Sogar die Landesumweltministerin Anja Siegesmund hatte noch in der Woche vor Ostern an einer Demonstration gegen die „Südlink“-Leitung im Südwesten Thüringens teilgenommen. Sie rief den Teilnehmern zu – tatsächlich an die Adresse des Netzbetreibers Tennet gerichtet: „Weder wurden unsere Argumente berücksichtigt noch unser Alternativvorschlag ernsthaft geprüft. Das nehmen wir nicht hin – und die Menschen in der Region erst recht nicht.“
Wie die Bundesnetzagentur nun am Montag, Mitte April, auf ihrem Internetportal veröffentlicht hat, verläuft die geplante Südlink-Trasse weiterhin durch die thüringischen Naturschutzräume Biosphärenreservat Rhön und Nationalpark Hainich. Die Landesregierung hatte sich gegen diesen Trassenverlauf gestellt und Alternativvorschläge eingereicht, wonach die Trasse weiter westlich durchs benachbarte Hessen führen sollte. Thüringen habe mit dieser Stromtrasse nichts zu tun, lautet hierzu die Argumentation, da Südlink Windstrom aus Niedersachsen und Schleswig-Holstein zu Verbrauchern in Bayern, Baden-Württemberg und bestenfalls Hessen transportiere.
Doch nicht nur die rot-rot-grüne Regierungskoalition – Die Linke, SPD, Bündnis 90/Die Grünen – mit der von den Grünen kommenden Umweltministerin Siegesmund stellt sich auf die Seite der gegen Südlink protestierenden Bürger. Auch Oppositionspolitiker treten vehement gegen den Bau der Stromautobahn bis 2025 auf Thüringer Landesflächen ein. Der christdemokratische Landrat des Wartburgkreises, Reinhard Krebs, schaffte bei den Kommunalwahlen am vergangenen Wochenende somit einen Erdrutschsieg mit 71,3 Prozent der Stimmen gegen seinen SPD-Herausforderer, obwohl dieser die Unterstützung aller drei Parteien der Landeskoalition hatte. Bei allerdings nur sehr geringer Wahlbeteiligung schaffte Krebs seine Wiederwahl überdeutlich – laut Wahlbeobachtern auch wegen seines starken Eintretens gegen Südlink. Zwar war sein SPD-Wettbewerber ebenfalls gegen die Trasse, doch konnte Krebs als Amtsinhaber sich als Organisator des Widerstands gut in Szene setzen.
Die Trassenführung durch Thüringen sei noch immer folgerichtig, argumentiert die Bundesnetzagentur, weil der aus Erfurt vorgeschlagene Alternativ-Verlauf durch Westhessen rund 70 Konfliktstellen enthalte. Die von der Netzagentur bisher favorisierte Variante durch Westthüringen sowie die ebenfalls noch bedachte Alternativroute durch Osthessen führten hingegen zu nur 40 bis 60 Konfliktstellen.
Beim Energiewendeforum des Verbands Kommunaler Unternehmen am 17. und 18. Mai in Erfurt wird es nun zu einer vor diesem Hintergrund besonders spannenden Podiumsdiskussion kommen. Umweltministerin Siegesmund wird gleich nach der Eröffnungsrede durch VKU-Hauptgeschäftsführerin Katherina Reiche die inhaltliche Debatte eröffnen. Dort wird sie über den „Thüringer Weg“ der Energiewende sprechen: „Dezentral, regional und erneuerbar in die Energieversorgung der Zukunft“, lautet der Untertitel ihres Vortrags. Die Ministerin wird wohl davon sprechen, wie ihr Haus den Plan eines Ausbaus der Windkraft auf eine jährliche Stromproduktion von 2.900 Gigawattstunden bis 2020 noch schaffen will, was einer Verdreifachung des Einspeisevolumens im Vergleich zu 2010 entspräche – während Ende 2017 erst 1.470 Megawatt (MW) im Land am Netz waren: das doppelte der installierten Leistung von 2010 mit damals 754 MW. Allerdings produzieren die neuen Windparks zur Verfügung stehenden modernen Windenergieanlagen mit wesentlich größeren Rotoren und Nabenhöhen viel stetiger Strom als die älteren Turbinen.
Auf dem Podium trifft Siegesmund im Anschluss auf den Vorsitzenden der Mitteldeutschen Braunkohlengesellschaft Armin Eichholz, VKU-Hauptgeschäftsführerin Reiche sowie Andreas Roß, Vorstand des rekommunalisierten und unter anderem Gas-Kraftwerke betreibenden Regionalversorgers in Erfurt, Teag. Pikant: Zum provokanten Diskussionstitel „Ohne Kohle nix los? Versorgungssicherheit und Klimaschutz im Energiemarkt der Zukunft“ muss Siegesmund dann Positionen zu ungeklärten Problemen wie Südlink oder wie dem gerade gescheiterten Kohleausstiegskonsens zwischen Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt vertreten.
Einerseits hatte die thüringische Landesregierung nämlich zuletzt noch generell die Sinnhaftigkeit der Stromautobahn damit angezweifelt, dass eine alternative Ausstattung des Netzes mit Stromspeichern die auf- und abschwellende Einspeisung aus Grünstromanlagen besser regulieren helfe. Zudem belasten bekanntlich gerade die unvermindert einspeisenden Braunkohlekraftwerke das Netz, indem sie auch bei starker Wind- und Solarstromerzeugung ihre Turbinen rotieren lassen, weshalb in stetig wachsendem Maße überschüssige Elektrizität als billiger Exportstrom über die deutschen Außengrenzen schwappt. Hier verbirgt sich mit Blick auf die in Thüringen ungeliebte Stromautobahn also ein direkter Konflikt mit dem auf dem Podium vertretenen Vertreter der Kohlekraft.
Den Diskussionsbedarf auf dem Podium facht aber auch ein aktueller Konflikt zwischen den ostdeutschen Ministerpräsidenten um die Braunkohle an. So hatten sich in der zweiten Aprilwoche gerade die Wirtschaftsminister der drei historischen mitteldeutschen Braunkohleländer Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen darauf geeinigt, sich in der ökonomischen Außendarstellung ihrer Länder künftig gemeinsam zu präsentieren. Auch die Gestaltung des Ausstiegs aus der Braunkohlenutzung wollten sie in diesem Zusammenhang als gemeinsames Konzept erarbeiten, so das Ergebnis ihrer Zusammenkunft. Damit sollten die drei Bundesländer den von der Bundesregierung derzeit in Vorbereitung befindlichen Fahrplan zum bundesweiten Ausstieg aus der Kohleenergie konstruktiv begleiten. Doch Anfang dieser Woche schoss Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer quer: Für den Braunkohleausstieg verlange er eine Schonfrist von 20 Jahren, sagte er.
Spannend dürfte es also auf dem Podium des Energiewendeforums allemal werden.
ERNEUERBARE ENERGIEN verlost zwei Teilnahmekarten für das Energiewendeforum in Erfurt, vom 17. bis 18. Mai (kostenlose Teilnahme; Anreise und Übernachtung sind selbst zu tragen). Bitte schreiben Sie dazu bis Donnerstagabend (19. April), 19 Uhr, eine E-Mail an weber@schluetersche.de mit Stichwort "Energiewendeforum" im Betreff (ohne Stichwort ist die Teilnahme ausgeschlossen; die Gewinner werden ausgelost).