Für ein Geothermieprojekt in Graben-Neudorf wurden jetzt über 200 Grad in 4.000 Metern Tiefe gemessen. Mit gut 200 Grad Celsius lägen die im Reservoir gemessenen Temperaturen weit über den Erwartungen, heißt es vonseiten des Bundesverbands Geothermie. Gerechnet hatte der Projektentwickler Deutsche Erdwärme GmbH lediglich mit 160 Grad. Im Laufe der nächsten Monaten werde das Unternehmen die Daten aus den Tests auswerten. Erste Proben seien bereits im Labor für genauere Untersuchungen. Die über den Erwartungen liegenden Temperaturen würden nun auch hohe Ansprüche an die Ausrüstung stellen. Firmengründer und Geschäftsführer Herbert Pohl erklärt gegenüber dem Geothermie-Verband, das Wissen über die Geologie und das Reservoir in Graben-Neudorf sei gewachsen – die Erkenntnisse wolle man nun nutzen.
Graben-Neudorf liegt am geothermisch interessanten aber aus seismisch recht aktiven Oberrhein-Graben. Im Städtchen Landau ging 2007 eines der ersten Geothermie-Kraftwerke in Deutschland in Betrieb. In den ersten Betriebsjahren gab es allerdings „seismische Aktivitäten“ und Bodenhebungen. Anwohner klagten über Risse in Gebäuden. Das Kraftwerk musste zwischenzeitlich stillgelegt werden. Bis heute lässt die Frage nach einem weiteren Geothermie-Ausbau in der Region die Wellen hochschlagen. Eine Bürgerinitiative spricht von einem „Erdbeben-Generator“.
In Graben-Neudorf-1 gibt es seit Projektbeginn daher ein seismisches Echtzeit-Monitoring. Die Messdaten sind auf der Webseite der Deutsche Erdwärme einsehbar. Seit Anfang 2022 detektierte das System 18 regionale Erdbeben mit Magnituden zwischen 1 und 4,6. Die Beben sind in einer Karte verzeichnet – keines davon ist näher als 10 km am Bohrplatz lokalisiert. Das mit 4,6 stärkste Beben hatte demnach sein Zentrum zwischen Mulhouse und Basel.
Die Deutsche Erdwärme ist nach eigenen Angaben Deutschlands „größter privater Entwickler und Betreiber“ von Anlagen für Tiefe Geothermie. Von den auf der Webseite genannten Projekten befindet sich bisher allerdings nur Graben-Neudorf in der Umsetzung. Die Firma mit Sitz in Karlsruhe entwickelt mehrere Projekte am Oberrheingraben. Beim Projekt in Dettenheim wurde eine Bauvoranfrage positiv beschieden. In Waghäusl war bereits ein Reservoir identifiziert worden, doch dann bremste ein Bürgerentscheid das geplante Projekt aus. In Karlsruhe-Neureut sucht das Unternehmen nach einem geeigneten Grundstück. Auch dort hofft man auf Temperaturen bis zu 200 Grad.
Geothermieprojekt in Hamburg-Wilhelmsburg
Ab Frühjahr 2025 wollen die Hamburger Energiewerke (HEnW) die Erdwärme an ihre Kunden liefern. Das Thermalwasser stammt aus einer 1.300 Meter tief gelegenen Gesteinsschicht und ist 48 Grad warm. Das Projektteam der Hamburg Energie Geothermie, eine Tochter der Hamburger Energiewerke, hat in den vergangenen Monaten spezielle Filterrohre in der Produktionsbohrung eingebaut und über mehrere Wochen Fördertests durchgeführt. Auch der Injektionstest, bei dem das geförderte Thermalwasser über eine zweite Bohrung wieder in die 130 Meter mächtige Sandsteinschicht zurückgeleitet wird, war erfolgreich. Die Förderrate beträgt etwa 140 m³ pro Stunde.
Aufgrund der Fördertests und des derzeitigen technischen Planungsstands der Geothermie-Anlage rechnen die Experten mit einer rein geothermalen Wärmeleistung von zirka 6 MW. Damit lassen sich rechnerisch über 4.700 Haushalte versorgen. Mehrere Wärmepumpen sollen die Temperatur des Wassers aus der Tiefe schrittweise auf 75 bis 85 Grad anheben. Dadurch steigt auch die Wärmemenge. So wird die Geothermie-Anlage rund 6.000 Haushalte versorgen können – auch wenn ein Teil der Wärme genau genommen aus elektrischer Energie kommt. Der Bau des Heizhauses für das Geothermie-Projekt in Hamburg soll im Frühjahr 2024 starten. Der Leitungsbau hat bereits begonnen. Die HEnW prüfen zudem, ob das Projekt noch erweitert werden soll.
Die Bohrung befindet sich im Stadtteil Wilhelmsburg, der zwischen zwei Elbarmen liegt. Auf der Elbinsel gibt es bereits zwei kleinere Wärmenetze. Eines befindet sich am Energiebunker, einem Vorzeigeprojekt aus dem Jahr 2013. Ein weiteres ist der sogenannte Energieverbund rund um das neue Quartier Inselpark, an den auch die Hamburger Umweltbehörde angeschlossen ist. Die Hamburger Energiewerke wollen die beiden Teilnetze zu einem größeren Netz zusammenfassen. Damit hätte die Hansestadt dann zwei große Fernwärmenetze – neben einigen weiteren kleinen Teilnetzen.
Michael Prinz, Geschäftsführer der Hamburger Energiewerke, spricht von einem großen Schritt. Möglich geworden sei das Projekt erst dank der Unterstützung des Bundeswirtschaftsministeriums und der wissenschaftlichen Begleitung.
Inga Moeck, Professorin für Geothermie an der Georg-August-Universität Göttingen und Leiterin der Geothermieabteilung am Leibniz-Institut für Angewandte Geophysik, leitet das wissenschaftliche Begleitprogramm mesoTherm. „Die Forschung zur Geothermie in Hamburg-Wilhelmsburg hat uns auch wissenschaftlich sehr weit vorangebracht“, sagt sie. Wir haben eine geologische Formation entdeckt, die wir für die mitteltiefe Geothermie weiterentwickeln können. Die Projekte in Schwerin und Potsdam haben ebenfalls Gesteine mit 40 bis 60 Grad Celsius Erdwärme mitteltief erschlossen und sie zeigen: Hierin liegt die Zukunft der Wärmeversorgung in Deutschland.“ Die genaue Kenntnis der Gesteinsschichten ist besonders wichtig, um ihre Wasserdurchlässigkeit einschätzen zu können. Das ist von der Erdoberfläche aus kaum möglich. Die Durchlässigkeit ist die größte Unsicherheit in Bezug auf das Fündigkeitsrisiko. Das Projekt mesoTherm soll helfen, die geothermischen Reservoire im Norddeutschen Becken besser beurteilen zu können. Beteiligt sind daran das Geowissenschaftliches Zentrum der Georg-August-Universität Göttingen, die Geothermie Neubrandenburg GmbH (GTN) und das Leibniz-Institut für Angewandte Geophysik (LIAG).
Das Hamburger Geothermieprojekt ist Teil des Reallabors IW3 – Integrierte Wärmewende Wilhelmsburg, das eine nahezu CO₂-freie Wärmeversorgung von Wilhelmsburger Wohnquartieren anstrebt. Als Reallabor der Energiewende wird es mit insgesamt 22,5 Millionen Euro vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) bezuschusst.
Gemäß einer Studie des Umweltbundesamtes kann Tiefengeothermie bis zum Jahr 2050 mit 118 Terawattstunden pro Jahr zur klimaneutralen Wärmeversorgung beitragen. Demnach sind in Deutschland bisher 42 Tiefe Geothermie-Anlagen (mindestens 400 Meter) mit einer installierten Wärmeleistung von 417 Megawatt realisiert. Unter tiefer Geothermie werden hier Anlagen mit einer Bohrtiefe über 400 Meter und einer durchschnittlichen Teufe von 2.500 Meter verstanden.
In Bayern wird gerade ein neues Bohrverfahren erprobt, um die Wärme direkt aus dem Gestein zu ziehen – auch ohne, dass es Thermalwasservorkommen gibt. Damit soll laut der Betreiberfirma das Fündigkeitsrisiko eliminiert werden. (nw)