Tilman Weber
Vergütungstarife der nächsten Offshorewindparks stehen vor dem Sturz in die Tiefe. Das ergaben die weltweiten Ausschreibungen der vergangenen drei Jahre (siehe Seite 34). Sind 2020 noch 7,3 Cent pro Kilowattstunde (kWh) das Mindeste, so wird 2023 erstmals ein Windpark ohne Vergütungsgarantie den Betrieb aufnehmen. Dann entscheidet der freie Strommarkt, was ein Windparkbetreiber einnimmt. Derzeit sind es drei bis maximal fünf Cent pro kWh im kurzfristigen Handel und knapp sechs Cent auf dem schwerer zugänglichen Terminmarkt. Wie rentabel die Projekte werden, darüber wird aber auch die Entwicklung der Betriebskosten bis zum Ende der Windparklaufzeit entscheiden. Der Wirtschaftlichkeit der nächsten Offshorewindparks räumen Energiemarktanalysten nun reale Chancen ein. Im März gab die britisch-amerikanische Agentur BNEF ein Entspannungssignal: Die durchschnittlichen Stromgestehungskosten seien allein seit Mitte vergangenen Jahres um 24 Prozent gefallen, erklärte BNEF als Ergebnis einer Studie. Und in diesem Jahr erreichen sie laut BNEF noch einen Wert von 8,9 US-Dollar pro kWh, umgerechnet knapp acht Eurocent – bei fallender Tendenz. Zum Vergleich: Die höchsten Stromgestehungskosten für Offshorewindstrom datiert BNEF auf 2012 mit damals umgerechnet 19 Eurocent.
Spanne zwischen Ausgaben und Einnahmen wird kleiner
Auch wenn andere Windparkprojekte mit Netzanschlüssen bis 2023 noch Vergütungsrechte oberhalb der Mindestgebotspreise besitzen: Offensichtlich ist, dass die Spanne zwischen Ausgaben und Einnahmen eher kleiner wird. Teilweise Entwarnung gibt Studienautor Tom Harries: Die veröffentlichten Stromgestehungskosten seien mengengewichtete internationale Mittelwerte zu den neuen Windparks, erklärt er auf Anfrage von ERNEUERBARE ENERGIEN. In Ländern wie Deutschland mit einer eigenen Offshoreindustrie seien die Stromgestehungskosten der Offshorewindparks niedriger. Nicht zuletzt fielen dort auch Wechselkurskosten weg, die anderswo wegen des Imports von Turbinenkomponenten entstehen. Weniger Kosten seien auch in Ländern zu tragen, die den Windparkinvestoren die Finanzierung des Netzanschlusses abnehmen.
Seewindstrom für 5,3 bis 6,8 Cent erzeugt
„Dort liegen die Stromgestehungskosten nur noch bei 59 bis 75 Dollar pro Megawattstunde“, sagt Harries. Umgerechnet sind das 5,3 bis 6,8 Eurocent pro kWh. Sogar die Inflation der Preise, zum Beispiel für Ersatzteile und künftige Wartungs- und Monitoringkosten während der 25-jährigen Windparkbetriebszeit, ist hier schon kalkuliert. Das Analyseteam habe das Kostenniveau für Offshorewindkraft nicht aus den Angaben der Entwickler oder Betreiber der Windparks ermittelt, sondern die aus den in Gesprächen mit Banken, Komponentenzulieferern oder Dienstleistern gewonnenen Daten in der Breite erschlossen.
Auf die Servicekosten von Windparküberwachung und Instandhaltung dürfte es ankommen, sollten die Betreiber tatsächlich immer öfter nur noch zum Strommarktpreis ihr Geld verdienen können. Haupttreiber der Kostensenkungen werden zunächst aber weiterhin die immer leistungsstärkeren Windturbinen sein, wie Harries andeutet: „Am meisten senkt das Größenwachstum der Turbinen die Kosten: Immer höhere Nennleistung pro Anlage heißt, dass in diesem Windpark weniger Turbinen für Wartung und Instandhaltung beständig anzufahren sind.“
Die ersten Maschinen mit zehn MW weltweit werden wohl 2023 im Windfeld Hollandse Kust Zuid in Betrieb gehen: Anlagen vom Hersteller Siemens Gamesa. Der CEO der Offshorewindkraft-Sparte dort, Andreas Nauen, bestätigt selbstbewusst: „In unseren Projekten dürften die Turbinen für insgesamt die Hälfte der Kostensenkungen verantwortlich sein.“ Doch wo lassen sich nach der Windparkerrichtung noch weitere Kostensenkungen erreichen?
Betriebskosten lassen Rückschlüsse auf Ausschreibung zu
Windparkbetreiber und Investoren der Offshorewindbranche reagieren gewöhnlich schmallippig, wenn sie in ihrer Verantwortung liegende Betriebskosten beziffern sollen. Sie würden damit Rückschlüsse auf ihr Wettbewerbsverhalten zum Beispiel bei Ausschreibungen zulassen, was ihre Verhandlungssituation schmälern würde. „Zu den Kostensenkungen kann ich leider keine Aussagen treffen”, sagt daher ein Sprecher beim marktführenden Energiekonzern Ørsted.
Erneuerte Flotte verbilligt Serviceschiffe
Anonym lassen Akteure aber Rückschlüsse zu. So macht der Betreiber eines Offshorewindparks in der deutschen Nordsee günstige Kostentrends für Inspektionen und Reparaturen aus: Allein unter dem Druck der Ausschreibungen würden Dienstleister ihre Preise reduzieren, erklärt er.
Insbesondere Gutachter von Schäden hätten preislich zuletzt um 30 Prozent nachgelassen, lässt er konkreter wissen. Um rund 25 Prozent waren laut ihm die Preise auch bei den Kranschiffen zum Austausch problematischer Komponenten gefallen – weil eine neu gebaute Generation größerer Kranschiffe zur Errichtung immer größerer Turbinen kleinere Kranschiffe aus dem Rennen wirft. Die Reedereien bringen diese mit Preisnachlässen im Wartungsdienst unter. Diese Kostensenkung dürfte fortschreiten, wenn Werften für die nächsten Anlagen- und Windparkgrößen noch größere Kranschiffe bauen.
Clusterwartung und Digitalisierung
Bleibt noch die zunehmende Effizienz im Windpark-Wartungsservice. Hier lassen sich Abschaltzeiten bei Inspektionen und Reparaturen reduzieren, mehr Ertrag wird geerntet. Weil die Seewindparks der nächsten Generation oft als Cluster benachbarter Offshoreprojekte eines Investors entstehen, werden große Wartungskampagnen in kurzer Zeit möglich. Einen deutlichen Effekt hat auch die Digitalisierung der Wartungsarbeiten inklusive besserer Fernüberwachung und Big-Data-Analysen. Sie verbillige zwar nicht die Serviceleistungen, heißt es aus den Reihen der befragten Offshorewindpark-Betreiber. Doch die Qualität werde besser, Analysen für Schäden und die Organisation der Reparatur bräuchten nicht wochenlangen Vorlauf wie früher, sondern einen Tag.
In dieselbe Kategorie fallen mitunter vermeintlich kleinere technologische Entwicklungen. So wirbt das österreichische Unternehmen Aero Enterprise für seine Helikopterdrohne zur Wartung von Rotorblättern. Ein Fluggerät, das anstelle einer klassischen Inspektion mit eineinhalb Tagen Einsatz von Seilkletterern an der Windenergieanlage nur zwei Flugstunden erfordert. Damit fielen statt häufig acht bis zehn nur maximal zwei Stunden Stromerzeugung aus. Statt drei Seilkletterern reicht zudem ein Mitarbeiter zum Steuern.
Mit Doppelkamera Auffälligkeiten erfassen
Aero Enterprise könne mit einer speziellen Doppelkamera besser als bisher Auffälligkeiten erfassen, betont Aero-Enterprise-Geschäftsführer Robert Hörmann. Die eine klassische Kamera erkenne mittels intelligenter Technik und guter Auflösung bereits stecknadelkopfkleine Löcher in der Blattoberfläche. Eine zweite Kamera mit Infrarottechnik hebe knapp unter der Oberfläche liegende Strukturschäden hervor. Auch sich ablösende Klebestellen fielen auf. Das System erfasse alle Schäden unmittelbar digital und gleiche dieselben Positionen in den Folgejahren ab. „Unsere ganzheitlichen Aufnahmen filtern Schäden heraus, die sich verschärfen und zu reparieren sind“, erklärt Hörmann. Das System steht kurz vor einer Premierenvorstellung mit Messkampagne in einem großen deutschen Offshorewindpark. Das Bundesamt für Seeschifffahrt äußerte sich noch nicht klar, ob es die Drohneninspektion als Ersatz für eine Seilklettererinspektion zulassen will.
Web-Wegweiser: svg.to/nauen
Dieser Artikel ist eine Kostprobe aus der Juni-Ausgabe unseres Print-Magazins. Sie können bestimmte Hefte wie dieses nachbestellen, falls Sie kein Abonnement besitzen. Falls Sie sich generell ansonsten einen Eindruck von unserem Heft machen wollen, erhalten Sie hier ein kostenloses Probeheft unserer nächsten Ausgabe.