Die erste fast energieautarke Siedlung ist fertig. Die neun Einfamilienhäuser und zwei Doppelhäuser stehen im Augsburger Stadtteil Hügelshart. Sie sind mit dem Effizienzhaus-Plaus-Standard errichtet und produzieren so mehr Energie als sie brauchen. Bisher bliebt diese positive Energiebilanz aber noch eine theoretische Größe. Denn die integrierte Gebäudetechnik ist in der Lage, die Häuser über das ganze Jahr hinweg gesehen mit 70 Prozent der benötigten Energie zu versorgen. „Die Siedlung in Hügelshart beweist, dass eine hohe Energieunabhängigkeit auf breiter Basis möglich ist“, betont Bernhard Jakob, Geschäftsführer von Asset Bauen Wohnen. Der Baudienstleister aus Augsburg hat die Gebäude errichtet.
Das komplette Energie- und Anlagenkonzept hat der Münchner Handels- und Dienstleistungskonzern Baywa erstellt und die Komponenten geliefert. „Neu im Vergleich zu anderen Effizienzhaus-Projekten ist die Zusammenstellung der Produkte“, erklärt Elke Dehlinger von BayWa r.e., der auf erneuerbare Energien spezialisierte Tochter des Münchner Konzerns. „Unsere Anlagenkonzeption setzt ganz bewusst auf die Verwendung von vielfach am Markt erprobten Standardkomponenten und deren optimal aufeinander abgestimmte Kombination. Das bringt den Vorteil der Zuverlässigkeit, aber auch eine gute wirtschaftliche Komponente, und zwar ohne Abstriche bei der angestrebten hohen Energieautarkie.“
Energiemonitoring steuert alle Anlagen
Herzstück der gesamten Energieversorgung der Häuser ist eine große Photovoltaikanlage, die auf den nach Süden ausgerichteten Dachteilen installiert wurde. Diese speist ihren Strom direkt in das Hausnetz ein. Nicht direkt verbrauchter Strom wird in einem Lithiumionen-Akku gespeichert. Die Wärme wird mit einer Luft-Wasser-Wärmepumpe erzeugt. Diese nutzt den Solarstrom vom Dach. Reicht dieser nicht aus, zieht sie sich ihren Strom aus dem Akku. Ist der Akku voll und weiterer Solarstrom vorhanden, produziert die Wärmepumpe weiter und schickt ihre Energie in einen Wasserspeicher mit einem Volumen von 235 Litern. Wenn genügend Strom vorhanden ist, wird der Speicher einfach etwas höher aufgeheizt. Alternativ können die Hausbewohner auch ein Elektroauto aufladen. Denn eine Ladesäule ist an jedem Gebäude installiert. Ein hauseigenes Energiemonitoring steuert die komplette Anlagentechnik voll automatisch und sorgt so für die optimale Nutzung des Solarstroms.
Ein Gefühl von Sonnenschein
Die andere Seite des Wärmekonzepts sorgt dafür, dass der Energieverbrauch möglichst gering ist. Denn die Handwerker haben keine Radiatoren an die Wand gehängt, sondern die Gebäude mit Klimadecken versehen, die sowohl heizen als auch kühlen können. Diese Decken nutzen das Prinzip der Strahlungswärme. Mit ihrer großen Abstrahlungsfläche erwärmen oder kühlen sie die Wände und den Fußboden. In der Heizsaison bekommt der Hausbewohner so das Gefühl, als würde die Sonne in den Räumen scheinen.
Ein ähnliches Projekt starten jetzt auch die Stadtwerke Herne. Im Baueracker, einem Ortsteil im Osten der Stadt im Ruhrgebiet werden sieben Einfamilienhäuser errichtet, für die der Versorger das Energiekonzept erstellt und die entsprechenden Anlagen liefert und installiert. Die neue Siedlung soll weitestgehend energieautark sein und im kommenden Jahr gebaut werden.
Auch hier sind eine Photovoltaikanlage auf jedem Hausdach und ein Stromspeicher im Keller das Herzstück des Energiekonzept. Anders als in Augsburg setzen die Stadtwerke Herne aber nicht auf einen Lithiumionen-Speicher, sondern werden in jedem Haus einen Redoxflow-Speicher montiert. Der Versorger setzt mit dieser Technologie vor allem auf die geringen Energieverluste und die Langlebigkeit des Speichers.
Autos parken in Solargarage
Auch in Herne basiert das gesamte Wärmekonzept auf dem Einsatz von Wärmepumpen, die mit dem Solarstrom vom Dach oder aus dem Stromspeicher gefüttert werden. Die Häuser bekommen jedoch keine Ladesäulen für Elektroautos. Den neben dem energetischen Konzept ist auch das autofreie Wohnen eine Besonderheit der Siedlung. Die Bewohner werden ihre Autos außerhalb der Siedlung in einer Solargarage abstellen. „So ist die Siedlung sicher und kinderfreundlich und auch der Anschaffung eines Elektroautos steht nichts im Wege“, begründet Stephan Becker, der bei den Stadtwerken für das Projekt zuständig ist, das Konzept. (Sven Ullrich)