Worin sehen Sie die größte Bedrohung für Bürgerenergie? Wie sähe Ihr Gegenmodell aus?
Für die größeren Wind-, Solar- und Bioenergie-Projekte in Bürgerhand ist der Umstieg auf Ausschreibungen ein riesiges Hindernis. Während es bisher eine relativ hohe Planungssicherheit gab, müssen die Bürgerinnen und Bürger künftig in Vorleistung gehen, ohne zu wissen, ob sie am Ende den Zuschlag für ihre Anlage bekommen. Das kommt einer Lotterie nah und wird viele Bürgerenergiegenossenschaften abschrecken. Wir Grüne fordern deshalb, dass zumindest Windenergieprojekte bis 18 Megawatt Leistung und andere Erneuerbare-Anlagen mit bis zu einem Megawatt Leistung wie von der EU erlaubt von Ausschreibungen ausgenommen werden. Noch besser wäre das Festhalten an festen Einspeisevergütungen für Windprojekte an Land und Photovoltaik. Außerdem müssen die Umlagen und Steuern auf selbstverbrauchten Solarstrom weg, damit auch größere Dachanlagen wieder attraktiver werden.
Besteht die Gefahr, dass am Ende die EEG-Kosten und Kosten für die Netzinfrastruktur von einigen wenigen nicht privilegierten Bürgern geschultert werden müssen?
Unbedingt! Das zeigt auch die jüngste Entwicklung: Die Regierungsfraktionen haben in ihren Verhandlungen über das neue EEG kurz vor Toresschluss eine zusätzliche Entlastung von fast einer Milliarde Euro jährlich für die energieintensive Industrie beschlossen, und das ohne jede Gegenleistung bei der Energieeffizienz. Diese Geschenke an die Industrie gehen wieder zu Lasten der Privathaushalte und der kleinen und mittleren Unternehmen. Die Kostenverteilung wird damit immer ungerechter – ein Armutszeugnis insbesondere für das SPD-geführte Energieministerium. Und das groß angekündigte Mieterstrommodell ist bisher nicht mehr als eine Verordnungsermächtigung. Damit entscheidet allein das Bundeswirtschaftsministerium, ob, wann und wie das Mieterstrommodell wirklich kommt. Die Entlastung der Bürgerinnen und Bürger an dieser Stelle bleibt also mehr als ungewiss.
Sie verweisen auf Paris und den erforderlichen Ausstieg aus der Kohle – und kritisieren in dem Zusammenhang den Deckel für Erneuerbare im EEG. Gleichzeitig stockt jedoch der Netzausbau. Wie soll die Energiewende funktionieren, wenn die Fossilen runtergefahren werden, während die Netze nicht nachkommen, um fluktuierende Erneuerbare zu transportieren?
Die Bundesregierung schiebt den hinterherhinkenden Netzausbau vor, um die Erneuerbaren Energien zu bremsen. Doch wenn wir den Klimaschutz ernst nehmen, müssen wir viel schneller von Kohle auf Erneuerbare umsteigen. Wenn die Kohlekraftwerke und auch die norddeutschen Atomkraftwerke an windigen Tagen stärker runtergeregelt würden, gäbe es weniger Netzengpässe, ohne dass die Versorgungssicherheit beeinträchtigt würde. Hinzu kommen zahlreiche Möglichkeiten, Strom zu nutzen, anstatt ihn abzuregeln: Power-to-Heat könnte kurzfristig dort genutzt werden, wo es Wärmenetze gibt. Auch Wasserstoff, der mithilfe von Windstrom erzeugt wurde, könnte in das bestehende Erdgasnetz eingespeist werden. Gleichzeitig muss der Netzausbau beschleunigt werden. Den hatte zuletzt der bayerische Ministerpräsident massiv behindert – ein weiteres Beispiel für die zahlreichen Angriffen auf die Energiewende aus dem Regierungslager.
Sie haben eine Reihe von Forderungen formuliert, um die Energiewende voranzubringen. Unter anderem wollen Sie die Wärmewende fokussieren. Was ist dafür nötig?
Wir wollen bei der Wärmeversorgung, dem Energiesparen und Effizienzmaßnahmen mehr Beteiligung für Bürgerinnen und Bürger ermöglichen, damit sie mit Ideen, Engagement und nicht zuletzt Kapital helfen, die Energiewende im Wärmesektor voranzutreiben. Dafür sind Projekte vor Ort ideal, zum Beispiel wenn die Schule in der Nachbarschaft energetisch saniert wird, das Schwimmbad eine neue Energieversorgung erhält oder Solaranlagen auf dem Rathaus installiert werden. Gute Beteiligungsmöglichkeiten bieten auch genossenschaftlich oder kommunal betriebene Nahwärmenetze. Als grüne Bundestagsfraktion wollen wir deshalb die Integration von erneuerbaren Energien in die Wärmenetze vorantreiben und den Aufbau genossenschaftlich betriebener Wärmenetze unterstützen. Außerdem wollen wir im städtischen Raum Quartierskonzepte fördern, die Energiesparmaßnahmen umsetzen und die Energieversorgung auf Strom und Wärme aus erneuerbaren Energien umstellen.
Sie fordern den Abbau von Rechtsunsicherheit bei der gemeinschaftlichen Finanzierung regionaler Energiesparprojekte, das sogenannte Bürger-Energiespar-Contracting. Was muss dafür passieren?
Wir möchten diejenigen unterstützen, die privat in Energiespar- und Effizienzprojekte investieren möchten. Das kann beispielsweise gemeinsam mit den örtlichen Energieversorgern oder auch über Crowd-Investing-Plattformen passieren. Doch für Finanzierungskooperationen mit Gemeinden sind zum einen bundesweit einheitliche Regelungen notwendig, zum anderen müssen diese Instrumente in den öffentlichen Verwaltungen besser verankert werden. Und wir brauchen eine bessere Risikoabsicherung. Die Bundesregierung blickt bislang nur Ausfallrisiken für kleine und mittelständische Unternehmen. Wir Grüne wollen darüber hinaus einen Fonds schaffen, der speziell die Finanzierung von Contracting-Vorhaben von Bürgerenergie-Akteuren unterstützt und bei Insolvenzen einspringt.
(Interview: Nicole Weinhold)