Siemens-Chefentwickler Henrik Stiesdal klärt über das Aufräumen auf. Es ist ein kurzer Exkurs über die Gesetze des Marktes, die in Zeiten weltweiter Turbinen-Überproduktion vom Hersteller schnelles Handeln verlangen. Ein Schritt war dabei für Siemens, die getriebelose 2,3-Megawatt-Anlage aus dem Verkauf zu nehmen. Ihre Markteinführung hatte die Windenergiesparte im Anfang 2011 angekündigt. „Der Markt fragt nicht mehr danach“, sagt Stiesdal zu ERNEUERBARE ENERGIEN.
Tatsächlich hatte der Hersteller schon vergangenes Jahr eine wettbewerbsfähigere, ebenfalls direkt angetriebene 3,0-MW-Version des 113-Meter-Rotortyps ins Portfolio aufgenommen. Es war eine Austauschaktion. Für die erfolglose 2,3-MW-Schwester vermeldete das Unternehmen nur einen Deal: Einen Rahmenvertrag mit Energiekonzern Statkraft über 213 SWT-2.3-113. Der konkrete Teil der Vereinbarung sah für dieses Jahr die Errichtung von 37 Anlagen im Windpark Mörttjärnberget in Mittelschweden vor. Ansonsten wurden seit 2011 Aufträge für die Direktantriebsanlage mit drei Megawatt (MW) verkündet – und der Verkauf von fast 1.000 der mit konventionellem Getriebe ausgerüsteten traditionellen 2,3-MW-Onshore-Anlage und von 350 Offshore-Getriebeturbinen der 3,6-MW-Klasse.
Jahrelang war der Siegeszug der getriebelosen Anlagen ein Selbstläufer. Als Siemens Ende 2009 den Prototyp der direkt angetriebenen SWT-3.0 errichtete, standen die Hersteller von Getriebeanlagen in manchen Fachmagazinen unterschwellig schon als Vertreter einer alten Technologie da. Ausgerechnet Stiesdal muss nun erklären, dass Siemens eine solche Anlage in die Asservatenkammer der Geschichte räumen muss. Noch im Februar hatte er auf der europäischen Windkonferenz EWEA in Wien auf Journalistenfragen erklärt, warum Siemens die Getriebeanlage mit 3,6 MW für Offshore nun als Vier-MW-Version neu herausbringt. Diese Maschine, sagte Stiesdal, werde noch einige Zeit gut verkäuflich sein, ehe sie von der neuen Direktantriebsanlage mit sechs MW ganz abgelöst wird. Bis dahin wolle Siemens das Potenzial der 3,6-MW-Plattform bestmöglich vermarkten. Er hielt fest: „Die Getriebetechnologie wird hier zu Ende gehen.“
Technisch hatten die Getriebelosen von Siemens wegen ihres geringen Gewichts für Aufsehen gesorgt. Mit 130 bis 140 Tonnen für Maschinenhaus und Rotor sind die Drei-MW-Anlagen mitsamt 101, 108 und 113 Meter großem Rotor leichter als die 2,3-MW-Getriebeanlagen der Rotorgrößen 101 und 108. Die Sechs-MW-Anlage hat 350 Tonnen Turmkopfmasse bei 154 Meter Rotordurchmesser. Zum Vergleich: Die zuvor leichteste Offshore-Turbine – M5000 von Areva Wind, fünf MW, 126-Meter-Rotor – spielt in derselben Gewichtsklasse.
Dass die Turbinen leicht sind, ist nicht unwichtig. Je weniger Last auf den Türmen ruht, umso weniger belasten Vibrationen das Material. Außerdem kostet Masse. Das betrifft insbesondere die Generatoren: Bei den Drei-MW-Getriebelosen hat der Generator den immergleichen Durchmesser von 4,2 Metern und die Länge von zwei Metern und er wiegt 50 Tonnen. Die Sechs-MW-Version bringt 100 Tonnen auf die Waage, bei 6,5 Metern Durchmesser und 2,5 Metern Länge.
Immer leichter
Konkurrenten wie Vensys oder Avantis mit ihren 2,5-MW-Anlagen haben Generatoren mit fünf Metern Durchmesser und 35 oder 60 Tonnen Gewicht. Allerdings hält Avantis-Finanzgeschäftsführer Ralf Breuer nichts von Vergleichen: Die Hersteller stellten die unterschiedlichsten Berechnungen an, ließen mal die Pitchelektronik und mal die Tragkonstruktion für den rotierenden Generatorteil bei ihrer Berechnung weg.
Eine der größten Herausforderungen liegt für Stiesdal allerdings an anderer Stelle: Verkaufsargument sei die Kreditwürdigkeit für Banken. Da helfe Siemens das Argument, ohne ein Getriebe auszukommen. Was durch reduzierte Schadensanfälligkeit wiederum die Wartungsfreundlichkeit erhöht. Mit diesem Argument hatte die getriebelose Technologie in vergangenen Jahren stetig zugelegt.
Der Preis ist ein anderes Thema. „Wir müssen bei denselben Verkaufspreisen sein, auf die auch die Getriebeanlagen kommen“, sagt der Chief Technology Officer (CTO). „Wir konkurrieren mit unseren Anlagen auch auf jenen Teilen der Märkte, in denen es auf die Investitionskosten und weniger auf die Gesamtlaufzeitkosten inklusive der Ausgaben für Betrieb und Wartung ankommt.“
Seit 2008 steigt der getriebelose Anteil an den weltweiten Installationen. 2011 war schon ein gutes Fünftel der neuen Leistung getriebelos. Das bilanzieren die dänischen Branchenanalysebüros BTM Consult und Make Consulting. Vor allem Enercon und die chinesische Firma Goldwind mit der Technologie der saarländischen Vensys sowie mit etwas Abstand XEMC aus China liefern große Stückzahlen mit Direct Drive (DD).
Laut Make-Consulting-Marktbeobachter Dan Shreve dürften die Getriebelose-Marktteilhaber ihren Anteil allerdings nicht erhöht haben. „Es wird 2012 keine signifikante Änderung des Weltmarktanteils gegeben haben“, sagt Shreve. Mögliche Ursache: In China würden verstärkt getriebelose Windturbinen gebaut, weil Getriebe dort nicht ausgereift seien, heißt es bei Kritikern. Chinesische Hersteller hatten 2012 aber Kapazitätsverluste bei Neuinstallationen zu verzeichnen. In der Volksrepublik kamen statt 18 nur 15 Gigawatt neue Leistung hinzu. Nach Enercon, Siemens, XEMC und Goldwind haben im vergangenen Jahr dennoch laut Make-Mann Shreve Dongfang aus China und Impsa aus Argentinien Serienfertigungen gestartet.
Eine Bürde der Getriebelosen hat sich indes verflüchtigt. Die Preise für den Magnetrohstoff Seltene Erden sind nach dem Allzeithoch im Herbst 2011 wieder gefallen. Die Mineralien Neodym und Dysprosium sind der Grundstoff für die Permanentmagneten in den Generatoren. 2011 waren ihre Weltmarktpreise um das Zehnfache explodiert, auf 2.300 Euro pro Kilogramm Dysprosium und knapp 400 Euro pro Kilo Neodym. Seither fallen sie wieder kontinuierlich und liegen jetzt bei einem Viertel der Höchstwerte. Seltene Erden waren zwischenzeitlich nur in China exploriert worden, der Weltmarkt hing am Tropf. Hohe Preise sind hier wie im Falle der Drei-MW- und der Sechs-MW-Klasse von Siemens beim Masseanteil der Magneten von zwei und vier Tonnen schmerzhaft. Nun fördern auch Russland und Australien die Erden. Generell gelten die Direktantriebsmaschinen als teurer. Doch laut Henrik Stiesdal kommen die Generatorenbauer heute weitgehend ohne Dysprosium aus.
Einen Zeitvorsprung haben die Getriebeanlagenhersteller bei den Plattformstrategien. Auf deren Basis lassen sich ohne große Änderungen neue Turbinentypen produzieren. Auch Direktantriebsentwickler müssen freilich an den Generatoren bei jeder Rotorblattverlängerung Veränderungen vornehmen. Sie können auf drei verschiedene Arten reagieren: Zunächst lässt sich der Generator mit einem größeren Außenring bauen. Dies erhöht das magnetische Feld und so die Drehkraft. Das ist notwendig, weil die neuen Binnenlandanlagen mit längeren Flügeln zwar mehr Wind einfangen sollen, doch auch die Drehzahl reduzieren müssen. Sonst würden die Blattspitzen schneller und lauter rotieren. Dabei sinkt mit der Drehzahl auch die Leistung. Die höhere Drehkraft gleicht den Verlust aus.
Längere Generatoren
Größere Generatorumfänge lassen sich leichter kühlen, weil die Magneten im größeren Umfang mehr Platz bekommen. Aber sie stoßen an logistische Grenzen, wenn sie bei mehr als vier Meter Durchmesser auf den Straßen transportiert werden. Eine Alternative sind längere Generatoren. Sie erhöhen die Leistung ebenfalls. Doch dann müssen nicht nur die Magneten verlängert werden, sondern auch sämtliche Träger- und Hintergrundstrukturen wie Rückbleche zur Befestigung der Magneten. Das Gewicht erhöht sich enorm. Dritte Möglichkeit: Die Anlagen ziehen mit dem Umrichter mehr Strom aus dem Generator. Das erhöht Drehmoment und Leistung. Allerdings muss eine Kühlung die Anlage vor Überhitzung schützen, denn bei hohen Temperaturen verlieren die Magneten ihre Wirkkraft. Bei Siemens verweist man auf eine Variante, bei der einzig die Magneten dicker ausfallen. Sie könnten beispielsweise von 18 auf 20 Millimeter zunehmen, sagt Henrik Stiesdal. Diese Vergrößerung um zehn Prozent bringe um ein Zehntel mehr Drehkraft ein.
Die Hersteller getriebeloser Turbinen arbeiten ebenso wie die Getriebeanlagen-Produzenten in Hochgeschwindigkeit an verbesserten Produkten, was das Beispiel Enercon zeigt. Seit Einführung der Drei-MW-Anlagenplattform mit der E-82 vor drei Jahren vergrößern die Ostfriesen nicht mehr wie bisher ihre Generatorenradien, sondern optimieren die Herzstück-Komponente. Das beobachtet auch Jan Wenske. Der Leiter der Abteilung Antriebs- und Systemtechnik beim Fraunhofer-Institut für Windenergie- und Energiesystemtechnik (IWES) sieht zwischen den Anlagengenerationen des deutschen Marktführers technologische Sprünge. Neue Wasserkühler zur stärkeren Temperaturkontrolle der Anlagen seien eine bei Enercon in diesem Zusammenhang zu beobachtende Maßnahme.
Bei den vier jüngsten Entwicklungen hat Enercon anders als früher den Generatordurchmesser nicht vergrößert. Zuletzt brachten die Ostfriesen so die E-115 auf den Markt. Die Turbine ist die erste der Ostfriesen, die der derzeit angestrebten Leistungsdichte der Getriebeturbinenhersteller entspricht. Die Leistungsdichte besagt, wie viel Watt pro Quadratmeter Rotorfläche eine Anlage bei Höchstlast erzeugen muss. Je geringer sie ist, desto häufiger läuft die Anlage auf Volllast. Dabei reduzierte Enercon die Leistung bei der Fortentwicklung der E-115 aus E-101 wieder auf 2,5 MW. Vielleicht, um den Generator bei geringerer Rotordrehzahl nicht vergrößern zu müssen.
Enercon gibt keine öffentlichen Antworten auf technische Fragen. Gleichwohl arbeiten auch die Ostfriesen an der Optimierung ihrer Anlagentechnik: So suchen die Auricher seit vergangenem Jahr Ingenieure für Innovationszentren in Bremen und Aurich mit Testständen für Generatoren und Flügel.
Baldige Entwicklungsgrenze
IWES-Antriebsexperte Wenske sieht die Getriebelosentechnologie bereits einer Entwicklungsgrenze nahe. „Direct Drive wird sich bald nicht mehr leichter bauen lassen.“ Die Siemens-Offshore-Turbine mit sechs MW ist dabei für ihn ein Markstein. „Vielleicht noch Luft von zehn bis 20 Prozent“, sei in den Gewichts-Effizienzen der Generatoren. Anlagengrößen von zwölf MW, wie von Kompaktgetriebebauern anvisiert (Seite 32), seien nicht mehr realistisch. Nur die Entwicklung neuer Materialien lasse dann mehr zu. Doch das IWES will die selbst genannten Grenzen sprengen. Allein drei Projekte zielen darauf. So forschen Wenskes Kollegen in Kassel mit Industriepartnern an einem Nabengenerator. Dabei trägt ein Speichenrad mit enormem Radius den weit außerhalb der Gondel umliegenden Generator. Bei einem mit der Universität Saarbrücken vorangetriebenen Projekt entwickelt das IWES in Bremerhaven zu dem einen Nabengenerator. So dürfte er streng genommen gar nicht heißen. Denn Ziel ist eine Anlage ohne Nabe, deren Rotorblätter direkt an den Außenläufer montiert werden.
Der wohl entscheidende Ansatz für die noch in Entwicklung befindlichen Plattformstrategien der Getriebelosen ist ein Projekt, das abgekürzt als Swim benannt ist. Hierin wollen die Forscher am IWES Bremerhaven Schnittstellen für die Komponentenbauer definieren, die diesen klare Vorgaben für eine schnelle, günstige und industrielle Entwicklung gibt. „Das ist ein Riesenthema“, sagt Wenske: „Wir müssen weg davon, dass ein Zulieferer erst eine gesamte Anlage verstehen muss, um das richtige Komponentendesign zu finden.“
Das Südtiroler Unternehmen Leitner spielt derweil die gesamte Klaviatur des Plattformdesigns. „Elektromagnetische Optimierung, Anwendungs- sowie die Kühlungsoptimierung und neue Materialien“: So will man Effizienzgewinne erzielen. Dabei hatte die Windenergietochter Leitwind vergangenes Jahr erstmals eine Drei-MW-Anlage mit 101-Meter-Rotor als Prototyp installiert. Kernstück ist ein auf vier Meter Radius und 2,5 Meter Breite vergrößerter Generator. Dieser wiegt je nach Anlagenleistung bis zu 76 Tonnen.
Doch der Generator der neuen Plattform trägt 40 Prozent weniger Permanentmagneten und erzeugt dennoch eine um zwölf Prozent höhere Leistungsdichte als der einen Meter im Radius kleinere Vorgänger. Die Leistung erzielt Leitner jetzt mit vier getrennt geführten Spulenwicklungen. Die Anlage kann so bei Teillast Teile des Generators beispielsweise abkühlen lassen.
Auch andere Turbinenbauer nutzen das Prinzip eines segmentierten Generators. Das 2010 zunächst als Joint Venture mit einem chinesischen Partner gestartete Unternehmen Avantis will künftig in Deutschland produzieren. Die Plattform ist so ausgelegt, dass die jetzige 2,5-MW-Turbine darauf auf bis zu drei MW ausgelegt werden kann. Mit einem veränderten Trägerrahmen und einem um bis zu einem Meter verlängerten Generator ließe sich laut Avantis auch eine Sechs-MW-Anlage mit der heutigen Technologie entwickeln. Eines halten sich Technologiechef Detlef Lange und Finanzchef Ralf Breuer besonders zugute: Avantis befestigt die Magneten ohne Klemmen im Generator. Das steigert den Magnetisierungsgrad und damit die Effizienz auf sogar 97 Prozent. „Die Kosten von Getriebelosen- und Getriebeanlagen“, sagt Ralf Breuer, „werden sich weiter annähern.“ Alstom bestätigt das. Die französische Firma hat einen Sechs-MW-Prototyp in der Bretagne mit 7,5-Meter-Rotor mit nur 1,5 Metern Breite und unter 100 Tonnen Gewicht aufgestellt.
Friedrich Klinger ist prominenter Projektpartner und Ideengeber des IWES beim Entwickeln des Nabengenerators. Der emeritierte Professor der Technischen Hochschule HTW in Saarbrücken hatte 1990 die Entwicklung des Konzepts beim späteren Start-Up-Unternehmen Vensys eingeleitet und bundesweit für den noch unüblichen Direktantrieb geworben. 95 Prozent sieht er als guten Wert für einen Wirkungsgrad heutiger Direktantriebsturbinen an, im Teilllastbereich 94 Prozent. Diese Aufgabe haben einige Hersteller getriebeloser Turbinen heute bereits übertroffen. (Tilman Weber)
Dieser Beitrag ist erstmals in der April-Ausgabe 2013 von ERNEUERBARE ENERGIEN - Das Magazin erschienen.