Der erste niedersächsische Branchentag Windenergie war angetan, letzte Zweifel an der Nachhaltigkeit der sommerlichen Parolen aus Hannover auszuräumen. „Das Windrad ist mittlerweile zum heimlichen Symbol Niedersachsens geworden”, hatte Ministerpräsident Stephan Weil auf der Veranstaltung vor drei Wochen dem Branchenpublikum zugerufen – und damit ebenso tatsächlich für stürmischen Applaus gesorgt wie mit einem Versprechen: Die rot-grüne Regierung in Hannover wolle Niedersachsen mit dem “neu entdeckten Rohstoff Wind” zum Energieland Nummer 1 in Deutschland machen.
Die Entdeckung des Rohstoffs ist in Niedersachsen zwar nicht so neu. Und der Termin erst in 35 Jahren lässt noch Trödeleien vieler künftiger Landesregierungen zu. Doch bei den an Weils Rede anschließenden Referaten analysierten Experten der vom Bundesverband Windenergie (BWE) veranstalteten Tagung, warum für eine Fast-Verdreifachung der heutigen Windkraft-Kapazität von acht Gigawatt (GW) solide vorgebaut ist.
Windenergieerlass führt auf Ausbaupfad
So hat insbesondere der Entwurf des noch vor seiner Verabschiedung stehenden Windenergieerlasses die Weichen gestellt. Das verdeutlichte auch der Auricher Jurist Jann Berghaus. Dem Erlass gelinge eine bemerkenswerte Balance, könnte als ein Fazit aus seinem Vortrag gezogen werden. Der Rechtsexperte selbst hatte auf dem Branchentag auf eine zentrale Schlussfolgerung verzichtet, sein Tenor aber war eindeutig: Der Windenergieerlass lasse den Kommunen einerseits Raum für eine unzweifelhaft selbstständige Planung. Andererseits bewege er diese konkrete Vorkehrungen zu treffen, um den jeweils eigenen Anteil am Landesziel von 20 Gigawatt zu gewährleisten.
So ist die von der Koalition aus Sozialdemokraten und Grünen entwickelte Regelsammlung ähnlich den Windenergieerlassen anderer Bundesländer verbindlich für Immissionsschutz- und Bauaufsichtsbehörden, die untere Naturschutz- und weitere nachrangige Behörden. Keine Vorschrift ist der Erlass hingegen für die Kommunen, sondern eine Orientierung für deren Regional- oder Bauleitplanungen „zur Abwägung“, wie Jurist Berghaus betont. Denn letztlich verpflichtet der Erlass die Kommunen, die Ziele zu befolgen. Und was die Ziele sind, definiert der Gesetzgeber im Erlass offenbar durch häufige Hervorhebungen mit Fettdruck.
Vorgaben, aber freie Wahl der Mittel
Der Trick, mit dem die Balance zwischen der Bindung an das 20-GW-Ziel und der kommunalen Planungsfreiheit gelingen soll: Der Erlass gibt keine starren Mindestabstände, keine Höhenbegrenzungen und auch keine Regeln mehr für die Form der Ausweisung neuer Windkraftflächen vor. Die Landesregierung definiert darin zwar Tabuflächen für neue Windparkbaustellen. Aber sie unterscheidet hierbei zwischen harten und weichen, nämlich den Kommunen zur begründeten Einzelfallentscheidungen überlassenen Tabuflächen.
Ein Beispiel? Windenergie im Wald ist verboten – außer dort, wo die Forsten schon von technischen Bauten vorgeprägt sind und sonst nicht genügend Raum für die Ausbauziele vorhanden ist.
Doch auch der Gefahr der Unverbindlichkeit beugt der Windenergieerlass laut Berghaus vor: Die in Landkreisplanungsgemeinschaften eingeordneten Gemeinden können zwar für ihre Regionalen Raumordnungspläne (RROP) zwischen Vorranggebieten ohne Ausschlusswirkung und Vorranggebieten mit Ausschlusswirkung außerhalb dieser Gebiete – oder gar bloßen Eignungsgebieten für neue Windparks wählen. Doch letztlich müssen sie acht Prozent der als für Windkraft geeignet eingestuften Flächen für Windkraft vorhalten. Und die Planungsverbände können umgekehrt ihre Kommunen durch die RROP auf bestimmte Konzentrationsflächen für Windkraft verpflichten. Sie dürfen so verhindern, dass Gemeinden aus Hunger nach neuen Steuereinnahmen eine flächendeckende Bebauung mit Streuwindparks zulassen. Doch beim Repowering, der Modernisierung von Windparks durch einen Austausch alter gegen neue Turbinen, können die Einzelgemeinden sich wiederum von zu strengen RROP-Vorgaben lösen.
BWE will weiter kämpfen, Umweltminister sendet Signale
Der BWE sehe den Windenergieerlass als deutlichen „Fortschritt gegenüber dem NLT-Papier“, betonte der Geschäftsführer des BWE-Landesverbandes Roman Denter. Die „Arbeitshilfe“ des Niedersächsischen Landkreistages (NLT) für die Kommunen des Landes von 2012 war de facto das jüngste Regelwerk in dem Bundesland, das vergleichbare Wirkungskraft wie der jetzt bevorstehende Erlass entfalten sollte. Doch das noch unter einer CDU-geführten Landesregierung verabschiedete NLT-Papier galt in der Windbranche als Dokument der Unsicherheit. Es empfahl umfangreiche Schutzzonen zum Einhalten des Naturschutzes. Nun, so erklärte der niedersächsische BWE-Chef Denter, werde die Windbranche dafür kämpfen, dass die Flächenziele noch ins Landesraumordnungsprogramm (LROP) eingeschrieben würden. Allerdings gilt das als unrealistisch: Der als Leitentwurf für die darunter entwickelten kreisweiten RROP fungierende LROP ist bereits vor allem wegen anderer landespolitische Zielsetzung weitgehend für eine Reform vorbereitet. Müsste der LROP nun auch noch detaillierte Windkraftziele aufnehmen, sagen Kritiker, würde das die Verabschiedung des für anderes dringend benötigten Planes zu lange verzögern.
Wie ernst Hannover die Festschreibung des Windenergiekurses nimmt, belegt eine neue Anti-Atomkraft-Offensive des Umweltministers Stefan Wenzel. Der hat Anfang Dezember verstärkte Kontrollen älterer technischer Komponenten der beiden Kernkraftwerke im Land angekündigt. Zuvor war der Meiler Grohnde zwei Monate lang wegen defekter Komponenten still gelegt worden. Noch arbeiten in Niedersachsen die beiden Meiler Grohnde und Emsland.
(Tilman Weber)