„Wir mussten ohne Ansprechpartner für die Technologie arbeiten, mussten die zwei neuen Lager als Sonderanfertigung von der Industrie bestellen und mussten uns in eine neue Größenordnung der Anlagentechnik einarbeiten“, betont der Teamleiter bei PSM für den Großkomponententausch, Silvio Matysik. „Wir sind bei PSM die Abteilung, die jeden Tag nur Krane sieht“, sagt er.
Schon die Kranarbeiten an sich waren aber eine der schwierigeren Abschnitte des Spezialauftrages der Bremer Projektentwicklungs- und Windparkbetreiberfirma WPD. Die Anlage steht schließlich auf einer ansonsten brach liegenden Gewerbefläche in Bremerhaven Den 60 Tonnen schweren Rotorstern mit 90 Metern Durchmesser musste Matysiks Team so auf engstem Raum von der Hauptwelle ziehen sowie zwischen Containern eines benachbarten Weserkais, den nächsten Firmengebäuden und Turbinenturm ähnlich passgenau ablegen wie ein Sammler seine Briefmarke ins Album.
„Ohne über eine Dokumentation der technischen Daten zu verfügen, fingen wir so bei Null an“, sagt Matysik. Die zwei FAG-Originallager waren nach kurzer Betriebszeit der erst 2011 errichteten Anlage bereits vollständig zerstört, die zusammen Tonnen schweren Kegelrollen teils zermalmt. Die doppelt gelagerte Hauptwelle besteht aus einem so genannten Loslager, das der Hauptwelle in Längsrichtung des Lagers bis zu fünf Zentimeter Spiel gewährt und so dem Antriebsstrang die notwendige Flexibilität unter gewaltigen und wechselnden Betriebslasten gewährt.
Sonderanfertigung der Rotorlager in Schweden
PSM bestellte den Nachbau der Rotorlager bei SKF in Schweden. Am ersten Tag, noch vor Ostern, hatten die Erkelenzer Wartungsspezialisten den Rotorstern demontiert sowie beide Lagergehäuse geöffnet und die Rotorwelle mitsamt der Lager abgenommen sowie die Lager von der Rotorwelle abgezogen. In der ehemaligen Powerwind-Fertigungsanlage neben dem Turbinenstandort montierten sie am zweiten Tag die neuen Lager, am dritten den so genannten Spannsatz zum Verbinden von Rotorwelle und Getriebe – um am vierten Tag die Komponenten wieder in der Gondel einzusetzen und den Rotor zu ziehen. Dazwischen sei noch ein weiterer Tag für Nacharbeiten angefallen, berichtet Matysik: „Alle Schrauben nachziehen, die Ölversorgung herstellen, die Nabe wieder anklemmen, die Rotorblattverstellung wieder neu einstellen, die Übereinstimmung der Blattstellungswinkel sicherstellen oder beispielsweise den Generator prüfen. Man kann da nicht einfach auf den Startknopf drücken und dann läuft die Anlage wieder. Wir mussten ja auch selbst herausfinden, wie genau der Sitz von Hauptwelle und Rotor auszurichten war“, betont der Leiter des PSM-Großkomponententeams.
Die ohne elektronische vollautomatische Komponentenüberwachung beziehungsweise Condition Monitoring System (CMS) betriebene Anlage hatte bereits seit Jahresbeginn stillgestanden. Eine Mangelschmierung vermutet PSM als Ursache des Schadens. Mangels CMS war das Problem zu spät aufgefallen. Dass die Größenordnung der Anlage zur Herausforderung wurde, lag indes nicht nur an der beengten Situation für die Kranarbeiten: Bisher betreut PSM Anlagen bis zwei Megawatt im Instandhaltungsservice. Mit der um 25 Prozent größeren Leistungsklasse der Powerwind-Anlage bei entsprechend größeren Bauteilen mussten sich die Techniker aus Erkelenz so erst vertraut machen.
„Mein Fazit ist,“, sagt Matysik: „dass wir zeigen konnten, dass wir keine Berührungsängste haben und haben müssen. Es war schön: Wir lernten eine Menge, hatten nicht nur Kleinkram zu lösen. Ich kam mir vor wie vielleicht bei einer fachkundigen Bypassoperation am offenen Herzen.“
(Tilman Weber)