeptieren wären.
Damit stehen heute adäquate Werkzeuge zur Verfügung, um mittelfristig auch solide Winddaten für die Waldgebiete und Mittelgebirge der Republik zu erheben. Die Erschließung dieser Standorte wird zunehmend zu einer wichtigen Säule für die Energiewende, da restriktionsfreie, verfügbare Flächen im Flachland allmählich verknappen.
Wichtig ist die Datenbasis
Um die finanziellen Risiken eines Windparkprojekts auf ein Minimum zu begrenzen, kommt fundierten Ertrags- und Wirtschaftlichkeitsprognosen große Bedeutung zu. Insbesondere in den Waldgebieten der deutschen Mittelgebirge sind die Windverhältnisse komplex. Die solide Datenbasis für die Analysen liefern genormte Windmessungen mit einem Messmast, die unter bestimmten Voraussetzungen durch moderne Laserverfahren ergänzt werden können. Ist das Gelände komplex, kommt es zudem auf die richtige Wahl eines geeigneten Simulationsmodells an. Mit diesem finanziellen und materiellen Einsatz im Rahmen der Standortentwicklung, der sich inklusive der Durchführung einer einjährigen Messkampagne im niedrigen sechsstelligen Eurobereich bewegt, können substanziell hochwertige Daten für die weitere Begutachtung des Standortes erhalten werden. In den jeweiligen Gutachten sind damit abgesicherte Ergebnisse die Folge. Dies führt zu deutlich erniedrigten Unsicherheiten in den Energieerträgen – und damit zu höheren Erträgen im Rahmen der Berechnung der Überschreitungswahrscheinlichkeiten.
Damit werden in der Folge verbesserte – weil sicherere – Verhandlungspositionen für den Projektentwickler gegenüber Banken, Investoren und Anlagenherstellern möglich. Zudem gehen über die höheren Werte der Überschreitungswahrscheinlichkeiten entsprechende Werte der Ertragsberechnung in die Wirtschaftlichkeitsberechnungen ein, was den Wert des Projektes im Verlauf der 20-jährigen Laufzeit bis zu einem mittleren sechsstelligen Betrag je Windenergieanlage steigern kann.
Peter H. Meier
TÜV Süd Industrie Service GmbH,
Abteilung Wind Cert Services
Dieser Beitrag erschien erstmals in der Mai-Ausgabe 2013 von ERNEUERBARE ENERGIEN - Das Magazin.