Tilman Weber
„Ist der Rotmilan in Deutschland gefährdet?“, unterbricht ein Teilnehmer der Tagung aus dem Plenum den Referenten vom Nabu auf dem Podium. „Darum geht es nicht“, antwortet der Landesvorsitzende des Naturschutzbund (Nabu) Niedersachsen, Holger Buschmann. „Doch, darum geht es!“, ruft es aus dem Saal bestimmt zurück. Die Konfrontation während einer Podiumsdiskussion zum Thema „Rahmenbedingungen für einen rechtssicheren Windenergieausbau“ berührt den Kern der Krise, in der sich die Windenergiebranche in Deutschland und eben auch in Niedersachsen aktuell wiederfindet. Auseinandersetzungen mit Naturschutzverbänden um den Vogelschutz vor den durch Umweltschützer angenommenen Gefahren der Rotoren, Entscheidungen hinauszögernde Genehmigungsbehörden und auch nach Genehmigungen noch erhobene Widersprüche und Klagen blockieren Windpark-Bauvorhaben oft für viele Jahre. Die Podiumsdiskussion beim ersten Branchentag Erneuerbare Energien in Hannover an diesem Mittwoch zur Rechtssicherheit für die Projektierer weckt heftige Reaktionen aus dem Windkraft-Fachpublikum.
Speziell auch das immer wieder gemeinsame Vorgehen von örtlichen Umweltschutzorganisationen mit prinzipiellen Windkraftgegnern macht den Planern in Niedersachsen zu schaffen, wie die Zwischenfragen andeuten. Wie viele Klagen haben Nabu-Ortsgruppen schon gegen Windparks eingereicht, lautet eine davon. Nur elf, sagt Nabu-Niedersachsen-Vorsitzender Buschmann – um erst auf weitere hartnäckige Nachfragen einzuräumen, dass die Zahl der Widersprüche weitaus höher liege. „Aber daraufhin gab es auch immer Einigungen“, sagt Buschmann. Das allerdings weckt erneut Gegenwehr aus dem Plenum, weil Widersprüche Projekte stets um weitere Wochen und manchmal auch noch länger aufhalten. Widersprüche können auch nach Genehmigungen zu verpflichtenden Abschaltungen der Anlagen zu festen Zeiten führen, zu denen die Naturschützer häufigeren Vogel- oder Fledermausflug im Windpark erwarten. Sogar der Verzicht auf eine oder zwei von mehreren geplanten Windenergieanlagen kann eine Folge sein.
Welche Schwierigkeiten die Regionalen Raumordnungsprogramme (RROP) mitsamt einer Ausweisung von Windenergieflächen für Windparkplaner inzwischen auftürmen, will die für die RROP zuständige Vertreterin des niedersächsischen Landwirtschaftsministeriums nicht verschleiern. Hildegard Zeck, im Ministerium Leiterin der sogenannten Abteilung 3 für Raumordnung, Landesentwicklung und Förderung, verweist aber auf ihrer Meinung nach unüberwindbare Regelungen: „Wir dürfen keinen Teilplan für Windenergiegebiete veröffentlichen“. Ein Teilplan, um Gebiete mit schon gesicherten Windenergievorrangflächen oder Windkraftkonzentrationszonen vorab auszuweisen, sei nicht erlaubt. Sie bedauert, dass die Flächenplaner beispielsweise im Landkreis Braunschweig den RROP schon zum dritten Mal zur Neuplanung wieder zurückziehen mussten, zuletzt um auf Einwände etwa aus dem Militär wegen plötzlich neu beanspruchter Tiefflugstrecken zu reagieren.
Die Leiterin der Abteilung für Politik und Regierungsbeziehungen beim Deutschlandmarktführer unter den Windturbinenbauern, Enercon, verweist auf noch drohende Folgeunsicherheiten, die aktuelle Reformentwürfe der Bundesregierung bedeuten würden. Das Bundeswirtschaftsministerium verlangt eine 1.000-Meter-Tabuzone rings um selbst kleinste Siedlungen, in der Windenergieanlagen keinen Standort mehr bekommen sollen. „Wenn daraufhin auch wieder neue Regionalpläne geschrieben werden müssen“, sagt Ruth Brand-Schock, „braucht es erneut fünf Jahre, bis Flächen für die Windkraft wieder freigegeben sind.“ Die Enercon-Politik-Chefin verweist auf die bereits jetzt stark rückläufigen Errichtungszahlen der Windkraft in Deutschland: Während in den Jahren 2014 bis 2018 in den ersten drei Quartalen durchschnittlich 2.786 Megawatt (MW) neue Anlagenleistung jährlich in Deutschland hinzugekommen war, kam der Zubau in den bisher drei Quartalen dieses Jahres auf nur noch 514 MW: auf weniger als ein Fünftel des 2014-2018er Durchschnitts. Brand-Schock widersprach auch dem in den Augen der Branche leichtfertigen Ratschlag aus der Politik, die Windkraftszene solle statt in Deutschland die Anlagen zu errichten ihre Technologie eben künftig mehr exportieren. „Wir brauchen den Heimatmarkt“, betonte sie: Denn nur durch eine Einführung neuer Produkte auf dem Heimatmarkt, durch das erfolgreiche Vorführen dieser Technologie kombiniert mit weiteren Energiewende-Konzepten ließen sich auch andere Länder zur Nachahmung der Energiewende motivieren. Diese wären dann erst auch an deutscher Windkraft-Technologie interessiert.
Nabu-Vorstand Buschmann fordert derweil eine Datenerhebung über die Vogelvorkommen in Niedersachsen und die Veränderung des Vorkommens durch die Windkraft wie auch bei Greifvögeln wie dem Rotmilan.
Mehr als 700 Teilnehmer zählte der Veranstalter Landesverband Erneuerbare. Zu Beginn der Tagung hatte der Vorsitzende der Erneuerbaren-Interessenorganisation, Wilhelm Pieper, die wirtschaftlichen Bedeutung der Erneuerbaren für Niedersachsen betont: Die Erneuerbaren-Branche habe eine größere Wertschöpfung im Agrarland Niedersachsen als Agrar-, Forst- und Landwirtschaft zusammen. Er setze darauf, dass sich Kreativität der Branche und Schwarmintelligenz der Erneuerbare-Energien-Nutzer durchsetzen. Die rasch wachsende Nachfrage nach beispielsweise auch Sektorkopplungstechnologien zur Umwandlung von überschüssigem Grünstrom in Wasserstoff oder beispielsweise in Wärme deuteten darauf hin, erklärte Pieper.